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„Tarifvertrag“ für Tagesmütter? „Wir dürfen gar nicht mitbestimmen“
Neue Richtlinien der Stadt
Mehr Urlaubs- und Krankentage für Tagesmütter und -väter hat der Jugendhilfeausschuss beschlossen. Die Neuregelung reißt die Betroffenen aber nicht vom Hocker. Sie wollen mehr als das.
Mona Perplies ist eine von 60 aktiven Tagespflegepersonen in Dorsten, die 180 Dorstener Kinder unter drei Jahren betreuen. Ihre verantwortungsvolle Tätigkeit üben sie als Selbstständige aus. „Wir tragen das volle Risiko. Man tut aber nur wenig für uns“, sagt Mona Perplies. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen vermissen die öffentliche Wertschätzung und bessere Absicherung im Krankheits- und Vertretungsfall gerade auch unter Corona-Bedingungen - kurzum Regelungen, „die uns weniger Existenzängste bereiten“.

Tagespflegepersonen, wie die Dorstenerin Miriam Wolfrath, arbeiten in Pandemie-Zeiten unter erschwerten Bedingungen. Die selbstständig Tätigen suchen nun den öffentlichen Austausch, um sich mehr Gehör zu verschaffen. © Bastian Becker (A)
Einige der 60 Tagespflegepersonen sehen kritisch, dass sie bei der Ausgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen keine Mitsprachemöglichkeiten haben. Das habe sich gezeigt, als der Jugendhilfeausschuss in seiner jüngsten Sitzung vergangene Woche die Richtlinien zur Förderung der Kindertagespflege in Dorsten verabschiedet hat: „Wir haben erst einen Tag vor der Sitzung Kenntnis davon bekommen, obwohl wir schon im vergangenen Jahr um ein Gespräch mit der Stadtverwaltung gebeten haben.“
Die Stadt sagt indes, dass sie alle Tagespflegepersonen in Dorsten am 25. Januar per E-Mail informiert haben „Sie haben einen Link zu der entsprechenden Verwaltungsvorlage bekommen“, sagt Stadtsprecher Ludger Böhne.
Tagespflegepersonen wollen Interessengemeinschaft gründen
Ein Link statt Gespräch? Einige Tagesmütter und -väter wollen sich nun als Gruppe zusammenschließen. „Wir planen, eine Interessengemeinschaft zu gründen“, kündigt Mona Perplies an. Ziel sei es, Anliegen der Tagesmütter und -väter in Dorsten in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und einen besseren Informationsaustausch sicherzustellen.
Die Stadt stellt auf unsere Anfrage klar: „Pflichten und Rechte der Tagespflegepersonen werden von den Jugendämtern erarbeitet und von den politischen Gremien verabschiedet. Eine Mitbestimmung ist grundsätzlich nicht vorgesehen - wenngleich ein aktiver Austausch mit den Tagespflegepersonen gelebt wird.“
Stadtsprecher Ludger Böhne betont aber: „Wir wissen, dass in der Tagespflege Großartiges geleistet wird und empfinden hohe Wertschätzung für die Menschen, die hier tätig sind.“ Der Wunsch nach Verbesserungen sei nachvollziehbar. „Allerdings muss allen Akteuren auch bewusst sein, dass die Freiheit der Selbstständigkeit nicht bedeuten kann, zugleich alle Vorteile einer abhängigen Beschäftigung genießen zu können.“
Bewusst die selbstständige Tätigkeit gewählt
Mona Perplies macht keinen Hehl daraus, dass sie bewusst die selbstständige Tätigkeit gewählt hat. „Ich bin Mutter von vier Kindern und konnte so Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Ich mache meinen Job in der Großtagespflege ‚Schneckenhäuschen‘ gerne - er gibt mir die Flexibilität als Mutter und Berufstätige.“ So seien ihre Zwillinge in der Gruppe ihrer Kollegin untergebracht, während sie andere Kinder betreue. Eine gute Lösung, die aber aus ihrer Sicht eben auch Haken hat.
„Wir müssen von 7 bis 17 Uhr da sein und tragen finanziell doppelte Belastungen“, so Perplies. Die Miete für die Räumlichkeiten der Tagespflege genauso wie die Miete für die eigene Wohnung. „Richtig ist, dass wir gut verdienen, aber wir zahlen auch alle Versicherungen, Gewerbehaftpflicht und Gewerbehausrat, selbst.“ Unterm Strich bliebe nach Abzug aller Ausgaben weniger übrig als bei den Angestellten in einer städtischen Kita, behauptet sie. „Dabei bekommt die Stadt Landeszuschüsse zu den Sozialleistungen wie Kranken- und Rentenversicherung für uns.“
„Die Mittel des Landes sind keineswegs auskömmlich“
Dass die Zuschüsse zu den Sozialversicherungen aus Zuschüssen des Bundes und Landes zu 50 Prozent bestritten werden, sei falsch, entgegnet die Stadt. „Tatsächlich hat das Land die Zuschüsse für die U3-Betreuung insgesamt erhöht. Aus diesen Mitteln sollen auch die Tagespflegeplätze mitfinanziert werden. Diese Mittel sind keineswegs auskömmlich“, sagt Stadtsprecher Ludger Böhne. Und ergänzt: „Für Tagespflegeplätze erhält Dorsten vom Land in einem Jahr etwa so viel wie für einen Kita-Platz im Monat.“
Die Verwaltung erläutert zudem, dass „alle entstehenden Mehrkosten von der Gemeinschaft aller Steuerzahler finanziert werden müssen, die bereits jetzt schon rund 85 Prozent der Betreuungskosten trägt. Nur 15 Prozent werden durch Elternbeiträge gedeckt.“
Kibiz-Gesetz ist zweimal geändert worden
Zum beruflichen Status der Tagespflegepersonen in Dorsten sagt Stadtsprecher Ludger Böhne: „Kindertagespflegepersonen sind Selbstständige, die nach Fortbildung im Auftrag der Stadt Dorsten Kinderbetreuung anbieten. Die Pflichten und Rechte werden in den kommunalen Richtlinien geregelt.“ Diese Richtlinien mussten überarbeitet werden, weil die geltende Richtlinie der Stadt aus 2011 datiert.
„Das war längst überfällig“, kommentiert Mona Perplies. Zweimal sei in den vergangenen zehn Jahren das Kibiz-Gesetz vom Land geändert worden. Die Stadt habe erst jetzt reagiert, obwohl Tagespflegepersonen schon 2015 beim Bürgermeister auf eine Anpassung gedrungen hätten.
Wahl eines Sprechergremiums wird unterstützt
Sowohl Tagespflegepersonen als auch Stadt wollen den Verständigungsprozess pflegen. Die Tagespflegepersonen, die sich zu einer Interessengemeinschaft zusammenschließen auf der einen Seite, die Stadtverwaltung auf der anderen Seite. „Die Stadt sieht einen Regelungsbedarf und hat am 1. Februar mitgeteilt, dass sie die Wahl eines Sprechergremiums mit vorherigem gemeinsamen Kennenlernen organisieren und unterstützen wird.“
Seit 20 Jahren als Lokalredakteurin in Dorsten tätig. Immer ein offenes Ohr für die Menschen in dieser Stadt, die nicht meine Geburtsstadt ist. Das ist Essen. Ehefrau, dreifache Mutter, zweifache Oma. Konfliktfähig und meinungsfreudig. Wichtige Kriterien für meine Arbeit als Lokalreporterin. Das kommt nicht immer gut an. Muss es auch nicht. Die Leser und ihre Anliegen sind mir wichtig.
