„Björn Höcke ist nicht das Problem“ Die AfD in Dorsten marschiert stramm nach ganz rechts

„Björn Höcke ist nicht das Problem“: Die AfD marschiert stramm nach ganz rechts
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Etwas breitbeinig steht Dr. Daniel Zerbin inmitten seiner Parteifreunde aus dem Bezirksverband Münster. Der Landtagsabgeordnete der AfD aus Dorsten lächelt. Alle lächeln in der Magdeburger Messehalle in die Kamera. Auch die auffällig bunt gekleidete Simone Paulsen.

Später bestätigt die Vorsitzende des Stadtverbandes Dorsten via Facebook den Eindruck, den auch das Foto wohl vermitteln soll. „,Wir wählten einig und geschlossen, mit Harmonie und Disziplin die ersten 15 Kandidaten für das Europaparlament.“

Neutrale Beobachter hatten mehrheitlich einen völlig anderen Eindruck von dem Parteitag. Und die Kandidaten, die in Magdeburg für die Europawahl im Juni 2024 aufgestellt wurden, werden fast ausschließlich dem Lager des rechtsextremen Björn Höcke zugerechnet. Paulsen schreibt: „Wir gratulieren allen Gewählten und übermitteln Grüße vom AfD-Stadtverband Dorsten.“

Professur für Kriminalwissenschaften

Es ist ein weiteres Indiz, wie weit rechts sich der Dorstener AfD-Stadtverband mittlerweile auch öffentlich positioniert. Maßgeblich dafür verantwortlich ist auch Daniel Zerbin. Der Lembecker war bis zur Landtagswahl im vergangenen Jahr ein politischer Nobody, schaffte es aber über die Liste seiner Partei nach Düsseldorf und leitet dort seit einem Jahr den Wissenschaftsausschuss.

Für die AfD ist Zerbin offenbar ein Segen. Bis letztes Jahr war das frühere FDP- und CDU-Mitglied Dozent an der Northern Business School in Hamburg, 2017 hatte er dort die Professur für Kriminalwissenschaften übernommen. Betreiberin der privaten Hochschule ist die Norddeutsche Bildungsstiftung Hamburg. Die hatte augenscheinlich kein Problem damit, dass der Professor seit 2016 Mitglied der AfD war.

Daniel Zerbin hängt Wahlplakat der AfD auf.
Im Landtagswahlkampf plakatierte AfD-Kandidat Daniel Zerbin in Dorsten mit. Nur Plakate mit seinem Bild suchte man lange Zeit vergebens. „Ich muss nicht aus dem Haus gehen und mich dann selber sehen", sagte er damals. © privat

Natürlich war Daniel Zerbin in Magdeburg beim ersten Teil der Europawahlversammlung. Nach seinen Eindrücken befragt, antwortete er in dieser Woche wörtlich: „Die bloße Behauptung, meine Partei sei extrem rechts und demokratiefeindlich sowie verfassungsfeindlich und dies hätte u.a. die Europawahlversammlung in Magdeburg gezeigt, weise ich mit Nachdruck zurück.“

Zerbin hält, wie viele andere in der AfD, die Migrationspolitik der letzten Jahre für gescheitert. „Björn Höcke ist nicht das Problem, das Deutschland im Moment hat.“ Die „Dämonisierung und Entmenschlichung eines Einzelnen“ sei „sehr deutsch“. Viel eindeutiger als Zerbin kann man sich kaum positionieren.

Aus dem Nichts auf die politische Bühne

Zu Christian Blex, der im vergangenen Jahr wegen seiner geplanten Reise in die Ost-Ukraine aus der Landtagsfraktion geflogen war, pflegt der Lembecker nach wie vor einen guten Kontakt. Blex ist immer wieder gern gesehener Gast bei den Stammtischen in Dorsten. Beim Neujahrsempfang des von Zerbin geleiteten Bezirksverbandes Münster saßen in Januar beide in der ersten Reihe. Zwischen ihnen: Björn Höcke.

Der Landtagsabgeordnete weiß sich da offenbar auf einer Linie mit den Parteifreunden in seiner Heimatstadt Dorsten. Die haben gerade einen neuen Vorstand gewählt, nennen aber mit Ausnahme von Simone Paulsen die Nachnamen der Mitglieder nicht. Eine Begründung gibt es öffentlich auch auf Nachfrage nicht.

