
Ruth Pettenpohl von der Verbraucherzentrale rät allen Verbrauchern, bei den Abschlagszahlungen der Energieversorger genau hinzuschauen. © Beat Linde
Ruth Pettenpohl rät Dorstenern, sich gegen zu hohe Energie-Abschläge zu wehren
Verbraucherzentrale
Mit teils horrenden Abschlagszahlungen konfrontieren einige Energieversorger Dorstener Kunden. Ruth Pettenpohl von der Verbraucherzentrale: „Ein Energieversorger ist keine Geldanlage.“
Seit Oktober 2021 verzeichnet die Verbraucherzentrale in Dorsten laut Leiterin Ruth Pettenpohl „unglaublich viele Nachfragen“. Los ging es damit, dass die Stromanbieter primastrom und voxenergie trotz Verträgen mit Preisgarantie die Preise erhöhten. „Beide Unternehmen sind abgemahnt worden“, so Pettenpohl.
Bei voxenergie sollte eine Kundin beispielsweise 52 Cent pro Kilowattstunde (kWh) zahlen - auf Nachfragen reagierte das Unternehmen nicht. Pettenpohl: „Wir schreiben einmal. Dann schalten wir die Schlichtungsstelle ein. Dann zahlen die Anbieter für jeden Fall 400 Euro.“
Gaszähler: Kunden sollten Stand notieren
Zwei Zahlen zeigen, wie sehr die Verbraucherzentrale gerade gebraucht wird. „Im Jahr 2021 haben wir 37 Rechtsvertretungen und Rechtsberatungen gemacht, 195 sind es in diesem Jahr“, sagt Pettenpohl. Die Mehrheit der Hilfesuchenden habe Probleme mit der Gasversorgung. Weil die Gasumlage bereits in die Erhöhungs-Schreiben der Versorger eingepreist wurde, nun aber doch nicht kommen soll, rät Pettenpohl, jetzt den Zählerstand zu notieren oder abzufotografieren. Um gerüstet zu sein, wenn möglicherweise erst in der Jahresabrechnung auffalle, dass der Anbieter die 2,419 Cent weiterhin eingepreist habe.
Viele Anfragen drehen sich gerade um Verträge, die von Anbieterseite aktuell reihenweise gekündigt werden. „Das ist neu. Sonst waren es immer die Verbraucher, die Verträge gekündigt haben, weil sie was Billigeres gefunden haben“, so Pettenpohl. Wenn sich Anbieter an die Kündigungsfristen hielten, „dann dürfen sie das“, betont Pettenpohl, die etwas schmunzelte, als ein Kunde gefragt habe, ob man den Anbieter dafür nicht verklagen könne.
Der Anbieterwechsel sei aber aktuell „ein bisschen schwierig“, sagt die Leiterin der Dorstener Verbraucherzentrale. Viele Kunden verschafften sich in diesem Fall einen Überblick über die Preise bei den Vergleichsportalen im Internet, doch häufig passiere es, dass der tatsächliche Anbieterpreis den dort genannten bereits in der Realität überholt habe. Pettenpohl rät zu langfristigen Verträgen mit Preisgarantie. „Die sind wirklich rar.“
Ersatzversorgung teurer als Grundversorgung
Wer nicht versorgt ist, fällt zunächst für drei Monate in die Ersatzversorgung mit täglicher Kündigungsmöglichkeit, dann in die Grundversorgung (zwei Wochen Kündigungsfrist). Bislang hatten beide denselben Preis. Pettenpohl rät jetzt, aktiv zu werden und direkt den Grundversorgungsvertrag abzuschließen. Denn: „E.ON hat die Preise bei der Ersatzversorgung angehoben.“
Nicht alle Gasversorger spielen fair. Pettenpohl berichtet von Fällen, in denen Kunden eine Preisgarantie hatten und der Preis trotzdem erhöht worden sei. Nach Beschwerde der Kunden hätten die Versorger dann anders als gedacht reagiert: „Nach dem Motto: Schön, dass Sie gekündigt haben.“ Richtig dreist wird es bei manchen Anbietern, die auf Haustür- und Telefonwerbung setzen. Da habe es schon Kunden gegeben, die am Telefon deutlichst zu verstehen gegeben hätten, dass sie nicht wechseln wollten: „Und dann wurde trotzdem beim alten Anbieter der Vertrag gekündigt.“ Pettenpohls Tipp: „Unhöflich auflegen!“ Und das so schnell wie möglich.
