Keine Angst vor dem Arzt
Schuleingangsuntersuchung
Viele Dorstener Eltern, deren Kinder 2018 eingeschult werden, finden in diesen Wochen einen Brief vom Gesundheitsamt im Briefkasten. Darin die Einladung zur Schuleingangsuntersuchung. Manchmal löst diese Post Sorgen aus. Muss sie aber nicht.

Wiebke Selle will Eltern die Sorge vor der Schuleingangsuntersuchung nehmen. "Oft kann man Kinder zu Hause mit einfachen Methoden fit für die Schule machen." Wie, steht in den Flyern.
Die Sorgen haben nicht die Kinder, sondern ihre Erziehungsberechtigten. „Die Eltern sind vor der Schuleingangsuntersuchung oft nervöser als die Kinder“, berichtet Dr. Wiebke Selle, die 17 Jahre lang als Jugendärztin Kinder vor ihrer Einschulung untersucht hat.
Entwicklungsscreening
Die Schuleingangsuntersuchung beinhaltet ein standardisiertes, in ganz NRW angewandtes, sozialpädiatrisches Entwicklungsscreening. Die Eltern hätten oft Angst, dass die Ärzte dabei etwas finden könnten und vor den Konsequenzen. Eltern diese Sorge zu nehmen, ist der heutigen Ressortleiterin für den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst beim Kreis Recklinghausen ein großes Anliegen – nicht nur vor der eigentlichen Untersuchung, sondern auch vor dem Fragebogen, der der Einladung, von den Eltern manchmal auch als „Vorladung“ betitelt, beiliegt.
Sinn des Fragebogen
In dem Fragebogen wird nach ernsthaften Krankheiten in der Familie gefragt, Besonderheiten und Problemen in der Schwangerschaft und bei der Geburt und nach der Entwicklung des Kindes. Wann war es trocken? Wann konnte es laufen? Wann kamen die ersten Wörter? Warum sollen Eltern diese Fragen vor der Untersuchung beantworten? „Je mehr Informationen die Ärztin bekommt, desto besser kann sie die Untersuchung einschätzen und bewerten“, erklärt Wiebke Selle.
Wenn zum Beispiel ein Kind zu früh geboren wurde, könne das Entwicklungsverzögerungen erklären. Wenn ein Kind Asthma habe und bei längerem Laufen Probleme bekomme, dann kann das unter anderem für den Sportunterricht von Belang sein. „Das heißt allerdings nicht, dass wir das Kind schon vor der Untersuchung in eine Schublade stecken“, betont Selle. Außerdem würden manche Eltern das Vorsorgeheft und den Impfpass, der dringend zur Untersuchung mitgebracht werden muss, vergessen.
„Und dann ist der ausgefüllte Fragebogen umso wichtiger.“ Dem Brief liegt auch ein Bogen zu „Freiwilligen Angaben zur Berufs- und Schulausbildung der Eltern“ bei. Darauf wird angekreuzt, bei wem das Kind hauptsächlich lebt, welchen Schulabschluss und welche Ausbildung die Eltern haben. „Auch das dient nicht dazu, das Kind in eine Schublade zu stecken, und wir legen Wert darauf, dass diese Angaben erst nach der Schuluntersuchung eingetragen werden.“
Anonymisierte Daten
Es gehe nur um eine statistische Erhebung mit anonymisierten Daten zum familiären und sozialen Status von Schulanfängern. „Das kann auch politische Relevanz haben, zum Beispiel aussagen, ob die Chancen für Kinder in Deutschland gleich verteilt sind.“ Die Untersuchung selbst findet dann im Dorstener Gesundheitsamt statt. „Die Medizinische Fachangestellte hat den ersten Kontakt zu den Eltern und nimmt die Angaben der Eltern aus dem Fragebogen, Impfpass und Vorsorgeheft auf.“
Dann wird der erste Teil der Untersuchung, der 20 bis 30 Minuten dauert, mit den Kindern allein gemacht. Dabei werden Gewicht und Größe festgestellt, verschiedene Tests gemacht, die das Sehen, Hören, die Aufmerksamkeit beinhalten. Spielerisch wird das Verständnis von Zahlen- und Mengenverhältnissen geprüft. „Kinder sind oft ganz fixiert auf Zahlenspiele“, weiß Wiebke Selle um den Spaß, den viele Kinder dabei haben.
Die Medizinische Fachangestellte bewertet das Können des Kindes auf einem Bogen. „Auffällig, grenzwertig und unauffällig sind die Abstufungen.“ Die Mädchen und Jungen werden auch aufgefordert zu malen. „Dabei kann man erkennen, ob das Kind Links- oder Rechtshänder ist, wie sicher die Stiftführung ist.“ Beim zweiten Teil der Untersuchung bei der Jugendärztin sind Mutter oder Vater wieder dabei. „Das ist wichtig, weil wir die Ergebnisse ja mit den Eltern besprechen wollen und es ist einfacher, wenn sie selbst das Kind bei der Untersuchung beobachten können. Aber die Eltern sollen sich zurückhalten, weil sie die Kinder sonst unter Druck setzen.
Körperliche Untersuchung
„Ich weiß, dass das schwer ist“, sagt Wiebke Selle, die selbst Mutter ist, verständnisvoll. Neben einer körperlichen Untersuchung wird auch die Koordination überprüft zum Beispiel durchs Hüpfen. „Da können wir dann sehen, wie die Körperspannung der Kinder ist und ob vielleicht ein Bewegungsmangel vorliegt“, sagt Selle. „Nicht jeder ist ein Boris Becker“, weiß sie auch. „Aber es wäre schön, wenn wenigstens ein Mittelmaß erreicht werden könnte.“ Auch das Sprechen wird getestet – Satzbau, Aussprache und vieles mehr. Die Ergebnisse der Untersuchung werden dann mit den Eltern besprochen. „Und nicht alles, was vielleicht nicht super gelaufen ist, ist gleich therapiebedürftig“, sagt Wiebke Selle beruhigend. Oft gehe es nur darum, einzelne Bereiche zu Hause zum Beispiel durch Spielen und Vorlesen zu unterstützen – und die Kinder zum Sport zu animieren. „Übergewicht ist manchmal auch ein recht heikles Thema, weil wir oftmals ja nicht die Ersten sind, die das Übergewicht beim Kind ansprechen. Aber wir müssen es ja trotzdem tun.“
Flyer voller Vorschläge und Hilfsadressen werden mitgegeben. „Wir sind nicht die Polizei, können und wollen die Eltern nicht zu etwas zwingen. Aber wir zeigen auf, was sich entwickelt, wenn man jetzt nichts macht.“ Das werde aber freundlich gemacht, sodass es am Ende von den Eltern oft heiße: „So schlimm war es doch gar nicht.“
Wann die Eltern Post bekommen, hängt davon ab, wie alt das Kind für seinen Jahrgang ist. Die älteren Kinder werden zuerst eingeladen. Es heißt zwar „Einladung zur Schuleingangsuntersuchung“, aber diese Einladung ist verbindlich und im Schulgesetz verankert. Der Termin muss also wahrgenommen werden. Etwa 5000 Kinder werden jedes Jahr im Kreis Recklinghausen zur Schuleingangsuntersuchung eingeladen.