Wie Zerbin war auch Paulsen ein unbeschriebenes politisches Blatt, als sie im Juli 2021 erstmals an die Parteispitze gewählt wurde. Damals wurden auch noch die vollständigen Namen der Vorstandsmitglieder mitgeteilt. Die Hausfrau und Mutter von vier Kindern scheint Gefallen gefunden zu haben an Kommunalpolitik im Sinne der AfD, auch wenn sie da nur am Rande als sachkundige Bürgerin mitmischt.

Der politische Frontmann der AfD in Dorsten ist Heribert Leineweber. Er war nicht in Magdeburg, hat sich bislang aber auch nicht öffentlich distanziert vom rechten Lager seiner Partei. Seine Aufgabe ist es, die Partei vor Ort auf Linie und im Gespräch zu halten.

Das gelang seit dem erstmaligen Einzug der dreiköpfigen Fraktion in den Stadtrat vor knapp drei Jahren allerdings weniger politisch als vielmehr durch Eskapaden der ehrenamtlichen Volksvertreter.

Ein inzwischen zurückgetretenes AfD-Ratsmitglied trug im Dezember 2020 bei einer "Querdenker"-Demo in Dorsten eine Maske mit der Aufschrift "Corona-Diktatur" und verwickelte mit einem Parteifreund auch Bürgermeister Tobias Stockhoff (gelbe Weste) in ein Gespräch.
Ein inzwischen zurückgetretenes AfD-Ratsmitglied (r.) trug im Dezember 2020 bei einer „Querdenker"-Demo in Dorsten eine Maske mit der Aufschrift „Corona-Diktatur" und verwickelte mit einem Parteifreund auch Bürgermeister Tobias Stockhoff (gelbe Weste) in ein Gespräch. © Petra Berkenbusch (Archiv)

Verschwörungstheorien und „Corona-Diktatur“

Ein Kollege von Leineweber trug während einer Querdenker-Demo kurz nach der Kommunalwahl eine Maske mit der Aufschrift „Corona-Diktatur“. Wenige Wochen später trat er zurück. Leineweber äußerte sich dazu öffentlich nicht, auch nicht über den ehemaligen Bürgermeister-Kandidaten Marco Bühne.

Der vertrat während der Pandemie krude Verschwörungstheorien, wurde ebenfalls auf Querdenker-Demos in Dorsten und Bottrop gesichtet und trat im Juni 2021 „aus persönlichen Gründen“ aus der Fraktion aus. 17 Monate später kehrte er überraschend zurück.

Das „Lieblingsziel“ der AfD-Fraktion ist augenscheinlich Bürgermeister Tobias Stockhoff. Dass der kürzlich in einem Interview mit dieser Zeitung eine Zusammenarbeit mit der Partei kategorisch ausschloss, solange diese „Rechtspopulisten wie Björn Höcke in ihren Reihen duldet“, kommentierte Leineweber auf Anfrage in dieser Woche wie folgt: „Die Aussage von Herrn Stockhoff betrachte ich als polemisch und populistisch. Auf dieses Niveau wird sich die AfD-Ratsfraktion Dorsten nicht begeben.“

Tobias Stockhoff und Heribert Leineweber
AfD-Fraktionsvorsitzender Heribert Leineweber attackiert Tobias Stockhoff immer wieder. In einer Ratssitzung im März 2021 wurde er ausfallend und sagte in Richtung des Bürgermeisters: „Sie sind lächerlich." © Montage Martin Klose

Während Simone Paulsen die Aussage des Bürgermeisters „zur Kenntnis“ genommen hat, schrieb Landtagsabgeordneter Zerbin, angesprochen auf das Stockhoff-Zitat, zurück: „Wer seine politische Karriere Opportunismus und dem Leugnen signifikanter Probleme in diesem Land verdankt, ist für mich kein seriöser Partner.“

Tobias Stockhoff wurde 2020 zum zweiten Mal zum Bürgermeister der Stadt Dorsten gewählt. Er erhielt im ersten Wahldurchgang 76,9 Prozent der Stimmen, AfD-Kandidat Bühne 5,4 Prozent.

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