„Heizung ist im Sommer durchgelaufen“
Dass manche Abschlagszahlungen Kunden in Dorsten völlig überfordern, sei derzeit noch die Ausnahme, sagt Pettenpohl. Eine Kundin, die 1.000 Euro verdiene, „sollte 600 Euro Abschlag für Gas zahlen“. Dieser sei auf 450 Euro gesenkt worden. Eine andere Dame, die auf 170 Quadratmetern allein lebt und einen sehr hohen Verbrauch von 50.000 kWh hatte, bekam Energiespartipps: „Da ist die Heizung im Sommer durchgelaufen, das Warmwasser wurde 24 Stunden erwärmt.“

Ein hydraulischer Abgleich einer Heizungsanlage kann Energie sparen. © dpa
Da sei auch der Heizungsbauer gefragt, nach Einsparmöglichkeiten zu schauen. Wer zu energetischer Sanierung, Sparmöglichkeiten, Heizen und Lüften und mehr Tipps benötigt, bekommt diese auf der Seite verbraucherzentrale.nrw. Pettenpohl rät auch, Heizungsmonteure für einen hydraulischen Abgleich und das Einstellen der Heizungsanlage zu kontaktieren.
Selbst wenn die Abschläge formal richtig berechnet sind, gibt es Möglichkeiten diese zu senken. „Abschläge dürfen von beiden Seiten geändert werden mit der Jahresrechnung. Unterjährig nur, wenn gravierende Dinge passiert sind“, so Pettenpohl. Was heißt „gravierend“? „Wenn etwa ein Haus energetisch saniert wurde, eine neue Heizung eingebaut wurde, neue Elektrogeräte angeschafft wurden, die weniger verbrauchen.“ Dann könne man ein paar Monate Buch führen oder eine Tabelle ausfüllen, um dem Energieversorger zu belegen, dass der Verbrauch runtergegangen ist. Selbst wenn das gelingt, müsse der Versorger aber nicht zustimmen, den Abschlag zu senken.
Bei Insolvenzen ist zu viel gezahltes Geld fast komplett weg
Pettenpohl rät dazu, es dennoch zu versuchen. „Es gibt eine Mentalität bei vielen Dorstenern zu sagen: Ich zahle mal lieber mehr, dann muss ich, wenn die Jahresrechnung kommt, nicht nachzahlen“, sagt sie: „Davon muss man weg!“ Denn: „Ein Energieversorger ist keine Geldanlage.“ Besser sei es, ein Extrakonto anzulegen, und Geld für eine eventuelle Rückzahlung draufzupacken. Auch aus diesem Grund: „Wenn ein Versorger strauchelt, bekommt man im Insolvenzverfahren erfahrungsgemäß von zu viel gezahlten Abschlägen nur etwa 5 bis 10 Prozent zurück.“
Auf der Internetseite der Verbraucherzentrale gibt es auch regelmäßige Online-Vorträge über das Energiesparen im Haushalt. Offene Sprechstunden bietet die Verbraucherzentrale montags von 15 bis 18 und freitags von 9 bis 13.30 Uhr an.
Berthold Fehmer (Jahrgang 1974) stammt aus Kirchhellen (damals noch ohne Bottrop) und wohnt in Dorsten. Seit 2009 ist der dreifache Familienvater Redakteur in der Lokalredaktion Dorsten und dort vor allem mit Themen beschäftigt, die Schermbeck, Raesfeld und Erle bewegen.
