Das Jahr 2020 markiert einen Meilenstein in der Geschichte der Dorstener Kommunalpolitik. Die CDU gewann die absolute Mehrheit. Die Grünen erreichten ihr bestes Ergebnis, die SPD ihr seit Langem schlechtestes. Die AfD zog erstmals in den Stadtrat ein.
Zwei Jahre später hat sich vieles eingeruckelt in dem buntesten Kommunalparlament aller Zeiten. Die Linke und Die PARTEI haben eine Fraktionsgemeinschaft gebildet, der Einzelkämpfer der FDP kämpft um Beachtung. Business as usual? Nein, hinter den Kulissen ist die Sorge groß, dass die politische Arbeit in Dorsten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch schwerer wird.
Freude bei den Grünen
Der Grund: Vor allem die großen Parteien in Dorsten haben seit dem Kommunalwahljahr 2020 signifikant Mitglieder verloren. Andere sind schon froh, wenn die Zahl der Parteitreuen halbwegs konstant bleibt. Einziger Gewinner laut einer aktuellen Umfrage dieser Zeitung: die Grünen.
„Wir verzeichnen einen Mitgliederzuwachs von 70 Prozent“, sagt Claas Römer, Sprecher des Ortsverbandes. 61 Mitglieder waren es am 1. November, zwei Jahre zuvor lediglich 36. Römer glaubt zu wissen, woran das liegt. „Der Klimawandel wird jetzt vor der eigenen Haustür spürbar und sensibilisiert zunehmend.“
Bei den Grünen herrscht ob dieser Entwicklung eitel Sonnenschein, über vielen anderen Parteien sind längst dunkle Wolken aufgezogen. Aber auch dort gibt es vereinzelt Lichtblicke.
CDU: Die größte Partei Dorstens hat aktuell 610 Mitglieder, Ende 2020 waren es 646. „Die acht Ortsverbände haben zwischen 50 und 120 Mitglieder“, teilte Parteisprecherin Maje Oberschachtsiek mit. Erfreulich aus CDU-Sicht: Die Junge Union hat in Dorsten 67 Mitglieder. Das macht Hoffnung. Ebenso: Die meisten Eintritte verzeichnet die CDU in der Altersspanne von 30 bis 50 Jahren.

SPD: Die Sozialdemokraten haben seit 2020 lediglich 15 Mitglieder verloren (jetzt 328), seit 2012 allerdings fast 150. Was zudem Sorge bereitet: Zwei Drittel der Mitglieder sind älter als 60 Jahre. „Wir können zahlreiche Neueintritte verzeichnen, jedoch gleicht das die Austritte durch Politikverdrossenheit und einige wenige Todesfälle nicht aus“, bestätigt Vorsitzende Nina Horbelt.
FDP: Die Mitgliederzahl bei den Liberalen in Dorsten ist trotz des schlechten Kommunalwahlergebnisses nahezu konstant bei knapp 40. Vorsitzender Thomas Boos ist überzeugt, dass die Mitgliederentwicklung „immer unmittelbar im Zusammenhang mit landes- und bundespolitischen Ereignissen und Entwicklungen bzw. Stimmungen“ steht. Immerhin: Sieben Mitglieder (18 Prozent) der FDP Dorsten sind unter 25 Jahre alt.
Ursachenforschung
Die AfD reagierte auf eine Anfrage überhaupt nicht*, Die PARTEI konnte nach eigenen Angaben keine Zahlen nennen, weil „die Mitgliedschaften aus Datenschutzgründen beim Bundesverband verwaltet werden“. Die Linke nannte ebenfalls keine Zahlen, nach Auskunft von Parteisprecher Jan-Philipp Weil ist die Mitgliederzahl „insgesamt stabil geblieben“.
Doch was sind die Gründe für das insgesamt sinkende Interesse an parteipolitischer Arbeit? „Die Pandemie hat leider dazu geführt, dass die Menschen ihr Engagement zurückgefahren haben“, meint Nina Horbelt (SPD). Deutlich detaillierter in der Analyse ist CDU-Sprecherin Maje Oberschachtsiek.
Zunehmende Digitalisierung und Individualisierung seien Gründe, sagt sie, aber eben auch die Tatsache, dass kommunalpolitische Arbeit zwar sehr zeitintensiv sei, aber selten honoriert werde. „Während in vielen Ehrenämtern eine Wertschätzung durch die Öffentlichkeit erfolgt, ist die Wertschätzung für das Ehrenamt in Parteivorständen in den vergangenen Jahrzehnten eher gesunken.“
Auswege aus der Misere
Die ebenfalls überalterte CDU Dorsten wird digitaler und kommuniziert verstärkt über Soziale Medien. „Politik und ihre Akteure werden greifbarer für junge Menschen“, betont Oberschatsiek. „Politische Prozesse werden zunehmend offener gestaltet. Beteiligung wird beispielsweise über Bürgerforen ermöglicht.“ Da braucht es kein Parteibuch, das früher wie selbstverständlich von Generation zu Generation weitergereicht wurde.
Die SPD freut sich über eine positive Entwicklung der Mitgliederzahlen bei den Jusos und plant konkrete Aktionen zur Mitgliederakquise. „Hier setzen wir neben Bürgernähe auch auf die Sozialen Medien“, sagt Nina Horbelt. Intern gibt es aber auch seit Längerem eine Diskussion, ob nicht angesichts sinkender Mitgliederzahlen Ortsvereine im Dorstener Norden zusammengelegt werden sollten.
Auch die Grünen bauen die Nutzung von Sozialen Netzwerken sukzessive aus, suchen aber auch bei Aktionen wie „CleanUp“ das persönliche Gespräch. Einmal im Monat gibt es einen „Grünen Stammtisch“. Weil es keine eigene Jugendgruppe in Dorsten gibt, vernetzen sich die Mitglieder, die noch keine 27 Jahre alt sind, mit der „Grünen Jugend Recklinghausen“.
Schnell in die Verantwortung
So hält es auch die FDP mit ihren jüngeren Mitgliedern. „Werbung erfolgt bei uns weitestgehend durch direkte Ansprache von Interessenten“, sagt Thomas Boos. „Sitzungen des Vorstandes des Ortsverbandes sind mitgliederoffen und auch für Interessenten zugänglich.“
Die Linke zeigt sich gerne solidarisch mit Jugendbewegungen wie „Fridays for future“, lockt aber vor allem mit der Aussicht, dass junge Leute bei ihr besonders schnell Verantwortung übernehmen können. Bestes Beispiel: 2021 rückte Erik Wischerhoff (21) für Wilhelm Zachraj nach und ist seitdem jüngstes Ratsmitglied in Dorsten, deutlich jünger noch als Nicklas Kappe, (26, CDU).
Da muss auch Die PARTEI passen. Sie behauptet allerdings: „Im Ortsverband Dorsten sind 75 Prozent der Menschen aus dem Vorstand unter 25, bei den aktiven Mitgliedern sind etwa 50 Prozent.“
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* Update 23.11.22: Die AfD hat sich nun doch noch geäußert. Der Stadtverband Dorsten hat nach Angaben von Sprecherin Simone Paulsen derzeit 28 Mitglieder. Seit 2021 zeichne sich ein Mitgliederzuwachs ab. Das Durchschnittsalter im Dorstener Stadtverband liege bei 56 Jahren. Der AfD-Kreisverband Recklinghausen hat derzeit insgesamt 206 Mitglieder in fünf Stadtverbänden und einem Verbund (Ost-Vest). Tendenz laut Paulsen: steigend.