Vize-Weltmeister trainiert Studenten im Kickboxen
Christian Albrecht aus Castrop-Rauxel
Bis zu 200 Studenten stehen jedes Semester für die Sportkurse von Christian Albrecht auf der Warteliste. Das Kickboxen vom Dortmunder Hochschulsport ist beliebt wie kaum ein anderer - wegen ihm und seiner fordernden Trainingseinheiten. Was viele nicht wissen: der 30-Jährige aus Castrop-Rauxel war mal Vize-Weltmeister.
Mentale Stärke ist das, worauf es Christian Albrecht beim Kickboxen ankommt. Der Kern des Kickboxens. Stark sein, obwohl man mit seinen eigenen Kräften am Ende ist. Stark bleiben, auch wenn man im Kampf unterlegen ist, Schläge eingesteckt hat. Kontrolle. Selbstbeherrschung. Durchsetzungsvermögen.
So hat Christian Albrecht es selbst als Jugendlicher gelernt und das gibt er nun seit etwa zwei Jahren an die Kickboxer vom Hochschulsport weiter. „Du musst als Kickboxer erst einmal dich selbst kontrollieren, dich selbst besiegen, bevor du jemand anderen kontrollieren kannst“, sagt der 30-Jährige. Einfach draufhauen sei nicht. Überhaupt gehe es beim Kickboxen nicht darum, andere zu verletzen.
Albrecht: "Wer zehn Liegestützen schafft, schafft auch die Elfte"
Der Weg zu Kontrolle und Stärke ist ein „gnadenloses Fitnesstraining“. Wer am Limit ist, kann noch weitergehen. „Wer zehn Liegestütze schafft, schafft auch die Elfte“, sagt Albrecht und grinst. „Am Ende gehst du auf allen vieren aus dem Training. Aber da gibt es nichts Geileres. Und dann hast du die dabei, die wirklich Interesse an der Sportart haben.“
Montagabends in der großen Halle des Sportgebäudes übertönt der R‘n‘B aus der Musikanlage das kollektive schwere Atmen der Gruppe. Schweiß tropft auf den grauen Hallenboden. Burpees sind dran. Eine Kombination aus Liegestütze und Strecksprung. Runter, Liegestütze, hoch, springen, das Gegenüber abklatschen und wieder runter, nächste Liegestütze. 30 Stück sind das Ziel. Von wegen. Sind die 30 geschafft, kommen die nächsten 20, die nächsten 10 und noch einmal 10. Keiner, der aufgibt. Aber auch keiner, der anfangs dachte, dass er auch nur 30 durchhält.
Anfängerkurse sind regelmäßig ausgebucht
„Ich treibe und motiviere die total, damit sie an ihre Grenzen gehen.“ Und darüber hinaus. Mal eben zur Toilette gehen, einfach so ne Pause machen oder die Handbandagen neu binden? „Ne, Freundchen“, sagt Christian Albrecht und lacht. Und wer zu spät kommt, kriegt extra Liegestütze aufgehalst.
Dennoch sind die Anfängerkurse voll, regelmäßig ausgebucht. Ein Großteil der Anfänger sind Mädels. Das mache die Mischung aus Selbstverteidigung und Fitness, sagt der Trainer. Ja, vielleicht. Oder es ist das neue Selbstvertrauen, das Grenzen-Austesten und sie überschreiten. „Mit jedem Ziel, dass du erreichst, eröffnest du dir neue Perspektiven“, sagt er. Und die mentale Stärke wachse mit. Daher das harte Training, das Treiben, das Motivieren, „damit die an ihre Grenzen gehen.“
Vom Playstationspiel "Tekken" zum Kampfsport
Christian Albrecht studiert auf Lehramt an der TU Dortmund und macht gerade seinen Master. Die Fächer des Mannes, der aus Castrop-Rauxel kommt, haben gar nichts mit seinem Sport zu tun: Sozialwissenschaften und Technik auf Lehramt für die Sekundarstufe 1, also Gesamt-, Haupt- und Realschule.
Er ist keine Kante, kein Muskelpaket. Groß, durchtrainiert, sportlich – klar, der Student hat den schwarzen Gürtel. Aber ohne aufgepumpte Oberarme und überdimensionale Schultern. „Das wäre hinderlich“, sagt er. Im Kampf muss er schnell sein.
Die Ausbildung der Anfänger läuft noch komplett ohne Kontakt, ohne Kampf mit einem Partner ab. Das ist auch schon so, als Christian Albrecht, gerade 15 Jahre alt, mit dem Kickboxen in einem Siegener Verein beginnt. Anderthalb Jahre hat er zuvor Ninjutsu gemacht. „Das kam vom Tekken, dem Playstationspiel. Ich wollte mich auch so verteidigen können“, erzählt er.
