Es ist ein Artikel in dieser Zeitung, der Elke Kinkeldei dazu bringt, eine E-Mail an unsere Redaktion zu schreiben. Der Artikel erklärt, wann die Krankenkassen Bluttests übernehmen, die Trisomie 21 im Frühstadium erkennen. Menschen mit Trisomie 21 oder umgangssprachlich dem Down-Syndrom haben 47 Chromosomen in ihren Zellen statt der „normalen“ 46. Das 21. Chromosom gibt es also dreimal.
Mittlerweile gibt es Bluttests, die ab der 10. Schwangerschaftswoche erkennen, ob das Kind das Down-Syndrom haben könnte. Gerade bei älteren Schwangeren oder nach einem Anfangsverdacht wird der Bluttest durchgeführt. Ist der Test positiv, steht schnell die Frage im Raum: Will man das Kind austragen oder die Schwangerschaft abbrechen?
Für Elke Kinkeldei kommt ein Punkt dabei viel zu kurz: Wie leben eigentlich Menschen mit Down-Syndrom? Sie weiß es, denn ihr Sohn Valentin (15) hat Trisomie 21. Die Castrop-Rauxelerin selbst hat eine Selbsthilfegruppe für Familien ins Leben gerufen.
Wir treffen Elke und Valentin Kinkeldei im Wohnzimmer eines gemütlichen Reihenhauses in Castrop-Rauxel. An den Wänden hängen Fotos von Ausflügen, Familienurlauben und Festen.
Trisomie 21: Ein Türöffner
Während sie mit Valentin schwanger war, wusste Elke Kinkeldei noch nichts von der Trisomie ihres Sohnes: „Ich hatte eine schöne Schwangerschaft“, erinnert sie sich.
Für sie sei die Behinderung auch nicht automatisch etwas Schlechtes: „Sie ist ein Türöffner. Wir treffen so viele fantastische Menschen, uns wären sonst viele bedeutsame Dinge verloren gegangen.“
Natürlich brauche man Kraft, vielleicht manchmal mehr Kraft als andere Eltern. Denn Trisomie 21 sorgt für Entwicklungsverzögerungen, zum Beispiel bei der Sprache oder beim Laufen. Das bringe Probleme mit sich. Elke Kinkeldei nennt ein Beispiel: „Valentin wird wahrscheinlich keinen Führerschein machen können.“

Aber das hält den 15-Jährigen nicht auf: „Diese Kinder sind stur, und so ist auch Valentin. Wenn er sich etwas in den Kopf setzt, dann versucht er, irgendwie einen Weg zu finden.“
Valentin malt Bilder, bunte Bilder, oft mit geometrischen Mustern. Die verkauft er, und von dem Geld „kann ich meiner Schwester dann ein Auto kaufen“, erzählt er. Auch wenn Mutter Elke bezweifelt, ob Valentins Schwester Johanna (17) ihn herumfahren würde, bewundert sie seine Willenskraft. Aus seinem Zimmer holt Valentin während des Gesprächs seine Spardose und zeigt stolz die ersten Scheine, die er gespart hat.
Viele Interessen, viele Talente
Aber nicht nur mit Pinsel und Farben ist Valentin kreativ. Elke Kinkeldei: „Er ist auch beim Westfälischen Landestheater in der Jugendgruppe mit dabei.“ Zum Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März steht er sogar auf der WLT-Bühne.
Außerdem treibt er gerne Sport, geht Schwimmen, spielt Fußball und ist riesiger Fan des VfL Bochum. Er erzählt so leidenschaftlich und schnell von seinem Lieblingsverein, dass man ihm bei seinen begeisterten Ausführungen nur schwer folgen kann.

