Westring-Center: Casconcept holt zum Schlag aus

Politikum seit 20 Jahren

Wo erledigt der Castrop-Rauxeler seine Einkäufe heute? Diese Frage ist seit 20 Jahren ein Politikum. Es könnte in diesem Fall bald zu Ende gehen – weil das Einkaufszentrum am Westring in baldiger Zukunft weitgehend fertig gebaut ist. Aber jetzt gibt es noch eine vielleicht finale Schlacht.

CASTROP-RAUXEL

, 27.10.2016, 17:24 Uhr / Lesedauer: 5 min
Der Flächenentwicklungsplan für das Westring-Center

Der Flächenentwicklungsplan für das Westring-Center

Die Händler in der Altstadt sind auf ihre Kunden angewiesen – sie leben von dem Geld, das diese im Herzen Castrop-Rauxels ausgeben. Darum wird das Thema Westring heftig diskutiert – seit mehr als 20 Jahren. Die Castroper Kaufleute bringen sich immer wieder dagegen in Stellung. Nun haben sie erneut zu einem Schlag ausgeholt. 

Die Standortgemeinschaft Casconcept, in der nach eigenen Angaben derzeit rund 80 Geschäfte, Unternehmen und Einzelpersonen organisiert sind, hat in einer Mitteilung an die Medien aufhorchen lassen. Der WDR berichtete vergangene Woche in der Lokalzeit Ruhrgebiet unter dem Titel „Filz in Castrop-Rauxel?“

Vorwurf gegen CDU-Ratsmitglied

Dabei griff der Vorstand, für den Juwelier Matthias Zimmer und Apotheker Winfried Radinger das Gespräch auch mit unserer Redaktion suchten, zu einem neuen Mittel. Sie argumentieren in der Frage, ob die Ansiedlung des Drogeriemarktes Rossmann dem Kundenzulauf in der Altstadt schade, nicht inhaltlich – sondern auf eine Person gerichtet: CDU-Ratsmitglied Oliver Lind, der auch Vorsitzender des Ausschusses B3 der Stadt Castrop-Rauxel ist, sei „Diener zweier Herren“.  

Jurist Lind hatte die Westring-Investorin, der Richter OHG aus Zürich, rechtlich beraten. Das geht aus dem Gutachten von Stadt + Handel hervor, das der Investor zusammen mit den Bauanträgen für Rossmann und Aldi der Stadtverwaltung vorlegen musste.

Deren Prüfung sei gerade in der Endphase, so der Technische Beigeordnete Heiko Dobrindt. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, dann kann der Investor bauen. „Wir haben in dieser Sache den schwarzen Peter“, sagte Dobrindt am Mittwoch im Gespräch mit unserer Redaktion. Doch den versucht Casconcept, auch Lind zuzuschieben – um zu verhindern, dass die Akte nun so geschlossen wird. 

Zum Verständnis der aktuellen Lage muss man tief in die Geschichte des Westring-Centers blicken. In diesem Sinne: Grundsätzlich sieht Casconcep die Gefahr, dass die Kaufleute in Castrops Kern Kunden verlieren, wenn in der Peripherie – in diesem Fall am Westring – Einkaufszentren gebaut werden.  Das Thema Westring ist jetzt wieder akut, weil seit einigen Wochen feststeht, dass dort der Aldi-Markt einen Neubau errichten wird und sich die Drogeriemarktkette Rossmann neu ansiedelt. Dann gibt es dort ein weiteres Geschäft. Diesmal eines, das ein Sortiment führt, von dem es in der Altstadt in dm einen direkten Wettbewerber gibt – also genau das, was Casconcept nicht will.

Rückblick auf die Entwicklung

Die Firma Richter & Richter GbR tritt seit den 90er-Jahren als Investor und Bauherr auf. Architekt Udo Scheffler entwirft und organisiert seither die Bauten. Beide Seiten sind natürlich daran interessiert, die Fläche am Westring, die verkehrlich viel besser erschlossen wurde, zu füllen. Das ist inzwischen auch geschehen, aber etwas Platz ist noch frei – und das ist Raum, der keinen Ertrag abwirft. Nicht für den Investor, aber auch nicht für die Stadt: Wenn ein Unternehmen hier Umsatz machen würde und Arbeitnehmer beschäftigte, wäre das zweifelsohne wertvoller als eine Brache. Auch die Politik ist an einer florierenden Wirtschaft grundsätzlich interessiert.

