Familie Humbert bewirtet seit 200 Jahren Gäste in Wulfen Ein Jubiläum ohne Feier

Die Humberts bewirten seit 200 Jahren Gäste: Ein Jubiläum ohne Feier
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Wird die sechste Generation die letzte sein? Der 30-jährige Bernd-Hendrik und seine Mutter Renate nicken. Sie glauben nicht, dass das Hotel Humbert noch eine siebte Generation als Familienbetrieb erleben wird.

In diesem Jahr wird der Gasthof 200 Jahre alt, eigentlich ist Wulfen ohne das Hotel Humbert an der Dülmener Straße 1 nicht denkbar.

Aber der plötzliche Tod von Bernd Humbert im Februar dieses Jahres hat den Blick auf vieles verändert. Der Schicksalsschlag hat der Familie jede Lust auf Jubiläumsfeierlichkeiten genommen. Aber vieles ist auch geblieben, die Stammgäste zum Beispiel oder Hotelgäste, die auf Dienstreisen eine günstige Unterkunft und gutes Essen suchen.

Der Chemiepark Marl und die Levi‘s-Baustelle sorgen dafür, berichtet Renate Humbert, dass die zehn Doppel- und vier Einzelzimmer regelmäßig belegt sind.

Verliebt in den Juniorchef

Die junge Renate wollte eigentlich die Sylter Gastronomie erobern, als sie auf die Anzeige des Wulfeners Hotels stieß, das eine Wirtschafterin suchte. Sie bewarb sich - und eroberte die Küche und das Herz des Juniorchefs. Wie die Frauen von mehreren Bernds und etlichen Gustavs zuvor blieb sie fortan den Humberts und dem Betrieb treu.

Völlig unvorbereitet traf sie und ganz Wulfen vor sechs Monaten der plötzliche Tod ihres Mannes. Zum Glück hatte sie auch im Geschäft ihren Sohn an ihrer Seite, der schon seit 2018 Küchenchef im Hotel Humbert ist - kurzfristig angetreten im elterlichen Betrieb wegen einer plötzlichen Erkrankung seiner Mutter. Seine jüngere Schwester arbeitet als Hotelkauffrau in Velen.

Das Hotel Humbert an der Dülmener Straße in Wulfen
Wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut: das Hotel Humbert in Wulfen. © Guido Bludau

Schon seit 30 Jahren gehört Adam zum Team, er kennt viele der Geschichten, die sich um die 200-jährige Tradition seines Arbeitsplatzes ranken. Dass das Haus bis heute ein Fundament aus Baumstämmen hat zum Beispiel, weil darunter der Dorfbach floss. 1852 kam zur Schankstube für Flaschenbier eine Post- und Zollstation hinzu - eine Haltestelle für die Postkutsche zwischen Wesel und Münster. In den Anfängen des letzten Jahrhunderts wich die Post der Bahn, die Gastwirtschaft blieb.

Das Wulfen-Wiki schreibt: „Aus dem Postbetrieb im Eingangsbereich wurde ein Lebensmittelgeschäft. Auch dem Automobil wurde Tribut gezollt: Eine kleine Tankstelle stand vor der Gaststätte. Anfang der dreißiger Jahre wurde sie wieder aufgegeben.“

Ein Forellenteich mit direktem Draht zur Küche und ein Minigolfplatz machten aus dem Haus Humbert zeitweise ein Ausflugslokal für Bergarbeiterfamilien aus dem ganzen Ruhrgebiet.

Wiederaufbau als Hotel

In Zweiten Weltkrieg wurde die Gaststätte Humbert bei einem Bombenangriff schwer beschädigt. Erst nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft machte sich Bernd Humbert mit seiner Frau Hedwig an den Wiederaufbau und erweiterte den Gasthof zum Hotel. Der große Saal diente fortan als Raum für Hochzeiten, Beerdigungen und das Wulfener Vereinsleben. Renate Humbert: „Hier haben schon Gäste Goldene Hochzeit gefeiert, die 50 Jahre vorher ihre Hochzeit auch hier gefeiert haben.“

Das abnehmende Vereinsleben jedoch spüren auch die Humberts, und auch andere gesellschaftliche Veränderungen: „Junge Männer gehen doch heute nicht mehr zum Sonntagsfrühschoppen“, weiß Renate Humbert. „Die Frauen würden denen doch was anderes erzählen.“ Selbst Beerdigungs-Kaffeetrinken, wegen der Nähe zu Kirche und Friedhof gute Tradition im Haus Humbert, fallen inzwischen deutlich kleiner aus. So setzt der Familienbetrieb heute auf Essens-Gäste, Kegelclubs und Übernachtungsgäste.

Die Gaststube des Hotels Humbert
Die Schnitzereien an der Wand mit den Wappen der Herrlichkeit Lembeck sind handgeschnitzt. © Guido Bludau

In den 1960er-Jahren betteten zahlreiche prominente Gäste ihr müdes Haupt auf die Kissen in Humberts Fremdenzimmern. Herzliche Einträge ins vergilbte Gästebuch zeugen von einem regen kulturellen und sportlichen Leben im nahen Umkreis: die Jacob Sisters, die Wiener Sängerknaben, Lou van Burg, Tony Marshall, Hans-Dietrich Genscher, Dieter Hildebrandt, Hannes Wader, Olaf Thon bilden nur einen kleinen Ausschnitt aus der langen Liste.

Thekenmalerei im Hotel Humbert
Elisabeth Humbert, die Schwester des unlängst verstorbenen Gastwirts, hat die Thekenfliesen mit historischen Motiven selbst bemalt. © Guido Bludau

An viele erinnert sich Renate Humberg persönlich: „Nach dem Aufenthalt einer brasilianischen Tanzgruppe mussten wir alle Zimmer renovieren.“ Gästen aus China kam der Chef dank eines aufmerksamen „Zeugen auf die Schliche“: Zwei Chinesen hatten nach zwei Doppelzimmern gefragt, schleusten aber anschließend zehn Personen ein. „Denen ist mein Mann allerdings auf die Bude gerückt. Die haben dann schnell nachgebucht.“

Gäste müssen sparen

Genossen die Hotelgäste früher noch gern die gute Küche des Hauses und das angebotene Frühstück, beobachten Renate und Bernd-Hendrik Humbert heute immer mehr Schlafgäste, die ihren „Proviant“ aus dem Supermarkt ins Zimmer schleppen.

Die Gastgeber beklagen das nicht, denn „die Außendienstler und Montagearbeiter bekommen heute nicht mehr so viel Spesen, können sich das Essen auswärts nicht allzu häufig leisten.“

Fazit nach 200 Jahren: Gastronomie ist ein schwieriges Geschäft geworden. Und so ist Bernd-Hendrik Humbert auch gar nicht sicher, dass er sich - falls die Familie das Hotel mal aufgeben sollte - eine neue Stelle in dieser Branche suchen würde. Ein Dorfleben ohne das Hotel Humbert? In Wulfen eigentlich nicht vorstellbar.

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