
© Guido Bludau
Hunderte Dorstener gaben Schwester Johanna das letzte Geleit
Jahrhundert-Persönlichkeit
Ihr letzter Weg wurde von hunderten Trauergästen begleitet: Dorstens Ehrenbürgerin Schwester Johanna wurde nach einem würdevollen Trauerakt auf dem Agatha-Friedhof beigesetzt.
Es hätte ihr gefallen.“ Langjährige Weggefährten waren sicher, dass Schwester Johanna trotz aller Bescheidenheit mit Wohlwollen auf ihre eigene Beisetzung geblickt hätte. Ein Auferstehungsgottesdienst in „ihrer“ Klosterkirche, ein städtischer Trauerakt für die Ehrenbürgerin und der Trauerzug zum Friedhof bildeten den würdigen irdischen Abschluss eines außergewöhnlichen Frauenlebens. Abschied von einer „Jahrhundert-Persönlichkeit“, wie Bürgermeister Tobias Stockhoff die Ordensfrau in seiner Trauerrede nannte.
Es oblag Franziskanerpater Tobias, dem Auferstehungsgottesdienst für die am 23. Dezember verstorbene Schwester Johanna vorzustehen. Ihr ungeschmückter, heller Eichensarg stand neben dem Altar. Ihre langjährigen Mitschwestern aus dem Ursulinenkloster saßen in der ersten Reihe, auf der anderen Seite des Kirchenschiffs gaben die Honoratioren der Stadt Schwester Johanna die letzte Ehre.
Ein langes Leben im Vertrauen auf Gott
Mit dem Evangelium, dem „Gleichnis von den anvertrauten Talenten“, schlug Pater Tobias in seiner Predigt den Bogen zu Schwester Johanna, einer stillen und bescheidenen Frau, deren Frömmigkeit keine ängstliche Gottesfurcht gewesen sei. Sie habe nicht nur an ihre eigenen Fähigkeiten geglaubt, sondern anderen Menschen stets Mut gemacht, ihre Talente zu nutzen.
Sie habe vertraut auf Gott und ihr Leben aus dem Glauben heraus gestaltet. „Ihre Geschichte mit Gott ist noch nicht zu Ende“, verwies Pater Tobias auf Schwester Johannas Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod.
„Erziehen in Freiheit“ war ihr pädagogisches Grundprinzip
Auch in den Fürbitten, vorgetragen von Mitschwestern, ehemaligen Schülern, Lehrern und Mitstreitern aus dem Jüdischen Museum, wurde noch einmal deutlich, dass Schwester Johanna sich eingesetzt hat für eine Welt, in der Menschen in mündiger Freiheit ihre eigenen Fähigkeiten einsetzen können.
An das Prinzip „Erziehen in Freiheit“ erinnerte im Trauerakt, der sich direkt an den stimmungsvollen Gottesdienst anschloss, auch Ludger Circel von der Stiftung St. Ursula Dorsten und ihre Schulen. Circel las einen Brief von Elisabeth Schulte-Huxel vor, die als Leiterin des Dorstener Gymnasiums eine der Nachfolgerinnen von Schwester Johanna ist, deren Rolle als Visionärin und Vordenkerin dem Kollegium bis heute als Vorbild diene.
Staatssekretär und Regierungspräsident nahmen am Trauerakt teil
Für die Stadt würdigte Tobias Stockhoff im Beisein von Klaus Kaiser, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, und Regierungspräsidentin Dorothee Feller das Leben Schwester Johannas. Er sprach den Mitschwestern sein Beileid aus und dankte der klösterlichen Gemeinschaft für die Zuwendung und Pflege, die sie ihrer Mitschwester in den letzten Jahren habe zuteilwerden lassen.
Er blickte auf ihr Leben zurück, das eine Verpflichtung für Gegenwart und Zukunft darstelle. Geboren 1926 als Tochter einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters, erhielt sie in Recklinghausen eine jüdische Erziehung. Dennoch wurde sie 1933 zum Schutz gegen die Verfolgung durch die Nazis römisch-katholisch getauft. 1936 schickten die Eltern sie ins Internat des Gymnasiums St. Ursula in Dorsten, wo sie vor der Judenverfolgung weitgehend geschützt war. Ihre Herkunft wurde von den Ordensschwestern geheim gehalten.
Mutige Aufarbeitung „moralischer Trümmerberge“
Die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus in Dorsten ab den 1980er-Jahren, so Tobias Stockhoff, sei mutigen Bürgern und Bürgerinnen wie Schwester Johanna zu verdanken, die durchaus gegen Widerstände und trotz Skepsis damit begonnen hätten, die moralischen Trümmerberge nach dem Zweiten Weltkrieg zu sortieren.
Dr. Norbert Reichling, Leiter des Jüdischen Museums, lobte Schwester Johanna nach rund 40-jähriger Zusammenarbeit und Freundschaft als großes Vorbild: „Was konnten wir alles von ihr lernen!“ Er verriet der Trauergemeinde, dass dazu auch die Erkenntnis gehöre, dass Schwester Johanna das Kindheitstrauma der Judenverfolgung nie ganz überwunden habe. „Sie fürchtete auch im hohen Alter noch den antisemitischen Exzess, den (jiddisch, Anm. d. Redaktion) Risches.“
Stilles Innehalten am Rande des Trauerzuges
Wie hoch geschätzt Schwester Johanna auch in der Stadtgesellschaft war, zeigte nicht nur die Teilnahme von Hunderten Menschen an der Trauerfeier, sondern auch die stille Ehrerbietung zahlreicher Passanten entlang des Trauerzuges.
Der hielt zwischen der Klosterkirche und dem Friedhof an der Gladbecker Straße dreimal für ein kurzes Gedenken an: am Kloster, wo die Blaskapelle „Großer Gott wir loben Dich“ spielte, am Gymnasium, wo „Die Gedanken sind frei“ gesungen wurde, und am Jüdischen Museum, wo ein Trompeter das israelische Lied „Jerusalem aus Gold“ spielte, das zuvor in einer deutschsprachigen Fassung schon als das Geistliche Lied „Ihr Mächtigen, ich will nicht singen eurem tauben Ohr“ als Schlusslied im Gottesdienst erklungen war.
Letzte Ruhestätte auf dem Friedhof St. Agatha
Es war nicht nur dieses Lied an diesem Standort, das am Tag der Beisetzung an die Spannung zwischen der Jüdin Ruth Eichmann und der katholischen Ordensfrau Schwester Johanna erinnerte. Schwester Johanna hat ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof St. Agatha an der Gladbecker Straße gefunden.
Geboren und geblieben im Pott, seit 1982 in verschiedenen Redaktionen des Medienhauses Lensing tätig. Interessiert an Menschen und allem, was sie anstellen, denken und sagen.
