
© Tobias Weckenbrock
Wahl-Fragen: Ein Kreuz dürfen die meisten Castrop-Rauxeler nicht machen
Kommunalwahl 2020
Wenn es am 13.9. in die Wahlkabinen geht, darf die Mehrheit der Castrop-Rauxeler bei einer Wahl gar kein Kreuzchen machen. Wir beleuchten die Schatten-Wahl(en) bei der Kommunalwahl 2020.
Wer Briefwahlunterlagen beantragt hat, erkennt schon: Es ist ein Wust an Stimmzetteln, bei dem man erst einmal den Durchblick behalten muss. Rosa, blau, grün, Kreuzchen hier, Kreuzchen da. Die Kommunalwahl ist seit jeher die mit dem dicksten Stimmzettel-Umschlag. Dabei gibt es eine Wahl in Castrop-Rauxel, bei der die Mehrheit der Castrop-Rauxeler sogar außen vor ist. Wir beleuchten die Schatten-Wahl(en) bei der Kommunalwahl 2020.
Wer wird Bürgermeister? Wer bekommt die Mehrheit im Stadtrat? Das sind die zentralen Fragen, die sich die Menschen in Castrop-Rauxel vor dem Wahlsonntag am 13. September stellen. Der Rat ist das Gremium, über das man einen guten Überblick hat, wo transparente Entscheidungen fallen, wo die Sitzungen im Ratssaal öffentlich zugänglich und die Prozesse, Debatten und Ergebnisse von unserer Lokalzeitung intensiv berichtet werden.
Der Bürgermeister ist der Kopf, der erste Bürger der Stadt, den im Zweifel jeder kennt und der auf Terminen für Vereine und Organisationen immer einer der wichtigsten und repräsentativsten Gäste ist. Er leitet die Geschicke im Rathaus und ist oberster Vorgesetzter von 1000 Mitarbeitern, die unter dem Dach der Stadtverwaltung im Dienst sind.

Die „prominenteste“ Wahl bei der Kommunalwahl 2020 ist wohl die zum Bürgermeister. © Tobias Weckenbrock
Aber die Ratswahl und die Bürgermeisterwahl sind nur zwei von sechs Wahlen, die wir am 13.9. als Bürger Castrop-Rauxels mit eigenen Kreuzchen treffen. Zudem werden ein Landrat und Mitglieder für den Kreistag gewählt. Und das Ruhrparlament des Regionalverbandes Ruhr (RVR) wird gewählt. Hierzu treten 21 Kandidaten an, von denen der Wähler einer Person sein Kreuzchen schenkt.
Über 8000 Castrop-Rauxeler wählen den Integrationsrat
Die meisten Castrop-Rauxeler sind aber nur bei fünf Wahlen stimmberechtigt. Denn eine Wahl ist nur für Menschen mit ausländischem Pass: die Wahl zum Integrationsrat. Bei der Kommunalwahl 2014 waren 8376 Castrop-Rauxeler dazu wahlberechtigt. Sie fanden in ihren Unterlagen einen Extra-Stimmzettel mit zwei Optionen: Sie konnten ein Kreuzchen machen bei JA! oder bei IDU. 1094 Menschen taten das, die Wahlbeteiligung lag bei 13 Prozent. JA! wählten rund 40 Prozent, IDU rund 60 Prozent.
Von der Liste JA! („Junge Alternative“) gelangten acht Personen in den Integrationsrat: Fotis Matentzoglou, Niyazi Kutlu, Ziko Jovic, Lazaros Keissidis, Ajevan Sivanenthiran, Fotios Keissidis, Panagiotis Kotanidis und Bünyamin Oskay. Von der „IDU“ zogen damals Akin Özcan, Aysel Cetin, Yasar Asik, Kubilay Corbaci, Onur Kocakaya und Karl-Heinz Hoffmann in das Gremium ein.

Frank Schwabe (SPD) besuchte am Samstag einen Stand auf dem Berliner Platz, an dem auf die Wahlen zum Integrationsrat aufmerksam gemacht wurde. Er traf unter anderem Adil Tamouh (l.), Marietta Omidi (hinten am Stehtisch), Aysel und Figen Cetin und weitere Kandidaten, die sich am 13.9. zur Wahl stellen. © Schwabe / instagram.com
Es soll die Interessen der Migranten vertreten, ihnen und ihren Bedürfnissen gesondert politisches Gehör verschaffen. Dieses Vorhaben schlug in der vergangenen Periode fehl: Die Sitzungen hatten wenig Teilnehmer und kaum Tagesordnungspunkte. Fortzüge, Erkrankungen, unterschiedliche andere Gründe machten das Gremium zu einer Farce.
Die letzte Ratsperiode war eine Farce
Von 22 stimmberechtigten Mitgliedern kamen 2018 zu einer Sitzung 2 mit Migrationshintergrund. Die anderen waren Delegierte aus dem Stadtrat, die laut Satzung aber nur ein Drittel des Gremiums ausmachen. So trat der Vorsitzende Fotis Matentzoglou im Herbst 2018 zurück. 2019 fand die erste Sitzung im November statt.
Jetzt soll sich ein neuer Integrationsrat bilden. Der ist nach der Gemeindeordnung für Castrop-Rauxel wie für alle Kommunen, in denen mehr als 5000 Ausländer leben, vorgeschrieben. Am Samstag (29.8.) gab es am Hauptbahnhof sogar „Wahlkampf“.
Neben der „Integrationsliste“ gibt es in diesem Jahr einen Einzelbewerber. Auf der Liste steht zum Beispiel der Habinghorster Adil Tamouh. Der Familienvater mit marokkanischen Wurzeln engagiert sich auch für die SPD und erklärt: „Ich kandidiere, weil ich was verändern möchte. Nur eine aktive Beteiligung kann etwas bewegen.“ Er sagt: Religion, Nationalität und Herkunft sind egal! Und: „Deine Stimme hat Gewicht!“
Kandidaten für den Integrationsrat
- Aysel Cetin, Rechtsanwältin (geboren 1981)
- Fotis Matentzoglou, Politikwissenschaftler (1986)
- Ziko Jovic, selbstständig (1976)
- Masiala Lumbu Prince, Sozialarbeiter (1959)
- Maria Margaretha Omidi, Rentnerin (1952)
- Bilgen Acar, Dipl.-Kauffrau (1978)
- Adil Tamouh, selbstständig (1976)
- Suzan Aras, Schülerin (2000)
- Figen Cetin, Rechtsanwaltsfachangestellte (1979)
- Karl-Heinz Hoffmann, Erziehungswissenschaftler (1959)
- Holger Schelte, Prokurist (1970)
- Daniel Fijacko, Verwaltungsangesteller (1970)
- Martin Breitenstein, Integrationshelfer (1979)
- Sibel Simsek, Rechtsanwältin (1988)
- Leonie Singer, Schülerin (2000)
- Oumar Diallo, Krankenpfleger (1980)
- Joannis Andronikos, Energieelektroniker (1971)
- Sandro Crapanzano, Sozialversicherungs-Fachangestellter (1973)
- Pascaline Mienert, Pharmazeutisch-Technische Assistentin (1980)
- Timothee Nkeng, Kundenberater (1986)
- Furkan Kilic, Industriemechaniker (1996)
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