Wie Christian Albrecht ans Kickboxen geraten ist, was ihm bei seiner Ausbildung wichtig war und wie seine Turniere und Meisterschaften verliefen, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Ans Kickboxen kommt er zufällig. „Komm, ich hab Handschuhe, wir gehen mal in den Keller“, sagt ihm ein Freund. „Wir haben das ausprobiert und ich hab verloren“, erzählt Christian Albrecht. Das gehe natürlich nicht. Also geht er in denselben Siegener Verein, in dem der Freund das Kickboxen lernt. Und das war „richtig gute Schule.“
Anfangs sind die Grundtechniken immens wichtig: Fußstellung, sicheres Stehen, sich vor und zurückbewegen, Schlagtechniken wie Jab und Punch – vordere Führungshand und hintere Schlaghand – aber auch Seitwärts- und Aufwärtshaken, die richtige Schulterhaltung, die Tritttechniken, die Hüftbewegung. Gekämpft wird nicht.
Falsches Bild von Kickboxern in den Medien
„Da brauchst du eine Menge Motivation, um das durchzuhalten. Es ist, als dürftest du beim Fußball nicht aufs Tor schießen“, sagt Albrecht. Es habe aber auch dafür gesorgt, dass diejenigen, die nur draufhauen wollten, die Lust verloren haben und die Kurse am Ende keine Schläger dabei hatten.
Dieses Schläger-Image sei im Kickboxen ein Problem. Die Menschen hätten ein falsches Bild. Auch in den Medien höre man immer wieder, dass dieser und jener Krimineller „aus der Kampfsportszene“ komme. Es gebe Vereine, die den Sportlern die Handschuhe aufdrücken und sie machen, eben draufhauen lassen. Mit Kickboxen habe das nichts zu tun. „Wir anderen machen diese Sportart aus sportlichen Gründen - nicht, um jemanden zu verletzen.“
Albrecht: "Es geht darum, wieder aufzustehen"
Die Sportart teilt sich in zwei Bereiche: die Technik auf der einen Seite und auf der anderen ihre Anwendung mit Schutzausrüstung im Kampf. „Das Kampfgeschehen ist wie ein Schachspiel“, sagt Christian Albrecht. „Im besten Fall erkennst du die Aktion deines Gegenübers, bevor sie kommt.“ Gurtprüfungen begleiten die Ausbildung: Gelb, Orange, Grün, Blau, Braun, Schwarz. Die Gurtprüfungen seien, sagt er, aber im Kickboxen keine Pflicht und würden auch nicht alles über das Können der Sportler aussagen.
Albrecht selbst fährt 2007 „nur mit dem Gelbgurt“ zur Weltmeisterschaft nach Belgrad. Über ein Jahr lang läuft die Vorbereitung. Christian Albrecht kommt in die Kampfmannschaft seines damaligen Vereins, absolviert Turniere auf Kreis-, Landes- und Bundesebene. Zuvor wird er bei einer Prüfung im Kampf getestet. „Das war krass, Ich bin zu Boden gegangen. Mehrmals. Aber es geht darum, wieder aufzustehen.“ Da ist sie wieder: die mentale Stärke, die Kontrolle. Über den eigenen Körper, den Kampf, die eigene Kraft.
Kampfloser Einzug ins Weltmeisterschaftsfinale
Es folgen Kadertraining, Gesundheits- und Sporttests. „Bei diesen Lehrgängen bist du ein komplettes Wochenende in einer Halle. Es wird geguckt, was du kannst und was nicht“, erzählt Albrecht. Bei den Sporttests werde gemessen: die Schlagkraft, die Schnelligkeit, die Ausdauer.
Nachdem sich Christian Albrecht in Deutschland den Meistertitel holt, kämpft er sich bei der WM in Belgrad zum Vize-Weltmeister im Leichtkontakt seiner Gewichtsklasse. „Ich hatte Glück“, sagt er. Der Gegner im Halbfinale hat sich den Kiefer gebrochen, sodass Albrecht nach dem Viertelfinale im Finale steht. „Quasi durchgelaufen“, sagt er.
Entscheidung gegen eine Laufbahn als Profisportler
Zur Zeit der Weltmeisterschaft trainiert Christian Albrecht sechs Mal die Woche und leitet im Verein auch ab und an die Fortgeschrittenen-Kurse. Später übernimmt er die Kursleitungen ganz. Irgendwann muss er sich dann entscheiden: Profi-Laufbahn – ja oder nein. Er entscheidet sich dagegen. „Mit dieser Passion kann man nur sehr schwer Geld verdienen und auf Dauer ist das sicherlich auch nicht gesundheitsfördernd“, sagt er. Er selbst sei gut weggekommen, habe nur wenig gebrochene Knochen gehabt.
In den Kickboxkursen beim Hochschulsport an der TU Dortmund weiß keiner von seinen Erfolgen bei den Meisterschaften. Wozu auch, sagt der 30-Jährige. „Respekt muss man sich immer wieder neu verdienen.“