Die Luft flimmert über der Essener Straße in der Dorstener Innenstadt. Schnell huschen die Menschen vorbei, um nicht zu lange der Mittagshitze ausgesetzt zu sein.
Kaum jemand schaut nach oben in Richtung des blauen Himmels. Und kaum jemandem fällt das Schild auf, das an einem Laternenmast nahe des Marktplatzes hängt. „Zu wenig Abstand? Masken schützen!“ steht darauf geschrieben. Es ist ein Relikt aus einer scheinbar vergessenen Zeit.
Das Schild ist ein offensichtliches Überbleibsel der Corona-Pandemie. Über Jahre hinweg hat das Coronavirus den Alltag der Menschen in Dorsten, in Deutschland und auf der ganzen Welt geprägt. Und verändert. Doch nun, mehr als drei Jahre nach dem ersten Corona-Fall in der Stadt, scheint das Virus verschwunden.
Pandemie ist „endgültig vorbei“
Kaum jemand spricht mehr darüber. Medizinische und FFP2-Masken sind aus dem Stadtbild verschwunden. Dicht gedrängt sitzen die Menschen in den Cafés oder den Bussen. Nahezu niemand hält mehr 1,50 Meter Abstand zu anderen. Mittlerweile sei die Pandemie „endgültig vorbei“, sagt Dr. Hermann Thomas, Chefarzt der Lungenklinik Ruhrgebiet Nord am St. Elisabeth-Krankenhaus in Dorsten, auf Nachfrage.

Was bleibt also nach über drei Jahren Corona-Pandemie? Die Frage umfasst viele verschieden Bereiche. Die Antworten sind so facettenreich, dass sie sich in ein paar geschriebenen Zeilen nur grob überblicken lassen. Die Themen haben Betroffene hervor gebracht, die zahlreiche Geschichten zu erzählen hatten.
Beispielsweise die der ersten Corona-Infizierten in der Stadt. Am 6. März 2020 teilte der Kreis Recklinghausen mit, dass sich eine Mitarbeiterin der Vereinten Volksbank mit dem Virus infiziert habe. Sie habe leichte Symptome, hieß es damals. Groß war bei vielen Menschen die Angst vor einer Infektion. Ein wirksamer Impfstoff lag noch in weiter Ferne. Das erste eigene Impfzentrum der Stadt hat erst am 29. November 2021 im Treffpunkt Altstadt eröffnet.
70-Jähriger starb
Die erste wirkliche Hiobsbotschaft folgte gut drei Wochen später. Ein 70-jähriger Mann starb, nachdem er wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt worden ist. Die Betroffenheit war groß unter anderem bei Landrat Cay Süberkrüb und Bürgermeister Tobias Stockhoff über den ersten Dorstener Todesfall in Verbindung mit Corona.
31.268 Corona-Infektionen hat es in Dorsten gegeben. 161 Menschen sind mit dem Virus verstorben. Das zumindest sind die offiziellen Zahlen, die der Kreis Recklinghausen bis zum 31. März 2023 erfasst hat. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein.
Verschiedene Maßnahmen
Verschiedene Maßnahmen sollten verhindern, dass sich das Virus zu schnell ausbreitet. Das Land Nordrhein-Westfalen hat Corona-Schutzverordnungen entworfen, die die Kommunen schnell umsetzen mussten. „Wir haben von Anfang an darauf gesetzt, den Infektionsschutz nicht „mit der Keule“ durchzusetzen, also mit Bußgeldern, sondern wir haben mit viel Fantasie und Aufwand versucht, für die Einhaltung der Regeln zu werben“, blickt Stadtsprecher Ludger Böhne zurück.
Er erinnert unter anderem an eine ganze Plakatreihe, zu denen auch die „Hamsterplakate“ gehört haben. Mit ihnen wollte die Stadt dem Hamstern - zum Beispiel von Toilettenpapier - entgegenwirken.

