Esther Bejarano und Microphone Mafia gaben ein besonderes Konzert im Jüdischen Museum
Konzert
Über 100 Gäste wollten sich am Mittwochabend ein besonderes Konzert im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten nicht entgehen lassen. Zu Gast waren Esther Bejarano und die Microphone Mafia.

Esther Bejarano sprühte vor Lebensfreude. Gemeinsam mit Sohn Joram (l.) und dem Rapper Kutlu Yurtseven berührte sie mit Lesungen und Musik die Herzen der Besucher des Jüdischen Museums. © Barbara Seppi
„Ich begrüße Euch alle“ - unkompliziert, mit dem freundschaftlichen „Du“ und einem entwaffnenden Lächeln heißt Esther Bejarano am Mittwoch die Besucher im Jüdischen Museum willkommen. Gerne wäre die 94-jährige Sängerin noch näher an jeden einzelnen ihrer Gäste gerückt, doch der Saal ist pickepackevoll. Über 100 Dorstener und Auswärtige wollen sich den Auftritt einer der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters in Auschwitz nicht entgehen lassen.
Lesung aus ihren Erinnerungen
Die Hamburgerin, gebürtige Jüdin aus Saarlouis, liest in der Tat zunächst aus ihren Erinnerungen an das Konzentrationslager in Polen und weiteren Lebensstationen. Mit klarer Stimme, fast sachlich, obwohl es das eigene Schicksal ist, erzählt Bejarano das, was alle wissen. Die „Vieh-Waggons“ in die Vernichtung, der Gestank, der Hunger, die Angst, die unmenschliche Behandlung im Lager, die Aussortierung in den Tod. „Niemand wusste, ob und wann man selber ins Gas geschickt wurde“, der unfassbare Zustand des absoluten Ausgeliefertseins wird greifbar.
Die Musik hat Esther Bejarano das Leben gerettet
Die Musik hat Esther Bejarano das Leben gerettet, sie kann singen und Klavierspielen. Mit der Kraft der Verzweiflung setzt sie die Kenntnis der horizontalen Tasten in die Vertikale des Akkordeons um und wird Mitglied des Orchesters im Vernichtungslager.
Der Spagat zwischen Lebenswille und Schuldgefühlen, den ankommenden Todgeweihten Freude vorgegaukelt zu haben, liest sich noch heute in ihrem Gesicht. Aber da ist keine Bitterkeit, sondern es funkelt lebensbejahend und vital. „Komm lass uns singen“, hätten auch die amerikanischen und russischen Soldaten bei der Befreiung gesagt, Musik ist der rote Faden.
„Meine Befreiung, meine zweite Geburt“: Bejarano ist politisch, das Engagement geht nicht nur gegen das Vergessen der Gräuel der Nationalsozialisten, gegen Antisemitismus, sondern nimmt aktuelle Bezüge zu Fremdfeindlichkeit und Verrohung der Gesellschaft.
„Menschen leiden, doch Du bist still“
Seit 2009 arbeitet die Künstlerin eng mit der „Microphone Mafia“, einer Deutsch-Rap-Band erster Stunde, gegründet von dem türkischstämmigen Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino neapolitanischen Ursprungs. Über 300 Auftritte und gemeinsame Reisen schlagen zu Buche.
Yurtseven ist es, der zusammen mit Bejaranos Sohn Joram die Sängerin in Dorsten begleitet. „Menschen leiden, doch Du bist still“, Yurtseven bezieht auch Stellung zum fehlenden gesellschaftlichen Engagement, auch zum anfänglichen Schweigen der Mehrheit der Migranten erster Generation, als in Rostock und Hoyerswerda die Flüchtlingsheime brannten.
Zusammen mit Esther rappt er zu italienischen kommunistischen Hymnen wie „Avanti popolo“ oder „Bella ciao“, unglaublich, welche Energie Esther Bejarano in ihrem Alter an den Tag legt. Sie singt auch klassische jiddische Lieder, zu denen Yurtseven teils Türkisch, teils Deutsch, teils Italienisch rappt, eine verblüffende, mitreißende Kombination. Ein ausgerolltes Transparent verkündet das Anliegen: „Nie wieder Krieg“.
Den Schlager von 1939 „Du hast Glück bei den Frauen, Bel ami“ singt Bejarano zum Schluss – das locker-flockige Liebeslied, das sie vorspielen musste, um in das Orchester von Auschwitz aufgenommen zu werden. Ein verstörendes Absurdum, aber ihre Hymne für das Leben.