
Lars Vogel, Tatjana, Valeria und Marlies Vogel genießen den Feierabend gemeinsam im Vorgarten im Marienviertel. © Petra Berkenbusch
Harte Arbeit in Dorsten sichert die Existenz der Familie in Odessa
Große Dankbarkeit
Angst vor Bomben ist ein guter Fluchtgrund. Aber Valeria und Tatjana sind vor allem aus der Ukraine geflüchtet, um hier zu arbeiten und ihre Familien daheim in Odessa zu unterstützen.
Mai 2021 - da war die Welt von Valeria und ihrem Freund noch in Ordnung. Die reiselustigen Studenten wollten mal wieder weg und für die Reisekasse vorher in Deutschland ein wenig Geld verdienen. Auf Vermittlung einer Agentur heuerten die Tanz-Studentin aus Odessa und der angehende Pilot im Schermbecker Gartenbaubetrieb Aldenhoff an. Aus der Dänemark-Reise wurde bisher nichts, aber ein Jahr später herrscht Krieg in der Ukraine und Valeria ist wieder in Dorsten.
Diesmal hat die 21-Jährige ihre Mutter Tatjana (49) mitgebracht, und gewohnt wird nicht mehr wie 2021 auf dem Ponyhof in Erle, sondern bei Lars und Marlies Vogel im Marienviertel. Beide arbeiten bei Aldenhoff, wo auch Lars Vogel beschäftigt ist. Nicht nur der Lkw-Fahrer, sondern auch Firmenchef Peter Aldenhoff hatte sich nach Ausbruch des Kriegs Sorgen gemacht um die jungen Leute, die sie im Jahr zuvor kennengelernt hatten.
Auch ein Arbeitsplatz kann eine große Hilfe sein
Peter Aldenhoff berichtet, dass er Valeria kurz nach Ausbruch des Krieges angeschrieben und Hilfe angeboten hat. „Aber sie wollte zunächst nicht ohne ihren Freund weg“, erzählt er.
Wichtiger Hafen am Meer
Odessa ist eine Hafenstadt am Schwarzen Meer im Süden der Ukraine. Sie ist für ihre Strände und ihre Bauten aus dem 19. Jahrhundert bekannt, darunter das Opernhaus. Über die Häfen in Odessa werden fast die Hälfte der Ex- und Importe der Ukraine abgewickelt. Deshalb hat die Hafenstadt eine besondere militärische Bedeutung.Eine Antwort, die auch Lars Vogel zunächst von Valerias Freund bekommen hat. Aber dann änderte sich die Lage in der Heimat doch dramatisch. Valeria berichtet: „Die Wochen vergingen, und der Krieg blieb. Irgendwann hatte keiner mehr einen Job, niemand aus unseren Familien verdiente mehr Geld.“
Da fragte sie dann doch bei Peter Aldenhoff nach, ob sie mit ihrer Mutter zum Arbeiten komme könne. Konnte sie. „Wir waren zwar schon mit Arbeitskräften versorgt“, sagt Peter Aldenhoff, „aber wir wollten helfen, und es gibt in einem Betrieb ja immer Arbeit genug.“ Auch Lars Vogel und seine Mutter Marlies halfen tatkräftig: Sie boten Mutter und Tochter Unterkunft an.
54 Stunden im Bus von Odessa bis Frankfurt
Am 18. März verließen Valeria und Tatjana Odessa, über Moldawien kamen sie nach 54-stündiger Busfahrt in Frankfurt an, fuhren von dort aus weiter mit dem Zug nach Köln. Dort holten Marlies Vogel und ihr Sohn die erschöpften Gäste ab. Registrierung, Arbeitserlaubnis, alle Formalien seien schnell über die Bühne gegangen. Seither arbeiten die beiden hart im Gartenbaubetrieb, um ihre Familie zu Hause in Odessa zu unterstützen, zum Beispiel die Oma. „Ihr Einkommen hat sich auf 100 Euro im Monat reduziert“, erklärt Valeria, „aber schon allein die Grundnahrungsmittel sind wegen des Kriegs unermesslich teuer geworden.“

Panzersperren und Blockaden zeugen vom Krieg gegen die Ukraine in Odessa. © picture alliance/dpa/Eurokinissi via ZUMA Press Wire
Weil es kompliziert und kostspielig ist, Geld in die Ukraine zu transferieren, wollen Tatjana und Valeria Mitte Mai mal wieder in einen Bus steigen, zur ukrainisch-moldawischen Grenze fahren, um dort Geld an die Familie zu übergeben, wichtige Papiere zu unterzeichnen und dem Enkel und Neffen zum ersten Geburtstag gratulieren. Das sei die Strapaze wert.
Zurück nach Hause, sobald der Krieg zu Ende ist
Ihr Arbeitsvertrag gilt bis September, so lange können sie hier Geld verdienen. Was danach ist, wissen sie noch nicht. Nur: „Sobald der Krieg zu Ende ist, fahren wir sofort wieder zurück.“ Und obwohl es ihnen in Dorsten gut geht und sie extrem dankbar sind für die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Vogels, der Aldenhoffs und ganz Deutschlands, hoffen sie selbstverständlich, dass das so bald wie möglich der Fall ist.
Und so sehr Lars und Marlies Vogel sich an die Wohngemeinschaft mit den beiden Frauen gewöhnt haben, so sehr hoffen sie doch mit ihnen, dass der grausame Krieg in ihrer ukrainischen Heimat bald endet und Valeria und Tatjana ihre ganze Familie unversehrt wieder in die Arme schließen können.
Geboren und geblieben im Pott, seit 1982 in verschiedenen Redaktionen des Medienhauses Lensing tätig. Interessiert an Menschen und allem, was sie anstellen, denken und sagen.
