Mit Ertrinkenden vergleicht Dorstens Bürgermeister Tobias Stockhoff die Kommunen des Kreises. Marl musste kürzlich ein Minus von 84 Millionen Euro verkünden, bei den anderen sieht die Lage nicht viel besser aus. Für Stockhoff kein Trost: „Auch wenn viele im Wasser sind, ertrinke ich trotzdem.“
Kämmerer Karsten Meyer hat ausgerechnet, wie hoch das Wasser Dorsten bis zum Hals steht. Ohne weitere Einschnitte für den Bürger stünde bei Anwendung der Orientierungsdaten des Landes 2024 ein Minus von 14,25 Millionen Euro, 2025 wären es 11,23 Millionen. 2026 käme man auf ein Minus von 11,46 Millionen und 2027 auf 14 Millionen - gerundet sind das insgesamt 51 Millionen Euro.
Eigenkapital verfrühstücken
Von 2017 bis 2023 konnte man noch Eigenkapital aufbauen: 50 Millionen. „Im Grunde müssten wir alles, was erreicht worden ist, innerhalb von vier Jahren verfrühstücken“, so Karsten Meyer. Und auch damit würde man nur Zeit kaufen - die andere Kommunen nicht mehr hätten. Bei der Frage, wer sich im Kreis Recklinghausen mit Eigenkapital am längsten über Wasser halten kann, steht Dorsten nach Haltern am See auf dem zweiten Platz.
Was zieht den Haushalt unter Wasser? Meyer nennt die Personalkosten, wobei die Zusatzkosten durch den Tarifvertrag, nicht durch Stellenaufbau begründet seien. Inflation und Energiekrise sowie die Lieferengpässe, die auch Auswirkungen auf Preise hatten, kommen hinzu, wie auch negative Konjunkturprognosen. Alles Betonklötze an den Füßen, die Dorsten nicht abstrampeln kann. Auch die Unterbringung Geflüchteter werde „nur zum Teil gegenfinanziert“.
Wachsende Standards
Hinzu kommen „wachsende Standards“ ohne Gegenfinanzierung, wie Meyer es nennt - etwa den OGS-Anspruch an Grundschulen. Für die vorgeschriebene kommunale Wärmeplanung hat er eine Million Euro für die nächsten vier Jahre in den Haushalt eingestellt. Ohne zu wissen, was das wirklich kosten wird.
Kann Dorsten nicht an anderer Stelle sparen? Nach vielen Jahren in der Haushaltssicherung habe laut Meyer ein Mitarbeiter der Landesregierung dies für die Kommunen im Kreis Recklinghausen damit verglichen, „als würde man ein seit einer Woche in der Wüste liegendes Handtuch auswringen“.
37 Einzelmaßnahmen
Karsten Meyer bringt dennoch den Haushalt mit einem Haushaltssicherungskonzept ein. Eine pauschale Absenkung um drei Prozent wie im vergangenen Jahr sei aber nicht mehr möglich. Stattdessen schlägt er 37 Einzelmaßnahmen vor.
Darunter etwa die Kündigung der Mitgliedschaft der regionalen Wirtschaftsförderung. Oder eine Wiederbesetzungssperre von vier Monaten. Oder eine Kürzung von 15.000 Euro für Veranstaltungen im Leo oder Treffpunkt Altstadt. Oder einen Austausch von Schulmobiliar oder IT-Systemen nur noch, wenn diese kaputt sind. Zudem soll Meyers ehemaliger Arbeitsbereich, der Dorstener Bäderbetrieb, 400.000 Euro weniger pro Jahr bekommen, sodass auch dieser auf Eigenkapital zurückgreifen müsse. Ähnliches ist bei der Wirtschaftsförderung geplant.
Keine Steuererhöhung
Selbst wenn die Politik sich mit allen Daumenschrauben einverstanden erklären würde, bedeutete dies nicht, dass der Haushalt aus den roten Zahlen käme. Es stünde für 2024 statt 14,25 Millionen Euro Minus dann ein Minus von 7,38 Millionen. Eine weitere Erhöhung der Grund- oder Gewerbesteuer kann sich Stockhoff hingegen nicht vorstellen.
„Es ist nur eine Frage der Zeit: Wird die Entwicklung nicht gestoppt - nicht durch uns, sondern Land oder Bund -, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir umfallen“, so Meyer. Um beim Bild des Ertrinkenden zu bleiben: Man strampelt, so lange es geht, „in der Hoffnung, dass Hilfe kommt“. Man werde etwa auf eine Altschuldenregelung pochen, so Stockhoff. Wobei Meyer betont, selbst das schaffe nur mehr Zeit, löse aber das Problem nicht: „Es gib kein Licht im Tunnel, sondern wir laufen weiter auf die Dunkelheit zu.“
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