Nach fast sechs Jahrzehnten Kult-Kiosk in Dorsten schließt das Tresen-Fenster für immer

Annettes Kult-Kiosk in Holsterhausen schließt Tresen-Fenster für immer
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Hannelore Zacharias kauft am kleinen Tresen-Fenster des Kiosks ihre Fernsehzeitung und die Lieblings-Illustrierte. Wie jede Woche - und „das schon seit Jahrzehnten“. Die Zeitschriften hätte sie sich doch all die Jahre auch bequem per Abo nach Hause schicken lassen können, oder? „Nee, nee“, sagt sie. „Dann hätte ich ja auf die vielen persönlichen Schwätzchen hier an der Bude verzichten müssen.“

Deshalb ist Hannelore Zacharias sehr traurig, dass der Kiosk an der Martin-Luther-Straße/Ecke Mittelstraße zum Jahresende schließen wird - für immer. „Das fällt mir jetzt schon schwer, daran zu denken“, sagt die Kundin. Und so empfinden derzeit sicher viele Holsterhausener. Denn die Verkaufs- und Trinkhalle der Familie Kuhn war eine Institution im Ortsteil.

„1994 hatte ich den Kiosk von meinem damals verstorbenen Vater übernommen“, erzählt Inhaberin Annette Winkler (geborene Kuhn), „aber ganz so lange wie meine Eltern habe ich am Ende dann doch nicht gemacht“. Maria und Josef Kuhn führten das Geschäfte zuvor nämlich 30 Jahre lang mit Leib und Seele, ab 1964 zunächst aus der Garage um die Ecke, später dann aus dem Anbau ihres Eigenheimes heraus.

Seit sie sieben Jahre alt ist, hat auch Tochter Annette, die später eine Ausbildung zur Schaufenstergestalterin machte, helfenderweise einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend in dem engen Kiosk verbracht. Sie kann sich noch gut daran erinnern, wie vor 58 Jahren alles begann. Mit Wicküler-Bier und dem Schoppen Korn, mit Zigarettenmarken, die es längst nicht mehr gibt, mit Rollmöpsen und Gurken und schon damals mit vielen Klümpkes. Mit der Zeit wurde das Sortiment immer größer. „Zwischendurch waren wir so rappelvoll wie ein Tante-Emma-Laden“, weiß die 64-Jährige noch ganz genau. Über Schulbedarf und Groschenromane bis hin zu Zucker, Mehl und Kaffee – alles war vorhanden.

Stammkundin Hannelore Zacharias hält immer ein Schwätzchen mit der Kiosk-Besitzerin, wenn sie ihre Fernsehzeitschrift und die Lieblings-Illustrierte kauft.
Stammkundin Hannelore Zacharias hält immer ein Schwätzchen mit der Kiosk-Besitzerin, wenn sie ihre Fernsehzeitschrift und die Lieblings-Illustrierte kauft. © Michael Klein

„Sogar Strumpfhosen haben meine Eltern verkauft - mancher Frau fiel nämlich erst sonntags vor dem Kirchgang auf, dass sie neue brauchte“, erzählt die Besitzerin. Auch Kunde Dirk Wilke, dessen Familie schon seit vier Jahrzehnten mit den Kuhns befreundet ist, war immer froh, dass er an Wochenenden hier das vorfand, was ihm zu Hause ausgegangen war. „Häufiger bin ich mit dem Moped hier sonntags hingefahren, weil ich mal wieder Kaffeefilter brauchte“, erzählt er.

Dirk Wilke betont: „Wenn Annette zumacht, bricht hier irgendwas weg.“ Denn der Kiosk ist einer der letzten in Dorsten. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es allein in Holsterhausen 18 Trinkhallen gegeben hatte“, sagt Annette Winkler.

Damals, als die Zeche noch in Betrieb war. Damals, als die Leute abends und an Wochenenden auf Kioske angewiesen waren, wenn sie auf die Schnelle etwas benötigten.

„Margen immer geringer“

„Doch heutzutage haben Supermärkte und Discounter teilweise bis 22 Uhr auf und die Tankstellen sind zu kleinen Supermärkten geworden“, sagt die Inhaberin: „Da ist es für uns schwer geworden.“ Im Durchschnitt habe sie nur noch 200, 300 Euro Umsatz am Tag, „auch weil die Margen bei Zigaretten und Süßigkeiten immer geringer geworden sind“.

Dazu die gestiegenen Energiepreise - und ein heftiges gesundheitliches Alarmsignal. „Ich hatte kürzlich einen Schlaganfall“, erzählt die Holsterhausenerin. „Der ging zwar Gott sei Dank glimpflich aus, aber meine Familie meinte, jetzt ist es Zeit, sich zur Ruhe zu setzen“.

Annette Winkler
Die Inhaberin Annette Winkler im kleinen Innenraum ihres Kiosks © Michael Klein

Noch eine letzte Inventur - und dann ist es soweit. Seit bekannt geworden ist, dass sie ihren Traditions-Kiosk schließt, haben viele Dorstener und Ex-Dorstener ihr Bedauern darüber ausgedrückt, auch im Internet in einer Dorstener Facebook-Gruppe. „Es kommen mir manchmal vor Rührung die Tränen, wenn ich dort die Kommentare der Leute lese“, so die Besitzerin. „Viele von ihnen haben schon als Kinder hier ihre Süßigkeiten gekauft.“

Jubiläumsgeschenk

Auch Dirk Wilke hat nur gute Erinnerungen an den Kiosk. „Das liegt auch daran, dass nie die Leute herumstanden, die hier Alkohol getrunken haben, wie es bei vielen anderen Trinkhallen der Fall ist“, meint er. „Dafür hat auch schon Vater Kuhn immer gesorgt.“

Wie beliebt das Büdchen war, davon künden nicht nur die vielen Urlaubs-Postkarten, die die Kunden geschrieben haben. Sondern auch das grüne T-Shirt, das Annette Winkler anlässlich des 50-jährighen Geschäftsjubiläums im Jahr 2014 geschenkt bekommen hat: „Annette’s Kult-Kiosk“ steht dort ganz groß drauf.

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