Beschimpft, bespuckt, bedroht: Was Notfallsanitäter in Dorsten alles ertragen müssen

© Guido Bludau

Beschimpft, bespuckt, bedroht: Was Notfallsanitäter in Dorsten alles ertragen müssen

rnRettungsdienst

Sie wollen helfen, manchmal Leben retten. Doch Notfallsanitäter in Dorsten haben es mitunter schwer. Sie werden beschimpft, bespuckt, bedroht - zuletzt am Rande des Schützenfestes in Wulfen.

Dorsten, Wulfen

, 09.07.2019, 04:50 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wochenend-Dienste sind bei Notfallsanitätern nicht gerade begehrt, wenn in Dorsten ein Schützenfest gefeiert wird. Denn da kann immer etwas passieren. Andreas Marten* und Peter Müller* (*Namen geändert) hatten also „das große Los gezogen“, wie sie sagen, dass ihre Namen am vorletzten Wochenende auf dem Dienstplan in der Rettungswache der Feuerwehr Dorsten standen. Denn als um 0.32 Uhr der Alarm einging, saßen sie wenig später im Rettungswagen und waren auf dem Weg zum Schützenfest nach Wulfen.

Ein Einsatz wie jeder andere? Diesmal nicht.

„Auf der Straße standen Menschenmassen, die keinen Platz gemacht haben“, erinnert sich Andreas Marten. Er bremste, und während sein Kollege noch am Fahrzeug Notfall-Equipment zusammenpackte, wurde Marten bereits zu einem völlig betrunkenen Jugendlichen geführt. Angehörige und Freunde forderten ihn in aggressivem Ton auf, Tempo zu machen und „etwas zu tun“. Der junge Mann hatte wohl anderthalb Flaschen Rum getrunken.

Drei weitere Patienten behandelt

Peter Müller wurde derweil angesprochen, dass ein zweiter Mann „ausgeknockt“ worden sei. Er forderte einen zweiten Rettungswagen und die Polizei an und brachte den Patienten mithilfe von Passanten in den Rettungswagen. Wenig später kehrte Marten zu seinem Kollegen zurück, als er den betrunkenen Jugendlichen an Kollegen im zweiten Rettungswagen übergeben hatte. „Und dann ging es richtig los ...“

Patient Nummer drei tauchte mit einer erheblichen Platzwunde am Kopf vor dem Rettungswagen auf, umringt von einem Pulk wenig freundlicher Menschen. „Er war alkoholisiert und nach meiner Auffassung auch aggressiv, der wurde mir etwas komisch“, erinnert sich Peter Müller. „Er wollte sich erst nicht behandeln lassen, sondern beschimpfte uns stattdessen.“

Polizei baute eine Art Wagenburg

Die Polizei hatte bereits weitere Streifenwagen angefordert, als der vierte Patient mit einer tiefen Schnittwunde am Hals auftauchte. Die beiden Sanitäter riefen einen Notarzt herbei, versorgten nun auch diesen Schwerverletzten. „Auf dem Augenwinkel habe ich gesehen, dass die Streifenwagen eine Art Wagenburg um unseren Wagen gebildet hatten und die Polizisten Schlagstöcke in der Hand hatten“, berichtet Andreas Marten.

Angst? Dieses Wort nimmt der erfahrene Sanitäter nicht in den Mund. Ihm war „unwohl“, sagt er, dass 40 bis 50 meist alkoholisierte Menschen mit Bierflaschen in der Hand um das Fahrzeug standen, pöbelten, schimpften, unflätige Kommentare sagten. „Man weiß ja nicht, was passiert. Fliegt eine Flasche, zieht jemand ein Messer, prügeln sie sich untereinander?“ Peter Müller fühlte sich „erst sicher, als die Polizei da war“.

„Der Respekt vor Menschen in Uniform ist zurückgegangen.“
Dominik Zientek

Die Zeiten sind auch in Dorsten härter geworden für Notfallsanitäter. „Meistens sind es verbale Angriffe, körperliche sind zum Glück die Ausnahme“, sagt Dominik Zientek. Der Koordinator des Rettungsdienstes auf der Dorstener Feuerwache ist überzeugt, dass die „Hemmschwelle nach unten geht, wenn Alkohol im Spiel ist. Das ist ein Trend der letzten Jahre.“ Ein anderer: „Der Respekt vor Menschen in Uniform ist zurückgegangen.“ Das gilt für Sanitäter, Feuerwehrleute und Polizisten gleichermaßen.

Geladene Waffe in der Tasche

Gut zwei Wochen ist es erst her, da wollten zwei Kolleginnen von Dominik Zientek einen Menschen versorgen. „Der sagte dann, er habe eine geladene Waffe in der Tasche.“ Niemand weiß in dem Moment, ob das stimmt, aber die Sanitäterinnen flüchteten sicherheitshalber ins Auto, verriegelten die Tür und riefen die Polizei.

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Denn nicht immer sind es Schaulustige oder Angehörige von Verletzten, die die Notfallsanitäter bedrohen oder beleidigen. Dominik Zientel und Andreas Marten haben mal eine hilflose Person an der Sparkasse in Hervest aufgegriffen, die Situation eskalierte dann später im Rettungswagen, als sie seine Krankenkassen-Karte haben wollten und der Betrunkene ein Klappmesser aus dem Rucksack holte.

Verbale Entgleisungen kommen in allen Dorstener Gesellschaftsschichten vor, meint Zientek. „Heute werden Kollegen manchmal angepöbelt, wenn sie nur aus dem Auto steigen. Das gab es früher kaum“, sagt der Mann, der seit 20 Jahren im Rettungsdienst ist. „Viele Kollegen haben inzwischen aber keine Lust mehr, sich ungestraft beleidigen zu lassen.“ Weil es überhandgenommen hat.

„Viele Kollegen haben inzwischen keine Lust mehr, sich ungestraft beleidigen zu lassen.“
Dominik Zientek

Im Meldebogen „Gewalt gegen Einsatzkräfte“ werden solche Entgleisungen dokumentiert, die Stadt Dorsten verfolgt sie juristisch rigoros. Zientek glaubt, dass man die Gesetze nicht verschärfen, sondern nur „konsequent anwenden“ muss. Die Einsatzkräfte selbst sollen sich vor Ort aber nicht zur Wehr setzen, sondern „deeskalierend wirken“. Auch wenn es manch einem vielleicht mal in den Fingern juckt.

Doch im Zweifelsfall wird der Rückzug angetreten, um sich selber zu schützen. Das Opfer, die hilflose Person muss dann eben warten. „Mittlerweile überwiegt bei jedem die Vernunft, dass die eigene Gesundheit wichtiger ist als die eines anderen“, betont Dominik Zientek. „Wir wollen ja alle nach dem Dienst gesund nach Hause kommen.“

Von einer Patientin bespuckt worden

Schützenfest-Wochenenden in Dorsten sind generell nicht als „angenehmer Bereitschaftsdienst“ bekannt, gibt der Koordinator zu. Aber so eine Situation wie in Wulfen hat Andreas Marten in den vergangenen fünf Jahren noch nicht erlebt. „Ich bin schon mal mit einem Messer bedroht worden, das kam völlig überraschend. Aber in Wulfen war es anders bedrohlich.“

Peter Müller wurde kürzlich von einer Patientin bespuckt, die er vom Schützenfest in Holsterhausen ins Krankenhaus brachte. Das Mädchen ist gerade mal 15 Jahre alt gewesen. „Und die Mutter hat es später überhaupt nicht interessiert, wo ihre Tochter sich nachts um zwei herumtreibt.“

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