Schülerinnen und Schüler waren von den Schutzmaßnahmen besonders betroffen. An einem Freitag, dem 13. März 2020, haben sie ihre Dorstener Schulen zum vorerst letzten Mal von innen gesehen. Videokonferenzen statt Klassenzimmer. Das war die neue Welt für die Lehrkräfte sowie für die Schülerinnen und Schüler.
Schulen werden digitalisiert
Schnell mussten die Schulen in der Digitalisierung ankommen. So hat die Stadt beispielsweise 3.000 Tablets angeschafft, davon waren 1.500 Tablets für Schülerinnen und Schüler, die Bedarf angemeldet hatten. Sie sind noch immer im Einsatz, gehören mittlerweile zum Lernen dazu wie Stift und Papier. Gleiches gilt für flächendeckendes WLAN.
Doch auch die Unternehmen mussten sich anpassen. Immer mehr Menschen arbeiteten nicht mehr im Büro, sondern vom heimischen Schreibtisch, dem Esstisch oder vielleicht auch vom Sofa aus. Das flächendeckende Homeoffice war zwangsweise geboren worden.
Daran angepasst hat sich ebenfalls die Stadtverwaltung. „In kürzester Zeit wurden damals die technischen Voraussetzungen geschaffen, um mobiles Arbeiten in großem Umfang zu ermöglichen“, schreibt Stadtsprecher Ludger Böhne.
Revolutioniert worden ist dadurch unter anderem die Arbeit des Bürgerbüros. Bearbeitet wurden die Anliegen vor allem während der Lockdown-Phasen im Frühjahr 2020 und über den Jahreswechsel 2020/21 telefonisch oder per E-Mail. Persönliche Termine gab es nur mit Termin - ein Vorgehen, dass sich bis heute etabliert hat.
Bessere Planung, weniger Warten
Und das „sicherlich zum beiderseitigen Vorteil: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können weiterhin ihre Tagesabläufe besser planen, die Bürgerinnen und Bürger mit einer kurzen Terminvereinbarung Wartezeiten vermeiden. Plexiglasscheiben zwischen den Mitarbeitenden und der Kundschaft sollten die Menschen vor einer Ansteckung schützen.
Gegenwärtig sind sie immer noch präsent. „Ja, im Bürgerbüro gibt es (noch) Trennscheiben. Nicht mehr die ‚großen‘, sondern die Kolleginnen und Kollegen entscheiden selbst, ob sie die kleinen Schutzwände auf den Schreibtischen stehen haben möchten“, erklärt Ludger Böhne. Mittlerweile können zudem viele Verwaltungsakte online erledigt werden.
Das Internet hat während der Pandemie-Hochphase vieles ermöglicht: arbeiten, lernen, mit Freunden in Kontakt bleiben oder einkaufen. Lieferdienste und Onlineshops liefen so gut wie nie zuvor.
Einzelhändler werden kreativ
Lokale Einzelhändler aus der Dorstener Innenstadt haben sich das zunutze gemacht, um ihr Geschäft aufrechtzuerhalten. Eine von ihnen war Susanne Wenzel. Sie betreibt den Spielzeugladen an der Recklinghäuser Straße 3. Sie habe damals online Spielzeug verkauft und Beratung an der Ladentür gemacht, erzählt sie. „Das war schon ein Ding.“

Den Webshop gibt es immer noch. „Aber wir leben von dem Vor-Ort-Erlebnis“, sagt Wenzel. Eine kompetente Beratung funktioniere gerade bei Kinderspielzeug eben besser, wenn die Puppe, das Kuscheltier oder der Roller auch mal in die Hand genommen werden könne. „Das weiß unsere Kundschaft sehr zu schätzen“, meint Wenzel weiter.
