Betrug bei stadtenergie Wer auf der „Family & Friends“-Liste stand, wurde nicht abgezockt

DEW-Skandaltocher: Ex-Prokurist führte Liste für „Family & Friends“
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Wohnung und Auto sind bereits durchsucht worden. Die beschlagnahmten Datenträger werden aktuell von den Strafverfolgungsbehörden ausgewertet. Die Ermittler stellen sich vor allem eine Frage: Wie hat es der damalige Prokurist von stadtenergie quasi im Alleingang geschafft, bundesweit rund 70.000 Strom- und Gaskunden im Alleingang mehrfach zu hohe Abschläge und Endabrechnungen unterzujubeln? Und dafür zu sorgen, dass die Muttergesellschaft DEW den Kunden ihrer Unternehmenstochter rund 24,6 Millionen Euro erstatten muss.

Der Name stadtenergie ist so verbraucht, dass die Gesellschaft nach dem Auslaufen der letzten Verträge 2025 wohl abgewickelt wird. Der Ex-Prokurist ist längst freigestellt und steht im Fadenkreuz eines Betrugsverfahrens. Wann das abgeschlossen sein wird, ist weiter offen. „Die Ermittlungen laufen“, heißt es vonseiten der Staatsanwaltschaft.

Dabei werden u.a. die früheren Arbeitskollegen des Ex-Prokuristen befragt. Selbst die Wirtschaftsprüfer von Baker Tilly, die den Fall gemeinsam mit anderen aufgearbeitet haben, dürften über seine Tricks erstaunt sein. Insidern zufolge soll er „planvoll und mit hoher Kriminalität“ vorgegangen sein.

Er soll, wie es heißt, „tief in die Systeme eingriffen haben“. Dabei soll der Ex-Prokurist die mit den Kunden vereinbarten Tarife geändert und zu Lasten der Verbraucher um einige Cent pro Kilowattstunde nach oben geschraubt haben. Um das nicht auffliegen zu lassen, wurden entsprechende Funktionen im Kundenportal von stadtenergie ausgeblendet. „Die Kunden hatten auf bestimmte Angaben keinen Zugriff mehr“, heißt es. Hinweise und Beschwerden seien mit u.a. mit Ausflüchten wie „technische Probleme“ abgetan worden.

Manche Kunden blieben verschont

Mächtig in die Karten gespielt haben ihm offenbar die monatelangen Wirren in 2022, als die Preise für Gas und Strom durch die Decke schossen. Mal war eine Gaspreisumlage im Gespräch, dann eine Gaspreisbremse. Hinzu kam die Mehrwertsteuersenkung für Gas, die ab Oktober 2022 zeitlich befristet eingeführt wurde. „Es ging damals hin und her“, heißt es.

Verbraucher hätten die Situation und den aktuellen Stand der Dinge kaum noch nachvollziehen können. Diese Situation habe sich der Ex-Prokurist zunutze gemacht, indem er beispielsweise die Senkung der Mehrwertsteuer nicht weitergereicht habe. Im Gegenteil: Teilweise seien die Forderungen gegenüber Kunden noch erhöht worden.

Selbst Insider sind verblüfft, wie gewieft und clever die ehemalige Führungskraft vorgegangen sein soll: Zu den Kunden von stadtenergie zählten auch Beschäftigte von DEW und von stadtenergie selbst. Bei ihnen ließ der Ex-Prokurist größte Vorsicht walten – und sparte sie von allen unrechtmäßigen Erhöhungen aus, die er den anderen Kunden aufdrückte. Dafür soll er eigens eine Liste „Familiy & Friends“ angelegt haben.

Termin beim Arbeitsgericht

Die Zahl der dort aufgeführten Namen soll sich in „einem niedrigen, zweistelligen Bereich“ bewegen, wie es heißt. Ihre Abschläge und Endabrechnungen seien "sauber" geblieben. Damit habe der Ex-Prokurist verhindern wollen, dass Leute Verdacht schöpfen, die sich mit dem Thema Energie auskennen könnten. Keiner von ihnen habe gewusst, dass sein Name auf einer solchen Liste stand.

Martin Wyrembeck übernahm 2023 die Geschäftsführung von stadtenergie.
Martin Wyrembeck übernahm 2023 die Geschäftsführung von stadtenergie. © Schaper

Aufgeflogen ist der Skandal trotzdem: Im September 2023 bekam stadtenergie den neuen Geschäftsführer Martin Wyrembeck – der bei der Erstellung des Jahresabschlusses 2023 prompt „erste Unregelmäßigkeiten“ meldete. Das brachte den Stein ins Rollen. Der Ex-Prokurist hat seinen Job verloren, aber beim Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage eingereicht. Die Verhandlung ist auf Mittwoch, 4. Dezember, vertagt. Erwartet wird, dass Martin Wyrembeck, aktueller Geschäftsführer von stadtenergie, vor Gericht erscheint. Ob der Ex-Prokurist auch anwesend sein wird, ist offen.

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