Sie brauchen jede Menge Zeit, unendlich viel Geduld und Toleranz, müssen emotional stark sein, sich auf Veränderungen einlassen und Hilfe annehmen können. Pflegeeltern werden auch in Dorsten händeringend gesucht. Bei Renata und Ulrich Schröter lebt seit Oktober 2022 ein schwer traumatisiertes Mädchen.
Das Dorstener Ehepaar strahlt Ruhe, Lebensfreude und Stärke aus. Wenn die beiden von ihrem fünfjährigen Pflegekind erzählen, lachen sie viel, versprühen Optimismus. Und das, obwohl die Fünfjährige seit Monaten ihren kompletten Alltag umgekrempelt und vereinnahmt hat. Obwohl das, was das Mädchen von ihrem Leben in ihrer leiblichen Familie erzählt, nur sehr schwer zu ertragen ist.
Renata und Ulrich Schröter haben einen eigenen, 21 Jahre alten Sohn. Vor zwölf Jahren nahmen sie zudem ein Mädchen in Dauerpflege auf. Sie ist mittlerweile 19 und macht gerade ihr Abitur. Im Sommer des vergangenen Jahres las das Ehepaar dann in einem Bericht der Dorstener Zeitung, dass der private Dorstener Jugendhilfe-Träger Perspektive GmbH dringend Pflegeeltern suchte.
Chance geben
Für die beiden war das der Anstoß, den Schritt noch einmal zu wagen. „Mit unserer Pflegetochter hat das so gut geklappt, sie hat sich so toll entwickelt. Wir haben die Zeit und die Geduld und wollten einfach noch einmal Kindern eine Chance geben“, erzählt der 63-jährige Ulrich Schröter. Dieses Mal war ihm und seiner 54-jährigen Frau jedoch klar, dass sie nur Bereitschaftspflegeeltern werden wollten.
Im Oktober dann brachten Hildegard Overfeld, Geschäftsführerin der Perspektive GmbH, und ihr Team, Julia in die Familie. Sie lebte zuvor in der Babyschutzstelle des Perspektive-Hauses, konnte dort jedoch nicht mehr länger bleiben, da sich zu sehr an eine Betreuerin geklammert hatte.
„Die erste Woche war sehr hart“, erinnern sich Renata und Ulrich. Julia zeigte deutlich, was sie in ihrer Herkunftsfamilie erlebt hat und klammerte sich an Renata. „Und das mit Haut und Haar. Ich darf auch heute noch nicht zu lange mit jemand anderen reden, dann fängt sie an zu schreien“, erzählt die 54-Jährige.
Viele Termine
Den kompletten Alltag haben die beiden Dorstener nun auf Julia ausgerichtet. Sie braucht rund um die Uhr Aufmerksamkeit, ist noch nicht trocken, hat sprachlich große Defizite. Von Frühförderung über Therapien und Arztbesuche - die Woche ist oft voll mit Terminen. In all dieser Hektik sind Renata und Ulrich Julias Ruhepol.
„Wir sind Wegbereiter. Wir machen die Diagnostik mit ihr, aber hier in der Familie kann sie einfach zur Ruhe kommen“, sagt Renata Schröter. Innerhalb der rund fünf Monate, die Julia inzwischen bei der Dorstener Familie lebt, hat sie einige große und viele kleine Entwicklungsschritte gemacht. So kann sie inzwischen deutlich besser sprechen oder einige Momente Stille ertragen.
Schwerer Fall
Doch Julia wird nicht für immer bei den Schröters bleiben. „Wir haben mit der Familie vereinbart, dass Julia vor ihrer Einschulung im nächsten Jahr in eine dauerhafte Pflegefamilie umziehen wird“, erzählt Hildegard Overfeld. Sie weiß, dass sie mit Julias Fall den Schröters viel zumutet.
„Wir haben dieses Paar ausgewählt, weil sie sehr stark sind und jede Menge Erfahrung haben. Klar ist aber auch, dass sie immer Stopp sagen können, wenn es nicht mehr geht. Denn wir haben nicht nur eine Verantwortung für die Kinder, sondern auch für die Pflegeeltern“, betont Overfeld.

Sie erklärt, dass nicht alle Kinder, für die Pflegeeltern gesucht werden, so schwer traumatisiert sind wie Julia. Wenn Paare sich dafür interessieren, Pflegeeltern zu werden, gibt es zu Beginn jede Menge Gespräche mit dem Team der Perspektive GmbH. Die Mitarbeitenden besuchen die Familie, sehen sich die Räumlichkeiten an, fragen nach der Motivation. „Geld darf keine Motivation sein, Mitleid aber auch nicht. Man muss einfach Bock auf die Aufgabe haben und da auch für sich was rausziehen können“, sagt Overfeld.
Gemeinsam mit dem Paar wird dann überlegt, welche Kinder gut in die Familie passen könnten. Später, wenn ein Kind in der Familie lebt, gibt es viele Besuchstermine vom Perspektive-Team, Elternabende zum Austausch, aber auch um Fachwissen weiterzugeben. Hinzu kommen Fortbildungswochenenden, gemeinsame Feste und Frühstückstreffen.
Eng betreut
„Wir werden da schon sehr eng betreut und können immer anrufen, wenn es Probleme gibt“, erzählt Ulrich Schröter. Sowohl er und seine Frau als auch Julia selbst wissen, dass das Kind nur auf Zeit bei ihnen wohnt. „Eine Dauerpflege würden wir nicht schaffen - das zerrt doch ganz schön an den Kräften. Aber danach sind wir dann wieder bereit, einem neuen Kind ein Zuhause auf Zeit zu geben“, sagt Renata Schröter.
Das freut Hildegard Overfeld. Sie sagt aber auch: „Wir suchen wirklich händeringend Pflegeeltern - gerne auch zur Bereitschaftspflege. Erst heute hatte ich wieder einen verzweifelten Anruf eines Jugendamtes, das keinen Platz für ein Kind finden.“ Nachdem die Hochphase der Pandemie vorbei sei, kämen aktuell verstärkt Anfragen für Kita- und Grundschulkinder.
- Mehr Informationen zur Perspektive GmbH gibt es unter www.perspektive-erziehungshilfen.de.
- Kontakt für Paare, die sich vorstellen können, Pflegeeltern zu werden, gibt es telefonisch unter (02362) 201224 bzw. (0177) 6906100 bzw. per E-Mail an overfeld@perspektive-haus.de.
Tag des Grundgesetzes Dorsten: „Da werden kritische Fragen kommen. Das Risiko gehen wir ein“
Louis (9) liebt die Dorstener Haldenwangschule und hat Ziele: „Ich will mit Putin sprechen“
So klingt die Stadt: Frank Bojert entwickelt App mit typischen „Dorsten-Geräuschen“