
© Tobias Weckenbrock
Wie zwei Stahl-Kolosse das Rütgers-Werk in eine neue Generation führen
Phenol-Betrieb
Immenser Aufwand stand hinter dem Transport zweier Teilanlagen für das Chemieunternehmen Rütgers: Zwei Stahl-Kolosse, zusammen über 100 Tonnen schwer, schwebten Mittwoch über dem Rauxeler Werk.
Dass es nicht einfach ist, zwei Anlagen mit einem Gewicht von jeweils über 60 Tonnen aus der Schweiz nach Castrop-Rauxel zu transportieren, war vorher klar. Dass es dennoch pünktlich klappte, ist der minutiösen Vorbereitung in Zusammenarbeit verschiedener Firmen zu verdanken. Und doch gab es am Mittwochvormittag in Castrop-Rauxel einen Moment, in dem es so aussah, als würde das Projekt kurz vorm Ziel noch zum Problem.
Mittwoch nach Pfingsten, die Sonne scheint, es sind gut zwei Dutzend Mitarbeiter in Blau- und Graumännern am kleinen Kanalhafen rund um zwei Autokräne versammelt. 7.30 Uhr. An der Spundwand liegt seit dem Vorabend das Schiff Masabi. In seinem Bauch trägt es zwei Stahlgerippe, die nur knapp über die Bordwand hinaus ragen. Dass sie zusammen mehr als 120 Tonnen wiegen, ist nicht ersichtlich und für das Schiff kein Problem.

Zwei Autokrane heben die erste von zwei Teilanlagen von einem Kanalschiff auf einen Straßen-Schwertransporter. © Tobias Weckenbrock
Am Ufer stehen zwei Autokräne mit 40 Meter langen Auslegern, die in den blauen Himmel ragen: Sie sollen an riesigen Stahlseilen die beiden „Skids“ der Firma Sulzer aus dem Bauch des Schiffes heben. Zu diesem Zeitpunkt haben sie eine sechstägige Schifffahrt über den Rhein und den Wesel-Datteln-Kanal hinter sich.
Auf dem Rhein-Frachter unter Containern
Peter Prions, Betriebsingenieur des Phenolbetriebes der Firma Rütgers, war über Pfingsten extra in Duisburg und beobachtete dort die Anlieferung der Anlagenteile über den Rhein: Die Camaro brachte die Skids von Basel bis Wesel, an Bord eines Containerschiffes, auf dem sie kaum auffielen. „Die Container überragten alles“, sagt Prions jetzt, zwei Tage danach - „man konnte unsere Skids kaum sehen“.

Die Camaro, ein Schiff auf dem Rhein, transportierte neben einigen Containern auch die Skids. Die wurden dann in Wesel auf ein Kanalschiff verladen. Unter den Containern gingen sie unter und waren kaum zu sehen. © Peter Prions
Das führte kurz zu einer Verunsicherung bei Werksleiter Carsten Grabosch, dem er ein Foto zuschickte - aber es war nur ein kleiner Spaß, den sich Prions erlaubte. Für ihn und die Mitarbeiter sei das ein besonderer Tag, ein Meilenstein im Projekt „neuer Phenolbetrieb“.

Von der Rheinbrücke in Duisburg aus konnte Betriebsingenieur Peter Prions die Anlagen am Sonntag auf dem Rhein-Frachter sehen - aber erst bei der Durchfahrt. © Peter Prions
Die Abschaltung der alten Anlage hat in den vergangenen zwei Jahren für Unruhe in der Belegschaft und ihrem Umfeld gesorgt. Das Chemiewerk in Rauxel mit seinen über 400 Arbeitsplätzen, den Mitarbeitern und ihren Familien ist einfach zu wichtig für die Stadt Castrop-Rauxel.
Unruhe gibt es am Mittwochvormittag nur kurz. Um 8.20 Uhr spannen sich die Seile. Der Koloss hebt sich millimeterweise aus dem Bauch des Schiffes, „schwebt“ 15 Meter hoch über einem Baum über den einen halben Meter hohen Straßentransport-Auflieger, wird scheinbar mühelos von zwei Kranfahrern herabgelassen und hängt 15 Minuten später wenige Zentimeter über dem Gefährt.
Männer messen millimetergenau
Männer knien davor, messen mit Zollstöcken nach, ob er richtig hängt, geben über Funk Kommandos an die Kranführer. Ein Mann steuert mit einer Art Fernsteuerung den Transporter, der sich leicht nach vorn, dann nach rechts, dann nach vorn, dann ein wenig zurück nach links bewegt - ehe er richtig steht.

