Ein 32-Jähriger tadschikischer Staatsbürger, der seit zwölf Jahren in Dortmund lebt, sitzt zurzeit in einem Abschiebegefängnis. Abdullohi S. ist am Morgen des 11. Dezember von Polizisten und Mitarbeitenden des Ausländeramts aus seiner Wohnung abgeholt und nach München gebracht worden.
Betrachtet man die rechtliche Ebene dieses Falles, erscheint er eindeutig. Abdullohi S. lebt seit 2009 in Deutschland. Er ist der Sohn eines Aktivisten der in Tadschikistan verbotenen „Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans“. Die Regierung in dem asiatischen Land unterdrückt religiöse und ethnische Minderheiten.
Urteil wegen Vergewaltigung
S. kam als junger Mann nach Dortmund – und hat in den ersten Jahren viele Fehler gemacht. 2012 ist er nach Informationen dieser Redaktion wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung nach Jugendstrafrecht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.
2014 arbeitete S. dann in einer Unterkunft für Geflüchtete in Burbach (Siegerland). Dort kam es zu Misshandlungen von Bewohnern – auch während einer Schicht, in der S. eingeteilt war. Eine Beteiligung an den Taten bestreitet er, sie wurde ihm auch nicht nachgewiesen. Er wurde - wie alle Mitarbeiter dieser Schicht - zu einer Geldstrafe verurteilt.
Falsche Identität
Zudem wirft ihm die Dortmunder Ausländerbehörde „fehlende Mitwirkung bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung“ vor. S. hat nachweislich mehrere Jahre unter falscher Identität in Deutschland gelebt.
Hintergrund dazu: Ein erheblicher Teil der in Deutschland ankommenden Geflüchteten verfügt aus unterschiedlichen Gründen nicht über gültige Ausweisdokumente. Die Annahme von falschen Identitäten ist ein illegaler, aber dennoch nicht selten genutzter Weg, um eine Ausweisung hinauszuzögern.
Seit 2014 sei S. als abgelehnter Asylbewerber „vollziehbar ausreisepflichtig“, teilt Stadtsprecher Maximilian Löchter auf Anfrage dieser Redaktion mit. Ein Asylfolgeverfahren sei 2017 als „unzulässig“ abgelehnt worden. Seine Duldung - ein offizieller Status, der einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in Deutschland ermöglicht - habe bis 2022 bestanden.
Kein Bleiberecht
„Er ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und entsprechend mehrfach rechtskräftig verurteilt. Diese Straftaten - in Verbindung mit seiner mehrjährigen Täuschung zu seiner Identität - stehen der Erteilung eines Bleiberechtes nach den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes entgegen“, sagt Maximilian Löchter.
„Abschiebemaßnahme“ scheitert
Vorerst ist S. weiterhin in Deutschland.
Eine „Abschiebemaßnahme“ am 12. Dezember (Dienstag) ist nach Angaben von Maximilian Löchter gescheitert. S. befindet sich in Abschiebehaft in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in Büren (Stand 14.12.).
Nach Informationen dieser Redaktion hat S. sich bei dem Versuch, ihn in ein Flugzeug in die tadschikische Hauptstadt Dushanbe zu bringen, selbst verletzt. Er wurde deshalb in einer Klinik in München behandelt und ist mittlerweile wieder zurück nach NRW gebracht worden.
Haft und Repression drohen
Der weitere Ablauf ist derzeit offen. S. hat einen Anwalt zu Rate gezogen. Es gibt außerdem Menschen, die sich dafür einsetzen, dass er nicht nach Tadschikistan abgeschoben wird, weil ihm dort Haft und Repression drohen würden.
Einer dieser Menschen ist die Dortmunderin Cornelia Suhan. Sie begleitet Abdullohi S., seit er mit 19 in Deutschland ankam, bei vielen formalen Dingen und in Lebensfragen.
„Ich bin auch der Meinung, dass er Fehler gemacht hat. Aber ich weiß auch, dass er ein aufrichtiger Mensch ist, der Unterstützung braucht“, sagt sie.
Mit Behörde kooperiert?
Er sei „Familienvater und Ernährer“, sagt die Dortmunderin. Er hat zwei Söhne (ein und drei Jahre alt). S. habe seit Sommer mit der Behörde zur Klärung seiner Identität kooperiert, sagt die Dortmunderin, „auch, wenn er da schon Angst vor einer Abschiebung hatte“. Die Stadt Dortmund bestätigt, dass S. mittlerweile einen gültigen Pass unter echter Identität besitze.
Der Fall von Abdullohi S. beschäftigt mittlerweile auch Menschenrechts-Aktivisten aus seinem Heimatland. Tadschikische Oppositionelle fordern auf Twitter „sofortiges Handeln“. Es bestehe die Gefahr von „Folter und Inhaftierung“.
Vor vier Jahren hatte das Auswärtige Amt bereits die Abschiebung eines Oppositionspolitikers aus Tadschikistan kurzfristig gestoppt.
Aus Sicht von Cornelia Suhan geht es um eine grundlegende Frage für das Demokratieverständnis eines Staates. „Ich finde es wichtig, dass auch Menschen wie er die Chance bekommen, resozialisiert zu werden.“
„Ausländer zweimal bestraft“
Prof. Dr. Ahmet Toprak, Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Dortmund mit Schwerpunkt auf Migrationsfragen, betont: „Jeder muss sich seiner Handlungen und der Konsequenzen daraus bewusst sein.“ Aber er stellt auch die Frage: „Was macht man mit einem deutschen Straftäter, der nicht abgeschoben werden kann?“
Unabhängig von der juristischen Dimension des Falles verweist er auf die „ethisch-moralische“ Betrachtung dieses Themas.
Nach dieser sei es überlegenswert, dass man Menschen in dem Land, in dem sie eine Straftat begehen, auch die Gelegenheit gibt, sich zu verbessern. Es gebe Handlungen, die objektiv nicht nachvollziehbar oder falsch sein, die aber „aus der Not heraus“ entstünden.
„Man kann nicht einfach sagen: Selbst schuld und dann ist das eben so“, sagt der FH-Professor. „Ein Ausländer wird zweimal bestraft: strafrechtlich und ausländerrechtlich durch die Abschiebung.“
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