Vor 27 Jahren Nazi schoss ehemaligen Freund nachts in Dorsten mit Pumpgun nieder

Nazi schoss ehemaligen Freund nachts in Rhade mit Pumpgun nieder
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Richter Rudolf Esders war Schwurgerichtsvorsitzender am Landgericht Essen, als ihm 1997 der Pumpgun-Mörder in seinem Essener Sitzungssaal auf der Anklagebank begegnet. Ein strammer Rechter sitzt dort vor ihm: „Er hat mit Sendungsbewusstsein agiert. Nicht eiskalt. Sondern aus der tiefen Überzeugung heraus, dass er mit seinen Taten für eine höhere Sache eintritt“, erinnerte sich Rudolf Esders über den Dreifachmörder. Der Mann sei ein fanatischer, überzeugter Nazi gewesen.

Dieser Angeklagte kassiert für seine Verbrechen an drei Menschen das wohl höchste nur denkbare Urteil eines Strafgerichts in Deutschland: Lebenslänglich, Sicherungsverwahrung, Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und Unterbringung in der Psychiatrie. Damit will das Gericht verhindern, dass der Täter nach Verbüßung seiner Haftstrafe und medizinisch unbehandelt wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Denn: „Der Mann ist brandgefährlich“, so Rudolf Esders.

Wie gefährlich er ist, zeigt sich beim Mord in Rhade an seinem ehemaligen Freund und politischen Weggefährten. Von dem fühlt er sich verraten, weil der ihn bei der Polizei wegen eines Übergriffs angezeigt hat. Als Fememord von Rhade geht das Verbrechen am 15. März 1996 in die Dorstener Verbrechens-Geschichte ein.

Pistole an Kopf gesetzt

Der junge Mann hat den Neonazis und seinem fanatisierten Freund den Rücken gekehrt. Der hatte ihm schon einmal die Pistole an den Kopf gesetzt und ihn bedroht. Die Abkehr verzeiht der Täter ihm nicht. Im Elternhaus der Freundin des Opfers in Dorsten-Rhade kommt es zur finalen Begegnung nach dem „Verrat“.

Am 15. März 1996 klingelt der Mörder spätabends die Mutter des Mädchens aus dem Wohnhaus in Rhade. Er trägt vor, dass er seinen Freund sprechen wolle wegen eines Schadens an dessen Auto. Der junge Mann wird geweckt. Schlaftrunken kommt er die Treppe hinunter.

Ohne ein weiteres Wort mit seinem Gegenüber zu sprechen, zieht der Täter seine Pumpgun hervor und feuert zweimal aus zwei Metern Entfernung aus dem Schrot-Repetiergewehr auf seinen einstigen Weggefährten. Der bricht tödlich getroffen im Treppenhaus zusammen.

Mensch ohne Empathie

Der Täter flüchtet und wird wenig später gefasst. Da hat er noch zwei weitere Menschenleben auf dem Gewissen. Ein Psychopath, so wie eiskalt agierende und manipulierende, persönlichkeitsgestörte Menschen in Kriminalromanen auftreten, sei der Täter nicht, so Richter Rudolf Esders. Sondern „nur“ ein Mensch ohne jegliche Empathie.

„Die hat er nicht“, so der Richter. Aber er sei auch kein hoffnungsloser Fall. Das habe ihm der Gerichtsgutachter Norbert Leygraf zu verstehen gegeben. „Der Mann ist schwierig, aber eine Behandlung scheint nicht aussichtslos“, soll Leygraf Esders im Prozess gesagt haben. Dieser Hinweis zeigt Wirkung bei der Urteilsfindung.

Richter Rudolf Esders, der es im Laufe seiner 17-jährigen Tätigkeit als Schwurgerichtsvorsitzender in Essen mit vielen erbarmungslosen Schwerverbrechern zu tun hatte, begegnet im Februar 1997 dem Angeklagten, 28 Jahre jung und ein Mörder, der ohne mit der Wimper zu zucken, drei Menschen das Leben geraubt hat.