Sie wolle das Leben mit Down-Syndrom nicht romantisieren, erklärt Elke Kinkeldei. Ein Kind mit Down-Syndrom kann Schwierigkeiten bereiten. Weniger wegen des Kindes, als wegen des Kampfes mit Papierbergen: „Als ich damals zum ersten Mal bei unserem Kinderarzt war, hat er mich gefragt: ‚Sie wissen aber schon, was Ihr Kind hat, oder? Der hat das Papiersyndrom!‘ Und da hatte er recht“, sagt Elke Kinkeldei.
Mehr als einen Meter Papierstapel mit Anträgen, Berichten und Schreiben aus den vergangenen 15 Jahren bewahrt Elke Kinkeldei in ihrem Arbeitszimmer auf. „Das Problem ist nicht, dass es nicht genug Hilfe gibt, sie ist nur oft schwer zu bekommen.“
Sie plädiert darum für einen leichteren Zugang: „Wir haben das Glück, dass wir den Bildungshintergrund haben, um damit zurechtkommen.“ Aber manchmal, da mache auch sie die ganze Bürokratie mürbe: „Es gibt Tage, da kann ich einfach keinen Antrag ausfüllen.“
Ein Wust aus Anträgen
Da müsse vieles einfacher werden, meint Elke Kinkeldei. „Ein Beispiel: Wir müssen jedes Jahr einen neuen Schwerbehindertenausweis beantragen. Kaum ist der eine bewilligt, muss der nächste Antrag geschrieben werden. Wieso? Die Trisomie bleibt doch.“
Auch an den Krankenkassen verzweifelt Familie Kinkeldei manchmal: „Wir haben einen Antrag auf ein Fahrrad gestellt mit einem besonders niedrigen Schwerpunkt. Eine befreundete Familie hat denselben Antrag gestellt, wir haben denselben Kinderarzt, beide haben das Down-Syndrom. Eigentlich war alles gleich. Aber ein Antrag wurde angenommen, unser abgelehnt.“
Valentins Schwester Johanna ist damals 12 Jahre alt. Sie ist so sauer, dass sie einen Brief an die Krankenkasse schreibt, wie unfair sie das findet. Man sieht Elke Kinkeldei die Rührung an, wenn sie davon erzählt. „Es ist bemerkenswert, was die Trisomie mit den Geschwistern macht...“
Sie als Familie haben genug Geld, Valentin trotzdem das Fahrrad zu kaufen. Er sucht auf seinem Handy minutenlang nach einem Video von ihm und seinem Fahrrad. Unbedingt möchte er zeigen, was für ein cooles Fahrrad er hat. Es zeigt ihn, wie er überglücklich mit dem Rad umherfährt. Elke Kinkeldei: „Das war für ihn so ein wichtiger Moment, ein bisschen mehr Mobilität.“ Auf solche Dinge kommt es an, findet Elke Kinkeldei.

Auf die Förderung kommt es an
Valentin geht seit seiner Einschulung auf eine Förderschule in Bochum. Dass ein Kind mit Down-Syndrom besondere Förderung braucht, liege auf der Hand: „Mit der Diagnose beginnt man sofort zu googeln und erhält oftmals eine Liste an medizinischen Begleiterscheinungen.“ Da sei dann zu lesen von Herzfehler, Darmveränderungen, Entwicklungsverzögerung. Nicht alles davon tritt ein, versichert Elke Kinkeldei: „Durch gezielte Förderung – von Anfang an – kann vieles auf einen guten Weg gebracht werden.“
Aber es gibt noch ein anderes Vorurteil, das durch das Internet und die Köpfe vieler Menschen geistert. Elke Kinkeldei kann das nicht mehr hören: „Kinder mit Down-Syndrom haben grundsätzlich gute Laune und sind kleine Sonnenscheine.“
Das stimme schlicht nicht: „Sie haben auch mal schlechte Tage, sind mies drauf und wollen einfach nicht, wie jedes andere Kind auch. Und das ist ihr gutes Recht.“ Valentin nickt bekräftigend bei den Erzählungen seiner Mutter.

Wie es für Valentin im Leben weitergeht, weiß seine Mutter noch nicht. Ob er irgendwann alleine wohnen wird, wo er arbeitet: All das werde sich zeigen. Neben dem Autokauf für seine Schwester hat Valentin sich aber eines fest in den Kopf gesetzt: Er möchte seine Freundin heiraten.
Auch sie hat das Downsyndrom, seit dem Sandkasten sind die beiden unzertrennlich, mittlerweile auch schon verlobt. Stolz zeigt Valentin einen Verlobungsring und ein Selfie von ihm und seiner Freundin. Feiern wollen sie dann irgendwann im Hotel Daun in Castrop-Rauxel. Das Wortspiel Daun / Down findet Valentin irgendwie lustig.
Für Elke Kinkeldei ist wichtig, dass Menschen wissen, dass die Diagnose Down-Syndrom kein Schreckensszenario ist. Und auch die Bluttests aus dem Zeitungsartikel verteufelt sie nicht grundsätzlich: „Es ist toll, dass die Medizin sowas mittlerweile untersuchen kann. Aber Frauen sollte nicht automatisch ein Abbruch empfohlen werden. Sie sollten sich nicht immer und überall rechtfertigen müssen.“
Sie selbst berate gern werdende Eltern bei den vielen Fragen, die nach einer Diagnose auftauchen. Telefonisch (0178-6899501) oder per Mail (elke.kinkeldei@down-syndrom-ruhrgebiet.de) hilft sie weiter. Einer Frau, die gerade durch den Bluttest die Diagnose Trisomie 21 für ihr Kind bekommen hat, gibt Elke Kinkeldei folgendes mit auf den Weg: „Sie können sich auf jeden Fall auf Ihr Kind freuen.“
Nach 15 Jahren, die Familie Kinkeldei schon mit dem Down-Syndrom lebt, überlegt Elke Kinkeldei, ein Buch zu schreiben. Den Titel hat sie auch schon im Kopf, erzählt sie lachend: „Ein Leben mit einem Chromosom mehr Spaß.“
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