Als Gerrit Nattler vor wenigen Tagen Notdienst hatte in der Elisana-Apotheke im Stadtsfeld, wurde ihm die ganze Dramatik der Situation noch einmal bewusst. „Bei etwa einem Drittel der 40 Patienten war das gewünschte Medikament nicht vorrätig“, sagt er.
Normalerweise sind bei Gerrit Nattler und seiner Kollegin Nicole Fimpler, die gemeinsam in Dorsten vier Elisana-Apotheken betreiben, mehr als 90 Prozent der gewünschten Arzneimittel da. „Und wenn nicht, liefern wir sie binnen zwei bis vier Stunden nach“, sagt der Apotheker. Derzeit stehen im Apotheken-Verbund allerdings über 400 Artikel überhaupt nicht zur Verfügung.
In vielen anderen Apotheken in Dorsten sieht es nicht besser aus. „Das wirklich Dramatische an diesem Engpass aktuell ist, dass es nun, anders als in den vorherigen Jahren, viele Medikamente trifft, die man nicht ohne Weiteres gegen Wirkstoff-gleiche andere Artikel austauschen kann“, betont Nattler. Oft fehle der Wirkstoff in ganz Deutschland und keine Firma könne für Nachschub sorgen.
Patienten sind verzweifelt
Gerade im Bereich Antibiotika, fiebersenkenden Mitteln für Kleinkinder und bei Herzmedikamenten führt dies nach Ansicht des Dorstener Apothekers zu einer unhaltbaren Situation. „Einige Patientinnen und Patienten sind regelrecht verzweifelt und dankbar, wenn wir - auch in Rücksprache mit dem Arzt - zumindest eine Lösung finden.“

Die Elisana-Apotheken, Gerrit Nattler führt auch noch zwei weitere in Gelsenkirchen, haben eine Stabsstelle eingerichtet, die sich tagtäglich damit befasst, den Nachschub so gut es eben geht zu organisieren. „Das kostet Zeit, Geld und Nerven, gerade, wenn man trotz aller Bemühungen die benötigten Artikel doch nicht bekommt.“
Die Ursache für die dramatische Lage sieht der Apotheker vor allem im Preisverfall vieler Arzneimittel. „Die Krankenkassen zahlen für viele Basismedikamente heute nur noch Centbeträge. Daher bleibt insbesondere den sogenannten Generikaherstellern nichts anderes übrig, als in Asien zu produzieren oder zumindest die Wirkstoffe dort zu beziehen.“
Zäpfchen günstiger als Bonbons
Zehn fiebersenkende Zäpfchen für Kleinkinder kosten mittlerweile weniger als einen Euro, rechnet Nattler vor. „Bonbons sind doppelt so teuer.“
Wegen der Null-Covid-Politik in China und der allgemeinen Lieferketten-Problematik komme die Ware nur verzögert oder in geringeren Mengen in Deutschland an. „Und da hier nur Centbeträge bezahlt werden, landen die wenigen Mengen an Wirkstoffen oder fertigen Arzneimitteln häufig in Ländern, die zumindest etwas mehr bezahlen, wie zum Beispiel Österreich“, erklärt der Fachmann. „Das kann ich sogar verstehen.“
Die Apothekerverbände weisen auf diese entstehende Problematik laut Nattler seit Jahren hin. „Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Immerhin reagiert nun die Politik. Natürlich sehr spät und auch nicht vollumfänglich, aber immerhin.“
Dass in dieser Phase zusätzlich zu den steigenden allgemeinen Kosten und Personalkosten jetzt noch die Vergütung für die Apotheken ab Februar 2023 sinkt, spreche für sich, gerade, was die Wertschätzung der Apotheken in Deutschland angehe.
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