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Neu ins Spiel gekommen ist die Kanzlei Sielaff & Lind aus Dortmund, die Steuer- und Rechtsberatung anbietet und seit einiger Zeit die Richter & Richter GbR berät. Genauer: Sie hat in diesem Fall die Rechtsgeschäfte für die Investorenfirma geregelt. Und diese hatten eine besondere Hürde, oder vielleicht besser gesagt: ein spezielles Hintertürchen, das man erst finden und öffnen musste – und daran entzündet sich nun Sprengstoff.

Die Rechtslage: Ursprünglich war auf diesem Gelände ein Fachmarktzentrum zugelassen, bei dem „zentrenrelevante Sortimente ausgeschlossen sind, soweit es sich nicht um Nebensortimente handelt, die maximal zehn Prozent der Verkaufsfläche, jedoch nicht mehr als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche der jeweiligen Hauptnutzung einnehmen dürfen“. So hieß es 2005 im Bebauungsplan, den die Politik verabschiedet hatte. Der wurde in die Version 34 geändert – und da will so recht keiner raus mit der Sprache, warum es dazu kam.

Firma klagte auf Schadenersatz in Millionenhöhe

Es muss mit einem Rechtsstreit zu tun gehabt haben, der 2007 in einem Vergleich endete: Die Stadt hatte dem Investor untersagt, einen Mediamarkt und einen Supermarkt zu bauen. Die Firma klagte auf Schadensersatz in Millionenhöhe, und Johannes Beisenherz, damals Bürgermeister und Verwaltungschef, suchte das Gespräch. Man fand eine Lösung, die im Bebauungsplan Version 34 endete, den die Politik 2009 verabschiedete.

Der neue Bebauungsplan: Darin steht, dass sogenannte zentrenrelevante Sortimente – Bekleidung, Elektroartikel, Nahrungsmittel, Haushaltsartikel, Hobby-Artikel oder ähnliches, was man sonst in Innenstädten kaufen kann – zugelassen werden können. Das besagte eine neue Ziffer: Danach muss der Investor per Gutachten vorweisen, dass die Auswirkungen auf Zentren unwesentlich seien. Und die sind nach dem Einzelhandelskonzept der Stadt von 2007 ausgewiesen – mit einem klaren Fokus auf die Sicherung der Altstadt.

So legte die Richter & Richter GbR der Stadtverwaltung nun ein mit dem Datum 4. August 2016 verfasstes Gutachten der Stadtplaner-Agentur „Stadt + Handel“ vor. Es ist eine städtebauliche Verträglichkeitsanalyse, die besagt: Es sind keine – wörtlich „nicht nur unwesentlichen“ – Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche durch die Ansiedlung von Rossmann zu erwarten. Keine wesentlichen also. Von elf Prozent Kaufkraftverlust ist die Rede. Im Gutachten steht zwar auch, dass die Ansiedlung eines Drogeriemarktes nicht den Zielstellungen des Zentren- und Einzelhandelskonzeptes der Stadt (verabschiedet 2007) entspreche – aber letztlich gibt es selbst dann doch „grünes Licht“.

Eine Lücke im Bebauungsplan

Über das Gutachten und den Stand des Bauantrags informierte der Technische Beigeordnete Heiko Dobrindt für die Verwaltung im Ausschuss. Die Politik nahm es zur Kenntnis. „Es gab eine kurze Diskussion“, erinnert sich Dobrindt, aber ein politischer Beschluss stand nicht an. „Wir hatten da die Lücke im Bebauungsplan“, sagt er heute. „Das schien damals der Stein der Weisen zu sein.“ Über Bauanträge entscheidet auf Basis des politisch verabschiedeten Bebauungsplans die Verwaltung, nicht die Politik.

Trotzdem ist genau das für Casconcept jetzt Angriffspunkt – nicht inhaltlicher Art, sondern per Detail: Die Kanzlei Sielaff & Lind taucht im Gutachten als Auftraggeberin auf – die Rechtsberatungssocietät aus Dortmund, in der Oliver Lind Teilhaber ist. Der CDU-Ratsherr. Und Ausschussvorsitzende.

