
© Klein, Michael
Legendärer Steinerner Tisch mitten im Wald: Dorstener wollen das Geheimnis lüften
Stadtgeschichte
Er war Mord-Ort, hier trafen sich Paare zu Schäferstündchen, er war beliebtes Ausflugsziel. Nun soll die Herkunft des legendären Steinernen Tisches im Stadtwald von Dorsten gelüftet werden.
„Jeder kennt ihn, keiner weiß was.“ Und das stellt Paul Schürmann und seine Mitstreiter der Bürgerrunde Feldmark derzeit vor mancherlei Probleme. Denn eigentlich wollen sie eine Geschichtstafel am Standort des legendären „Steinernen Tisches“ tief im Barloer Busch aufstellen.
Keine Unterlagen gefunden
Doch wie soll man die Historie des originalen Rundlings erzählen, wenn es keine prüfbaren Unterlagen gibt? Und damit keine Dokumente, die darauf hindeuten, wann genau er damals in dem Waldgebiet aufgestellt wurde und welchen Ursprung er hatte.
Dass die Feldmärker gerade jetzt einen öffentlichen Aufruf starten, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, hat damit zu tun, dass sie vor wenigen Tagen einen Nachbau des Tisches am historischen Standort errichtet haben. Denn das ursprüngliche gute Stück (Umfang: rund sieben Meter, in der Mitte ein dickes Loch, in das ein Lindenbaum gepflanzt wurde) gibt es nicht mehr: Es war vor ein paar Jahren samt der Linde von unbekannten Vandalen angezündet worden.

Mitglieder der Bürgerrunde Feldmark am brandneuen Nachbau des Steinernen Tisches im Barloer Busch. © Michael Klein
„Der Stein ist damals durch die Hitze komplett gesprengt worden, der Baum fing Feuer und musste gefällt werden“, erzählt Dieter Dreckmann, Sprecher der Bürgerrunde: „Nur die Schutzhütte, die in den 1970er-Jahren über den Tisch gebaut wurde, blieb verschont.“ Als der steinerne Original-Tisch seinerzeit zerstört wurde, waren die unmittelbaren Nachbarn „traurig und erschüttert“, sagt Dreckmann, „auch wenn sie es fortan deutlich ruhiger hatten“.
Immer ein Treffpunkt
Denn der Steinerne Tisch war seit jeher ein überaus beliebter Treffpunkt für die Feldmärker - obwohl (oder gerade weil) er so abgelegen und so von Bäumen verdeckt gewesen ist. Denn hier trafen sich schon immer Männlein und Weiblein zum romantischen Schäferstündchen, „hier hat sich so manche zarte Liebschaft manifestiert“, sagt Paul Schürmann vieldeutig.
Ausflugsziel
Aber nicht nur das. So war der Steinerne Tisch immer Picknick-Ziel für viele Ausflügler, und das nicht erst seitdem die Stadt den Wanderweg „Stadt - Land- Fluss“ an ihm entlang geführt hat. Die Jägerschaft hat hier nach ihren Jagden im Stadtwald das Wildbret abgelegt. Und immer wieder fanden hier Versammlungen statt - das beweist auch ein historisches Foto unbestimmten Datums, das eine unbekannte Gruppe gut gekleideter Männer zeigt, die sich am Steinernen Tisch haben ablichten lassen.
Und der Steinerne Tisch hat sogar Leben gerettet, das hat Dieter Dreckmann von einem Feldmärker erfahren. „Der hat sich beim Bombenbeschuss in den Kriegswirren unter dem Tisch versteckt und dadurch überlebt.“
Schrecklicher Mordfall
Berühmt wurde der Steinerne Tisch durch ein Aufsehen erregendes Verbrechen. Wohl kaum ein Mord dürfte diese öffentliche Aufmerksamkeit und den Widerwillen der Bevölkerung hervorgerufen haben, wie der am 18. Februar 1907 nahe der dortigen Waldschneise.
Mädchen erdrosselt
Der 51-jährige Arbeiter Anton Muckel hatte die 13-jährige Schülerin Wilhelmine Bleckmann erdrosselt und anschließend aus ihrem Portemonnaie ein Fünfmarkstück gestohlen, das die Eltern dem Kind für Einkäufe mitgegeben hatten.
Der Täter wurde später in der Scheune eines Bauernhofs in Altendorf-Ulfkotte, wo er als Knecht arbeitete, von den Eltern des Kindes gestellt und der Polizei übergeben. In einem Prozess vor dem Schwurgericht in Essen wurde er zum Tode verurteilt und im Hof des Essener Gerichtsgefängnisses geköpft.
In Gerichtsakten erwähnt
Da der Steinerne Tisch in den damaligen Gerichtsakten erwähnt worden ist, wissen die Mitglieder der Feldmärker immerhin schon mal, dass er mindestens 100 Jahre an Ort und Stelle gestanden hat.
Doch wie alt ist der Stein wirklich? Selbst das Urgestein Heinrich Siepenkötter, den Dieter Dreckmann vor dessen kürzlichen Tod noch befragt hat, wusste es nicht genau. „Und auch andere alte Feldmärker konnten mir nicht richtig weiterhelfen“, so Dreckmann. Immerhin hat er erfahren, dass laut Überlieferung der Tisch wohl schon Mitte des 19. Jahrhunderts dort aufgestellt war.