Eine junge Frau tötet er, weil er Angst hat, dass sie ihn verrät. Sie ermordet er zusammen mit einer Komplizin, indem sie sie gemeinsam würgen, mit einem Klappspaten totschlagen und dann in der Erde verscharren. Eine weitere Frau bringt er um, weil sie einen Aufkleber trägt: „Nazis raus“ steht darauf. Der Mörder ordnet sie daraufhin als politisch Linke ein, sucht sie mit einem weiteren Komplizen heim und sticht 91-mal mit einem Messer auf sie ein.

Zehn Verhandlungstage

An zehn Verhandlungstagen im Februar und März 1997 versucht Rudolf Esders, sich in diesen Menschen einzufühlen, der derart schwer Nachvollziehbares begangen hat: Menschen auf grausame Weise um ihr Leben zu bringen, aus Fanatismus, aus politischer Irreleitung. Ein Mensch, der schon als Jugendlicher der menschenverachtenden Ideologie der Nazi folgt.

Und doch: „Der wirkte nach außen hart, innen ist er weich“, so Rudolf Esders über den Angeklagten. „Diese ruchlosen Verbrechen werden immer von schwachen Menschen begangen.“

Obwohl der Täter es mit Rudolf Esders zu tun bekommt und auch mit dem renommierten forensischen Psychiater Norbert Leygraf, öffnet er sich keinem der beiden. „Wir sind eine Elite ohne Angst“, prahlt er in einem rechten Gesinnungsblatt. So geeicht, gesteht der Angeklagte zwar die Morde. Auf mehr als rechte Parolen lässt er sich öffentlich aber nicht ein.

„Vorläufer der NSU“

Überdeutlich ist Rudolf Esders deshalb die stramme rechte Gesinnung des Angeklagten in Erinnerung geblieben. „Der war ein Vorläufer des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrundes.“ Bevor überhaupt der NSU aktiviert wird, gehört der Täter verschiedenen rechtsextremen Vereinigungen wie Wiking-Jugend und der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) an. Er hat Kameradschaftsabende mit Kumpanen, er tauscht Nazi-Erinnerungsstücke mit einem Franzosen aus.

Den lud Richter Rudolf Esders als Zeugen in die Schwurgerichts-Verhandlung ein. Empört reagiert dieser Zeuge, als er als Neonazi bezeichnet wird: „Neonazi? Ich bin ein Altnazi“, wirft er sich im Gericht in die Brust. Im Zuschauerraum sitzen politische Anhänger des Angeklagten, die aus ganz Deutschland angereist sind. „Einer trug schwarze Hosen, braunes Hemd und eine Koppel“, so Richter Esders. Der greift beherzt durch, als der Angeklagte bei der Urteilsverkündung schreit: „Somit haben die Juden ihren Willen bekommen.“ Mehrere Zuschauer applaudieren und johlen.

„Sehr übel genommen“

Esders fragt Zeugen, wer von denen geklatscht habe und ordnet eine dreitägige Ordnungshaft für drei Männer an. „Das hat der Angeklagte mir sehr übel genommen, nicht das Urteil und sein Strafmaß, sondern dass ich seine ‚Kameraden‘ so hart rangenommen habe.“ Rudolf Esders bekam seitdem wegen der latenten Gefahr, in der er schwebt, einmal jährlich eine Meldung von der Polizei in Gladbeck, dem Heimatort des Mannes, den er zu lebenslanger Haft verurteilt hat: Der Täter sitzt noch hinter Gittern.

Rudolf Esders hat trotz der unverrückbaren Verblendung des Schwerverbrechers und der Gefahr, die von dem Mann ausgeht, dafür gesorgt, dass ihm ein Hintertürchen offensteht, um wieder in Freiheit zu gelangen. Denn Rudolf Esders hat bei der Urteilsbegründung mit einfühlsamen Worten in Erinnerung gerufen, dass auch dieser Angeklagte ein Mensch ist. „Ein Mensch in seiner unverlierbaren Würde und seinem unverlierbaren Anspruch auf Achtung, auch wenn er dieses humane Menschenbild jetzt noch nicht versteht.“ „Aber vielleicht tut er das ja eines Tages“, hat Esders noch hinzugefügt.

Dieser Text ist erstmals am 15. März 2019 erschienen.

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