Casconcept meint, Lind sei hier Diener zweier Herren. „Wir verstehen das so, dass der für den Investor tätige Rechtsberater, der aus seinem Mandat heraus bestimmte Treuepflichten gegenüber seinem Auftraggeber hat, gleichzeitig Vorsitzender des Ausschusses ist, welcher über bauplanungsrechtliche Fragen der Stadt vorentscheidet. Auch gegenüber der Stadt bestehen aus dem Mandat heraus Treuepflichten. Insbesondere gilt dies gegenüber den Bürgern.“

"Zumindest äußerst fragwürdig und nicht korrekt"

Die Strategie der Standortgemeinschaft ist offensichtlich: Es gibt keine andere Handhabe mehr, den Ausbau des Einkaufszentrums zu verhindern. Der Investor handelt so, wie es ihm der Bebauungsplan ermöglicht. Aber aufgeben? Dafür ist das Thema zu wichtig. „Die Gleichzeitigkeit von politischen, kontrollierendem Mandat und die Beratung des Investors ist zumindest äußerst fragwürdig und nicht korrekt“, meint Casconcept. Die Gutachten seien darum nicht verwertbar, eine Baugenehmigung sei so nicht zu erteilen.

Das sieht die CDU anders. Lind sagt: „Die Baugenehmigungen haben ihre Rechtsgrundlage im Bebauungsplan aus 2009. Zu dieser Zeit wurde Richter durch die Kanzlei Lenz und Johlen vertreten.“

Zudem habe er die Beratung, die nicht auf Rechtsänderung gerichtet war, in Verwaltung und Politik angezeigt. Beim Dobrindt-Bericht tat Lind als Ausschussvorsitzender das, was er laut Gemeindeordnung in Debatten und Abstimmungen tun sollte: Er gab den Vorsitz vorübergehend ab und setzte sich auf einen Zuhörerplatz.

Entscheidung über Bauanträge liegt bei der Verwaltung

In Paragraf 31 der Gemeindeordnung NRW ist geregelt, wie (ehrenamtliche) Kommunalpolitiker bei Themen zu agieren haben, in denen sie befangen oder Interessenvertreter sind. Danach hat Lind in diesem Fall gehandelt – wenngleich es sich hier nur um einen Bericht, nicht um einen Beschluss handelte. Beschlossen wurde 2009, über Bauanträge entscheidet nicht die Politik, sondern die Stadtverwaltung.

Casconcept verfasste die Pressemitteilung und sprach mit Medienvertretern. Der WDR berichtete in der „Lokalzeit“ unter dem Titel „Filz in Castrop-Rauxel?“. Die CDU-Fraktion wurde von dem Beitrag überrascht, sagt sie. „Wir waren sehr irritiert über das Verhalten von Casconcept“, sagte der Vorsitzende Michael Breilmann am Dienstagabend auf Anfrage, nachdem am Montag bei der Fraktionssitzung 30 Minuten lang über dieses Thema gesprochen worden sei. „Ich habe eigentlich ein gutes Verhältnis zu Casconcept. Aber mich hat Herr Radinger erst am Samstag angeschrieben, dass man Gesprächsbedarf sehe“, so Breilmann. Nach der Ausstrahlung. Man wolle das Angebot aber annehmen und sich mit deren Vertretern und Oliver Lind zusammensetzen. Der habe hier in jedem Fall korrekt gehandelt. Affäre? Filz? „Das bewerte ich anders“, so Breilmann. Eine Frage aber bleibt offen: Warum handelte Oliver Lind so?

Center demnächst bald so gut wie voll

Er selbst erklärt es so: Er habe in seiner Funktion als Rechtsberater mit dem Investor zusammen einen Deal mitorganisiert. „In den Vereinbarungen mit der Richter OHG steht festgehalten, dass wir nach dem Bau des größeren Aldi-Discounters und der Ansiedlung von Rossmann den Bebauungsplan ändern.“ Er habe dem Investor die „Bereitschaft abgerungen, einer Überplanung zuzustimmen“. Heißt: Die Klausel, die hier das Hintertürchen öffnete, wird gestrichen – sofern die Politik so entscheidet. „Somit habe ich den Interessen der Stadt als Gesamtheit gedient“, sagt er. Allerdings muss man festhalten: Das Westring-Center ist demnächst so gut wie voll.

Heiko Dobrindt: „Es ist für uns eine Abwägung und ein Ermessen zwischen Eigentumsgarantie und Zentrenschutz. Da spielt auch die Frage eine Rolle: Was passiert, wenn wir ablehnen und einen Rechtsstreit riskieren? Welche Chancen hätten wir?“