Kirchenaustritte in Dorsten auf Rekordniveau „Stimmt mich traurig, aber was soll man machen?“

Mehr als 1.000 Kirchenaustritte in Dorsten im Jahr 2022
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Die Welle an Kirchenaustritten ist weiter ungebrochen. Im vergangenen Jahr sind in Dorsten 1.016 Menschen aus der Kirche ausgetreten. Das teilte das Dorstener Amtsgericht auf Nachfrage mit. Die Römisch-katholische Kirche verlor demnach 720 Mitglieder, bei der Evangelischen Kirche waren es 296 Austritte.

Zum Vergleich: Im Jahr 2021 hatte es in Dorsten insgesamt 544 Austritte gegeben, 348 Katholiken und 196 Protestanten.

Pfarrer Dr. Stephan Rüdiger erfuhr am Mittwoch im Gespräch mit der Dorstener Zeitung zum ersten Mal von den dramatischen neuen Zahlen. „Das stimmt mich traurig, aber was soll man machen?“, sagte Dorstens Dechant.

Ein bisschen Resignation schwingt da schon mit. Die Pfarrei St. Agatha setzt sich schon länger offensiv für Reformen in der katholischen Kirche ein, formulierte konkrete Vorschläge und startete unter anderem eine Petition. Pfarrer Rüdiger bietet außerdem jedem, der die Kirche verlassen will, ein Gespräch an, doch das Angebot nimmt kaum jemand wahr.

Für Stephan Rüdiger verteilt sich das Problem auf zwei Ebenen. Einerseits würden Menschen schlicht des Geldes wegen austreten. Das könne er nachvollziehen: „Wenn man den Euro dreimal umdrehen muss und keine innere Beziehung zur Einrichtung Kirche hat, dann ist der Schritt schnell getan und das möchte ich moralisch auch gar nicht bewerten.“

Die andere Ebene seien die Menschen, die ganz bewusst die Kirche verlassen. „Weil sie sagen, dass die Kirche von gestern ist und zu wenig bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen macht.“

Pfarrer Karl-Erich Lutterbeck
Pfarrer Karl-Erich Lutterbeck ist nicht bange um die Zukunft der Kirche. Er sieht Beziehungsarbeit als zentrale Aufgabe. © privat

Resigniert hat Pfarrer Rüdiger freilich nicht. Wenn man die Erneuerung der Kirche im Sinne des Synodalen Weges wirklich mal ernsthaft angehen würde, könne die Kirche auch ein Stück weit Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und ihr verstaubtes Image loswerden. „Dann würden sich manche einen Austritt sicher noch mal überlegen, davon bin ich überzeugt.“

„Im letzten Jahr haben zu den verstärkten Austritten zum einen sicher die Diskussionen um die Katholische Kirche beigetragen, die merkwürdigerweise auch immer auf die Evangelische Kirche abfärben“, sagte Pfarrer Karl-Erich Lutterbeck von der Evangelischen Kirchengemeinde Dorsten. Auch er nennt wirtschaftliche Gründe, Stichwort Inflation. „In beiden Fällen ist aus meiner Sicht der Austritt aber das Ergebnis einer längerfristigen Entfremdung vom christlichen Glauben.“

Und genau hier liegt nach Ansicht von Pfarrer Lutterbeck die Herausforderung vor Ort als auch auf höherer Ebene. Dreh- und Angelpunkt für den christlichen Glauben sei Jesus Christus. „Christen sind Menschen, die dem Weg von Jesus Christus folgen, wie die Bezeichnung schon sagt, sich an ihm orientieren, ihm vertrauen und ihn deshalb in ihr Leben einbeziehen.“

Deshalb sei Beziehungsarbeit die zentrale Aufgabe. Im Grunde gehe es darum, das, was den Glauben und Kirche ausmache, wieder in den Vordergrund zu rücken. „Der Glaube, wenn er ernsthaft ist, sucht die Gemeinschaft mit anderen.“

Am Dorstener Amtsgericht wartet man laut eines aktuellen Berichts des NRW-Justizministeriums übrigens etwa eine Woche auf einen Termin für einen Kirchenaustritt. Das ist vergleichsweise wenig. In Marl sind es schon drei Wochen, in Castrop-Rauxel gar zwei Monate. Am längsten wartet man NRW-weit in Neuss auf einen Termin für einen Kirchenaustritt - dreieinhalb Monate.

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