Auf der Karte findet sich der Steinerne Tisch im roten Kreis dort, wo die Schutzhütte eingezeichnet ist (Schutzh.). Zugang ist von der Marler Straße als auch vom Krüskamp möglich. © Geoinformationsportal Stadt Dorsten
Währenddessen hatte Paul Schürmann im Dorstener Stadtarchiv recherchiert, bei normalerweise bestens informierten Heimatfreunden wie Walter Biermann nachgeforscht - keine Erkenntnisse.
Dr. Josef Ulfkotte, Vorsitzender des Vereins für Orts- und Heimatkunde, habe schließlich die Mutmaßung geäußert, der Steinerne Tisch könne ein alter Mühlstein sein - denn unweit entfernt, dort, wo die Dorstener Drahtwerke ihren Sitz haben, habe früher eine Mühle gestanden. „Dass der Stein rund war, eine geriffelte Oberfläche und ein Loch in der Mitte hatte, könnte diese Vermutung bestätigen“, so Schürmann.
Viele Mutmaßungen
Allerdings haben die Mitglieder der Bürgerunde noch weitere Hinweise bekommen: Der Tischstein könnte ein spät bearbeitetes Überbleibsel der Erdhügelburg sein, die die Herren von Barlo, die dem Forst ihren Namen gaben, in mittelalterlicher Zeit dort bewohnten. Oder womöglich war der Steinerne Tisch ein Femegerichts-Schauplatz des ebenfalls nicht weit entfernten früheren Galgenhofs?

Mitglieder der Bürgerrunde Feldmark bei den Fundamentarbeiten für den Nachbau. © Privat
„Jeder Input bringt uns weiter“, betont Paul Schürmann. Die Feldmärker „Tischgesellschaft“ hofft jedenfalls darauf, dass ihnen Leser der Dorstener Zeitung helfen, das Mysterium aufzuklären. Ihren Nachbau des zerstörten Tisches haben Mitglieder der Bürgerrunde Feldmark in der vorhandenen Schutzhütte aufgestellt und auch eine junge Ersatz-Linde gepflanzt. Dafür haben sie aus dem Heimatscheck-Förderprogramm des Landes einen Zuschuss in Höhe von 2000 Euro erhalten.
Beige eingefärbt
Der Standort ist vom Waldlehrpfad des Barloer Buschs über den Wald-Zugang nahe der Marler Straße oder über die Straße „Krüskamp“ zu erreichen. Der neue Steinerne Tisch ist übrigens im Feldmärker Betonwerk Voßbeck-Elsebusch hergestellt werden, sieht aber anders aus als das Orginal. „Wir haben den Betonstein beige eingefärbt und die glatte Oberfläche belassen“, sagt Paul Schürmann.
Mit schwerem Gerät
Nachdem Mitglieder die Bürgerrunde die Fundamente gesetzt hatten, wurde der neue Tisch am Freitag vor Heiligabend mit schwerem Gerät geleifert. Eine wahre Herkulesaufgabe: Die Einzelteile wogen zusammen fünf Tonnen, „wir haben beim Aufbau vier Stunden daran geackert“, erzählen die „Tischherren“.
Sitzgelegenheiten gewünscht
Der Nachbau sieht aus wie ein Stehtisch, weswegen die Feldmärker in Absprache mit den dort tätigen Jägern und dem Stadtförster gerne noch ein paar hohe Sitzgelegenheiten schaffen würden - auf dass auch der neue Tisch unter dem schützenden Hüttendach zum Treffpunkt und Ort für Aktivitäten jeglicher Art wird. Verbrechen und Vandalismus natürlich ausgenommen.
Geboren 1961 in Dorsten. Hier auch aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nach erfolgreich abgebrochenem Studium in Münster und Marburg und lang-jährigem Aufenthalt in der Wahlheimat Bochum nach Dorsten zurückgekehrt. Jazz-Fan mit großem Interesse an kulturellen Themen und an der Stadtentwicklung Dorstens.
