Rita Lammersmann, Kathrin Schwerhoff, Eva Steuber, Anke Schug, Sandra Vesper und Hildegard Overfeld

Rita Lammersmann, Kathrin Schwerhoff, Eva Steuber, Anke Schug, Sandra Vesper und Hildegard Overfeld (v.l.) sind das Team der Perspektiven GmbH. Sie suchen dringend neue Pflegeeltern - vor allem im Bereich der Bereitschaftspflege. © Manuela Hollstegge

Immer mehr misshandelte Babys - Pflegeeltern in Dorsten dringend gesucht

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Die Dorstener Perspektive GmbH - ein privater Jugendhilfe-Träger - braucht dringend neue Pflegeeltern. Immer öfter sucht das Jugendamt über sie ein Zuhause für misshandelte Säuglinge.

Dorsten

, 02.06.2022, 05:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wenn Hildegard Overfelds Handy klingelt, muss es oft schnell gehen. Denn dann braucht häufig ein Kind dringend ein sicheres Zuhause auf Zeit. Immer öfter sind es Säuglinge, die teilweise direkt aus dem Krankenhaus, teilweise mit massivem Schütteltrauma vom Jugendamt in Obhut genommen und an die Dorstener Perspektive GmbH vermittelt werden. Doch dem privaten Träger der Jugendhilfe fehlen aktuell Pflegeeltern, die sich der manchmal schwer traumatisierten Kinder annehmen.

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„Wir kriegen momentan unfassbare viele Anfragen für die Übernahme von Bereitschaftspflege, teilweise direkt aus dem Krankenhaus“, erzählt Hildegard Overfeld, Geschäftsführerin der Perspektive GmbH. Allein in den vergangenen drei Monaten übernahmen sie und ihr Team vier Säuglinge mit Schütteltrauma - so viele wie noch nie.

Doch warum diese Häufung an Fällen? „Corona, Krieg, Weltwirtschaftskrise - die psychische Belastung der Familien ist gestiegen. Oft liegen die Nerven blank“, so Overfeld. Oft bräuchten die Eltern eigentlich selbst Hilfe, hätten selbst Traumata erlitten, hätten Bedürfnisse, die nie gestillt worden seien. Hinzu käme, dass insbesondere an den Kindern im System unserer Gesellschaft gespart werde.

Kinder fallen oft schnell durch das Raster

Wäre in den Kitas wieder mehr Arbeit am Kind möglich durch mehr Personal und weniger Dokumentation, gebe es kleinere Kita-Gruppen und kleinere Schulklassen würden vielleicht manche Kinder besser aufgefangen und fielen nicht so schnell durch das Raster, vermutet die Geschäftsführerin.

Ihre Kollegin Sandra Vesper ergänzt: „Hinzu kommt, dass die Jugendämter teilweise vollkommen überlastet sind und oft nur die schlimmsten Brände löschen können. Zu wenig Personal, ständig wechselnde Ansprechpartner - so wird das Drama immer größer.“

Ein Säugling hält einen Finger eines Erwachsenen

Immer öfter sucht die Dorstener Perspektive GmbH ein neues Zuhause für Säuglinge, die nicht bei ihren leiblichen Eltern bleiben können. © picture alliance/dpa/dpa-tmn

So kämpft das sechsköpfige Team der Dorstener Perspektive GmbH oft an vielen Fronten. Für Hildegard Overfeld ist jedoch das Schlimmste, wenn sie Kinder ablehnen muss, weil Pflegeeltern fehlen. Daher suchen sie und ihr Team händeringend neue Pflegeeltern - hauptsächlich in der Bereitschaftspflege.

„Wir brauchen Familien, die den Kindern ein sicheres Zuhause auf Zeit bieten können, die intensiv mit uns und den Kindern arbeiten wollen“, erklärt Overfeld. Dabei sei besonders wichtig, dass die Pflegeeltern selbst „emotional gesättigt“ seien, denn nach mehreren Monaten oder Jahren würden die Kinder in der Regel die Familie wieder verlassen.

Auch Pflegeeltern auf Dauer werden gesucht

Doch auch im Bereich der Dauerpflege sucht die Perspektive GmbH neue Pflegefamilien. „In vielen Köpfen ist noch die Angst drin, dass dann plötzlich die leiblichen Eltern das Kind doch wieder haben wollen und sie es einfach mitnehmen. Das ist aber natürlich nicht so“, erklärt Hildegard Overfeld.

Im Mittelpunkt der gesamten Arbeit der Perspektiven GmbH stünde immer das Wohl des Kindes. Bestimmte Standards stünden dabei fest und würden auch gegenüber dem Jugendamt durchgesetzt. „Genauso wie die Pflegeeltern sind auch wir immer bei Besuchskontakten dabei. Wenn das Kind diese nicht gut verträgt, tun wir alles, um diese zu beenden“, erklärt sie.

Pflegeeltern erhalten alle Informationen über das Kind

Alle Informationen, die der private Träger über die Kinder hätten, würden auch den Pflegeeltern zur Verfügung gestellt. Dabei müssten die Kinder, die aufgenommen würden, nicht immer das jüngste Kind der Familie sein. Auch sei die Eignung als Pflegeeltern nicht an ein bestimmtes Alter gebunden.

„Wir nehmen auch nicht nur Paare, sondern auch finanziell abgesicherte Alleinstehende. Auch gleichgeschlechtliche Paare können Pflegeeltern werden“, erzählt Overfeld. Aktuell betreuen sie und ihr Team 30 Pflegefamilien und 48 Kinder - in Dorsten und bis zu einer Autofahrstunde davon entfernt.

Viele Gespräche und Besuchstermine am Anfang

Wer über die Perspektive GmbH Kinder zur Pflege übernehmen möchte, muss sich auf das Konzept des Trägers einlassen. Dazu gehören am Anfang sehr viele Gespräche und Besuchstermine. „Wir lernen die Familie kennen, sehen uns die Räumlichkeiten an, erkundigen uns nach der Motivation, regen aber auch zur Selbstreflexion über die eigene Lebensgeschichte an“, erklärt Mitarbeiterin Kathrin Schwerhoff.

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Ist das Kind in der Familie, besucht die Fachberaterin diese zunächst häufig, bei der Dauerpflege dann rund einmal im Monat. Auf Wunsch begleiten die Mitarbeiterinnen die Familie auch beispielsweise bei Arztbesuchen. Jeden Monat gibt es zudem einen verpflichtenden Elternabend - zum Austausch, aber auch um Fachwissen weiterzugeben. Hinzu kommen ein Fortbildungswochenende, Sommerfeste und gemeinsame Frühstückstreffen.

„Unsere Pflegeeltern brauchen ein großes Herz, müssen emotional gefestigt sein, sollten pädagogische Erfahrung beziehungsweise die Lust haben, sich in dem Bereich weiterzubilden, sie sollten das Andersartige zulassen können und auch dem Herkunftssystem eine gewisse Wertschätzung entgegenbringen können“, fasst Hildegard Overfeld zusammen.

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