Wirtschaftlich habe sich die Lage wieder einigermaßen normalisiert, findet die Inhaberin. Und das nicht nur, weil sie ihr Geschäft wieder ohne Einschränkungen öffnen kann. „Wir freuen uns über jeden einzelnen Markttag“, sagt Wenzel. „Und wir profitieren stark von der Gastronomie am Markt“, fügt sie hinzu.
Gastro leidet unter Corona
Gelitten hat diese Branche unter den Lockdowns, den Abstands-, den Masken- und den Registrierungsregeln enorm. Zwischenzeitlich mussten sich die Restaurants verkleinern. So etwa das Restaurant „Da Fabio“ an der Halterner Straße.
Inzwischen ist das wieder anders. Schließlich gibt es seit April 2023 keine rechtliche Grundlage mehr für Corona-Regeln im Alltag. Das merkt man nicht nur in der Dorstener Innenstadt, sondern beispielsweise auch im Krankenhaus.
Auf Nachfrage erklärt das Katholische Klinikum Ruhrgebiet Nord, zu dem auch das St. Elisabeth-Krankenhaus in Dorsten gehört, dass sich Besucherinnen und Besucher „an die üblichen Hygienevorschriften halten“ sollen, „wie sie vor der Corona-Pandemie existiert haben.“ Eine generelle Maskenpflicht bestehe nicht mehr.
Tests nur bei Verdacht
Außerdem würden Patientinnen und Patienten nicht mehr automatisch auf das Coronavirus getestet, so Dr. Hermann Thomas. Lediglich wenn ein Verdacht besteht, würden Schutzmaßnahmen angewendet und Testungen durchgeführt.
Groß war der Bedarf an Corona-Tests in der Hochphase der Pandemie. Einige Unternehmer haben darauf einen Geschäftszweig aufgebaut. Nicht nur um Geld zu verdienen, sondern vor allem, um den Menschen zu helfen. Mehrere dieser Teststellen gehörten zu der Firma von Patrick Schürhoff.

Der Betrieb der Teststellen wurde allerdings immer wieder unterbrochen von Einbrüchen und Brandanschlägen. Mehrfach war die Teststelle am Atlantis-Schwimmbad betroffen. Vom Essener Landgericht sind mittlerweile Tatverdächtige verurteilt worden.
Teststellen wurden angezündet
20 Einbrüche habe es an allen Standorten in NRW gegeben, fasst Schürhoff zusammen. „Wir haben damit aber abgeschlossen und sind froh, dass das ganze Negative vorbei ist“, sagt er mit Blick auf die Einbrüche und Brandanschläge, aber auch in Bezug auf die Pandemie generell.
Nachwirkungen von Corona gibt es trotzdem. Immer noch leiden auch in Dorsten Menschen unter den gesundheitlichen Folgen einer Infektion. Als Long-Covid wird dieses Phänomen bezeichnet.
Noch immer kämen Patientinnen und Patienten deshalb in die pneumologische Sprechstunde des Dorstener Krankenhauses, sagt Dr. Hermann Thomas, Chefarzt der Dorstener Lungenklinik. Er fügt hinzu: „Menschen mit Verdacht auf Long-Covid stellen allerdings nicht den Hauptteil unserer Patienten dar, sondern allenfalls fünf Prozent.“
Mehr als drei Jahre nach Ausbruch der Pandemie sagt Stadtsprecher Ludger Böhne abschließend: „Was in der Rückschau bleibt, ist sicherlich auch ein gewisser Stolz auf das, was in dieser Zeit geleistet wurde und wie die Stadt Dorsten dazu beigetragen hat, die Infektionszahlen niedrig zu halten, den Menschen Zugang zu Schutzausrüstung, Tests und schließlich Impfungen zu ermöglichen.“
Bald sollen deshalb auch die letzten Hinweise auf diese scheinbar längst vergangene Zeit verschwinden. Die Stadt kündigt an, dass der Bauhof, die übrigen Hinweisschilder auf Maskenpflicht und Abstandsregelung zeitnah einsammeln möchte.
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