Verkäuferinnen und Verkäufer im Einzelhandel in NRW streiken. Die Gewerkschaft Verdi hat dazu in dieser Woche aufgerufen. In der vergangenen auch schon. Doch die Kaufland-Pressestelle in Neckarsulm meldet: Der Geschäftsbetrieb in der Filiale in Castrop-Rauxel läuft normal weiter. Vergangene Woche war das auch schon der Fall, als es einen Aufruf zur Arbeitsniederlegung gab. Und in anderen Städten, zum Beispiel in Schwerte, war es auch so. Wie kann denn das sein? Und: Was bringt ein Streik, wenn er sich gar nicht richtig auswirkt?
Unsere Recherche beginnt bei der Gewerkschaft. Der Verdi-Regionalverband Westfalen selbst schreibt, dass Kolleginnen und Kollegen von Kaufland Castrop-Rauxel und anderen Filialen in der Region, von Ikea und H&M in Dortmund, von Primark und TK Maxx sich an den Streikaktionen beteiligen würden. „Die Arbeitgeber ignorieren die Existenznöte der Beschäftigten völlig“, heißt es. Aber im Markt kaufen Kunden normal ein. Kassen sind besetzt, der Empfang am Eingang im EKC Widumer Platz auch.
DGB: „Mobilisierung tendiert gegen Null“
Unsere Recherche führt uns zum Deutschen Gewerkschaftsbund in Castrop-Rauxel. Das ist der Dachverband der Gewerkschaften mit eigenem Ortsverband, also müsste es da doch Erklärungen geben, wie dem Geschäft der Spagat gelingt. „Sie sehen mich erstaunt“, antwortet die Vorsitzende Sabine Seibel. „Auch ich bin davon ausgegangen, dass Kaufland in Castrop bestreikt wird. Wie der Konzern eine reguläre Öffnung sicherstellt, entzieht sich meines Wissens.“
Entweder, meint sie, gebe es genug Streikbrecherinnen und Streikbrecher. „Oder die gewerkschaftliche Mobilisierung in diesem Betrieb tendiert gegen Null.“ Sie habe noch nie jemanden aus diesem Unternehmen bei Veranstaltungen oder Sitzungen des DGB gesehen. „Da gab es keinerlei Berührungspunkte.“ Und: „Wir haben vor Jahren mal auf die Bedingungen dort aufmerksam gemacht. Mit einer Aktion vor dem Geschäft. Da wurden wir aus dem Fenster heraus gefilmt und fotografiert. Keine Ahnung von wem. Zu Gesprächen war damals niemand bereit.“

Im Allgemeinen sei der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei diesem Unternehmen nicht sehr hoch. „Und wird von der Geschäftsführung auch nicht forciert“, so Seibel.
Aber wie hoch denn genau? Wir fragen in Neckarsulm nach. „An den heutigen Streikaktivitäten von Verdi nehmen aus unserer Filiale in Castrop-Rauxel rund 20 Kaufland-Mitarbeiter teil“, antwortet Sprecherin Annegret Adams aus der Unternehmenskommunikation. Das Team der Filiale umfasse insgesamt über 90 Mitarbeiter. Und: „Unsere Filiale hat einen Betriebsrat.“ Heißt aber: Rund 70 Beschäftigte gehen ihrer Arbeit weiterhin nach.
Kaufland: „Streik ist legitim“
Adams liefert auch selbst eine Erklärung, wie der Laden geöffnet werden kann, wenn Mitarbeiter fehlen: „Für die Aufrechterhaltung unseres Filialbetriebs haben wir eingespielte Prozesse.“ Und fügt noch hinzu: „Die Durchführung von Streikmaßnahmen ist eine legitime Möglichkeit für Arbeitnehmer, ihre Forderungen zum Ausdruck zu bringen. Selbstverständlich respektieren wir die Teilnahme unserer Mitarbeiter an Streiks.“
Das tut wohl auch der Marktleiter. Nikolaos Anastasiadis läuft selbst durch den Laden. In diesen Tagen offenbar noch mehr als sonst schon. Er hilft Kunden bei Fragen, organisiert hier und da Dinge. Er will zu dem, was die Unternehmenskommunikation kundtut, nichts hinzufügen, uns gegenüber nicht offen sprechen. Aber er hat Dienstpläne umgeschrieben, so viel steht fest. Die Rest-Belegschaft schließt also die Lücken, die im Dienstplan entstanden sind.
Aus Kaufland-Kreisen in Castrop ist zu hören, dass es in der Belegschaft grundsätzlich eine akzeptable Zufriedenheit gibt. Keiner will uns gegenüber ganz offen darüber sprechen, aber das Unternehmen zahlt anders als Wettbewerber nach Tarif. Das heißt nicht, dass es nicht auch hier was nachzubessern gäbe, wenn man die Inflationsrate des laufenden und vor allem des vergangenen Jahres betrachtet. Dass nun die Tarife möglicherweise der Marktentwicklung angepasst werden, ist aber eben die Sache der Gewerkschaften.
Es wirkt so, als könnte die Stimmung kippen, wenn der Druck durch weitere Tage des Arbeitskampfes erhöht wird. Nach Informationen unserer Redaktion soll der Arbeitsausstand sich noch ausweiten.
Verdi: Verhandlungstermin geplatzt
Die Arbeitgeber hätten einen für Donnerstag (13.7.2023) vereinbarten Verhandlungstermin kurzfristig abgesagt, hieß es am Mittwoch von der Gewerkschaft im Bezirk Mittleres Ruhrgebiet. So wie in Castrop-Rauxel seien deshalb auch Beschäftigte in Oer-Erkenschwick, Herten, Marl und Recklinghausen zum Streik aufgerufen. Auch die „Metro“ in Recklinghausen wird bestreikt.
Zuständig für den Aufruf ist auch Michael Sievers, Verdi-Gewerkschaftssekretär im Bezirk Mittleres Ruhrgebiet. Er sagt: „Die Beschäftigten sind stinksauer über die einseitige Terminabsage der Arbeitgeber. Die Kolleginnen und Kollegen haben nichts zu verschenken und brauchen dringend einen Tarifabschluss. Daher erhöhen wir den Druck.“ Beim Kunden kommt davon offenbar (noch) nichts an.
Streik bei Kaufland in Oer-Erkenschwick: Verdi NRW fordert für Mitarbeiter höhere Löhne
Keine Herrenkleidung bei TK Maxx, geschlossene Umkleiden: Kunden bekommen Streik zu spüren
Kaufland-Belegschaft streikt: Aber in Castrop-Rauxel läuft der Betrieb normal weiter