Verladen ist Millimeterarbeit: Damit die Anlager Firma Sulzer genau richtig auf den Transporter gelegt wird, muss alles stimmen. © Tobias Weckenbrock
Zunächst nicht ganz richtig: Als die Kräne ihn die letzten Millimeter herablassen, steht der Skid leicht schief auf dem Transporter. Wenig später, als er gehoben, wieder herabgelassen ist und dann gerade steht, sagt die Anzeige auf dem Überwachungs-Monitor des Transporters, dass es nicht gehen könnte. Der Moment des Zweifels, der kurzen Unruhe. Doch zu schwer für den Auflieger?
„Wir haben nun zwei Jahre gewartet. Eine Woche länger schaffen wir auch noch“, sagt Rütgers-Chef Günther Weymans unserer Redaktion am Telefon. Nach kurzer Zeit aber kommt die Entwarnung: Die beteiligten Firmen und Entscheidungsträger haben sich kurzgeschlossen. Der Transporter kann rollen.
Doch erst machen die Männer Pause: Es gibt etwas zu essen und eine Zigarette für die Raucher. Dann geht es weiter: Etwa 20 Minuten dauert der von einem Fußgänger und einem Betriebsfeuerwehr-Wagen geleitete Weg der Anlage übers Werksgelände. Am neuen Standort, wo schon seit Monaten vorbereitende Bauarbeiten laufen, stehen zwei vergleichbare Autokräne zu denen am Hafen: Sie stellen den liegend transportierten Turm auf.

Der erste von zwei Skids wird an seiner neuen Stelle im Geflecht aus tausend Rohren bei Rüthers aufgestellt. © Carsten Grabosch
Noch ein paar Monate, erklärt Projektleiter Peter Prions im Interview, werden die Arbeiten dauern: Die Anlagen werden installiert, angeschlossen an die anderen Teilanlagen, die allerdings allesamt deutlich kleiner sind und bis zum 16. Juni geliefert werden sollen.
Ein Generationswechsel für den Werksstandort
Vielleicht läuft noch in diesem Jahr der Testbetrieb an. Für Prions ein Meilenstein: „Der jetzige Schritt mit der neuen Anlage bringt die Aromaten-Chemie deutlich nach vorne“, sagt er. Der richtige Schritt in die Zukunft, energieeffizienter und abfallärmer, aber auch weniger störungsanfällig als der alte Phenolbetrieb. Der war durch die Probleme nicht mehr wirtschaftlich, sagte Rütgers-Chef Günther Weymans vor Wochen. Prions meint: „Ich glaube, es ist nur von Vorteil.“

Carsten Grabosch, Werksleiter bei Rütgers in Rauxel, sagt: „Wahnsinn! Wir machen aus alt neu. Die Kollegen fiebern mit. Sie sehen, dass wir sehr sehr viel machen und neue Anlagen bauen.“ © Tobias Weckenbrock
Rütgers-Werksleiter Carsten Grabosch begleitet das Geschehen vor Ort. Er hält es mit der eigenen Fotokamera fest. Man habe parallel die Fundamente gießen und vorbereiten können, während in der Schweiz die Skids errichtet wurden - das war der Vorteil. „Wahnsinn“, sagt er, sei diese Zeit für Rütgers, in der die HHCR neu errichtet wurde und in der nun diese neue Phenol-Anlage die alte ersetzt. „Wir machen aus alt neu“, sagt er zur Frage, ob das Rütgers-Werk in eine neue Generation gehe, und nickt heftig. „Die Kollegen fiebern mit“, so Grabosch. „Sie sehen, dass wir sehr sehr viel machen.“
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
