Das Bild, entstanden vor dem Geschäft an der Ickerner Straße, zeigt einen zuversichtlichen Thomas Vieting: „Backstube Vieting: Wünsch dir was...“ steht auf einem Plakat. 2010 war das, als der Bäckermeister sein neues Firmenlogo vorstellte. Damals hatte er fünf Standorte. Ende Januar hat Bäckermeister Mitja Wolf die Firmengeschichte ad hoc beendet. Vieting ist nicht überrascht, aber doch getroffen.
2004 stieg Vieting in der CDU auf, wurde Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung MIT in Castrop-Rauxel, war unterwegs in der Stadt, äußerte sich zu vielen Themen auch gegenüber der Presse. Am 1. Januar 2019 gab er die Geschäftsleitung der Bäckerei an der Ickerner Straße in die Hände des Bäckermeisters Mitja Wolf. Er wurde krank, ist bei der CDU nicht mehr am Ball. Heute ist der Dorf Rauxeler 61 Jahre, half noch bei der Buchführung und steht noch im Impressum auf der Website. Aber nur, weil er nicht weiß, wie er das ändert, sagt er.
Vater gründete Bäckerei 1964
Der Familienbetrieb existierte seit 1964. Sein Vater gründete die Bäckerei in Ickern. 1983 übernahm Thomas Vieting den Betrieb und führte bis 2019 selbst die Geschäfte. Er baute das Unternehmen aus: 1999 kam eine Backstube an der Römerstraße in Habinghorst hinzu, 2010 betrieb er weitere Standorte an der Ringstraße, der Germanenstraße und der Pallasstraße.
„Mit dem neuen Logo will sich Vieting in einem hart umkämpften Markt besser präsentieren und positionieren“, schrieben die Ruhr Nachrichten im Juni 2010. 36 Beschäftigte hatte er damals und sagte dem Reporter damals noch, dass es für einen mittelständischen Betrieb immer schwerer werde. „Steigende Kosten für Rohstoffe und Energie stehen einem wachsenden Preisdruck gegenüber.“ Zudem gab es damals so viele Verkaufsstellen wie noch nie in der Stadt.
Kaum zu glauben, was seither passiert ist: Bis Ende Januar war Vieting wie schon 2010 eine von drei produzierenden Handwerks-Bäckereien in Castrop-Rauxel. Aber hinter den Kulissen hat sich so viel getan. Das Kunden-Geschäft hat sich auf Backshops verlagert: Discounter stiegen immer mehr in den Verkauf frischer Backwaren ein. Heute hat fast jeder Lebensmittelhändler Backtheken: entweder im Vorkassenbereich oder im Laden zwischen den Regalen.
Am 25. Januar 2023 beschloss Mitja Wolf, die Arbeit einzustellen. Er teilte es tags darauf seinen zehn Mitarbeitern mit. Zwei Fahrer, vier in der Backstube, vier im Verkauf: Für sie war Samstag der letzte Arbeitstag. Am Mittwoch (1.2.) sollen sich einige „Ehemalige“ zu einer internen Krisensitzung getroffen haben. Die Frage „Was nun?“ stand wohl über allem. Oder das „Warum?“ und das „Warum auf diese Weise?“
300 Quadratmeter stehen leer
Mitja Wolf sagte unserer Redaktion, es rentiere sich nicht mehr. Und er könne und wolle auch nicht mehr, schwang im Gespräch mit. Er war ein Anpacker in der Backstube, aber wohl eher kein Mann der Zahlen. Darum half ihm Thomas Vieting dabei noch immer. Obwohl die Geschäftsbeziehung eigentlich nur noch im Namen und in der Verpachtung der Räume lag: rund 300 Quadratmeter an der Ickerner Straße, Laden, Backstube, Lager und Büroraum, mit Zufahrt zum Innenhof.
„Ich musste von der Pacht leben“, sagt Thomas Vieting heute und meint auch, er wisse gar nicht, wie es weiter geht. Ihm sei es am 1.1.2019 ganz und gar nicht egal gewesen, wer den Betrieb übernimmt. „Ich wollte an Mitja Wolf übergeben“, erklärt der 61-Jährige. „Wir sind auch immer im Gespräch geblieben. Und ehrlich gesagt: Es war abzusehen…“
Vieting macht als Hauptgrund die Corona-Pandemie aus: „Das Geschäft hat gelebt von Belieferungen an Kioske, an Altenheime und Schulen. Von dem Ladengeschäft nur an der Ickerner Straße hätte der Betrieb niemals überleben können.“ Durch Corona hätten viele der Stellen, die einst angeliefert wurden, geschlossen. „Schulen, die vorher 400 bis 500 Brötchen am Tag bekommen haben, wollten nur noch einen Bruchteil.“
Und dann sei der Krieg dazu gekommen: „Der hat den Rest dazu beigetragen, mit den Energie- und den Rohstoffkosten.“ Im August 2022 machte Mitja Wolf bei einer Aktion „Licht aus“ mit. Die drei Handwerks-Bäcker aus Castrop-Rauxel taten sich zusammen, griffen eine landesweite Aktion auf, standen Seit an Seit und tauschten ihre Sorgen aus. Doch es brachte nichts, außer etwas Öffentlichkeit.
„Bäcker werden nicht unterstützt“
„Das Traurige ist: Die kleinen Bäcker werden nicht unterstützt“, sagt Thomas Vieting und meint Hilfsprogramme gerade in der aktuellen Krisenlage. „Der Strompreis hat sich bei uns verdreifacht, die Rohstoffpreise mehr als verdoppelt.“ Wir sprechen da nicht von Kostensteigerungen wie die, die er schon 2010 anprangerte.
„Ich dachte, das funktioniert noch ein paar Monate, habe immer auf Unterstützung von der Regierung gehofft“, so Vieting. Aber es kam nichts oder zu wenig, nur für die Industrie, also die Großverbraucher. Dass Bäckereien für ihre Öfen viel Energie verbrauchen, dass sie nicht endlos ihre Verkaufspreise hochschrauben können: Bei der Regierung stieß das nicht auf offene Ohren. Schließlich klagen seit dem Krieg ja alle Branchen, die eine lauter als die andere.
„Dass da jemand die Lust verliert, der selbst viel tut, auch wegen Personalmangels, kann ich nachvollziehen“, sagt Thomas Vieting. Ach ja: der Fachkräftemangel... „Er hat mich einen Tag vorher eingeweiht, er war wohl auch beim Insolvenzanwalt.“ Vieting habe ihn gebeten, noch ein bisschen aufzulassen, damit die Mitarbeiter, Altenheime, Schulen reagieren können. Wolf tat es nicht.
Ein Insolvenzverfahren war bis Mittwochabend (1.2.) noch nicht eröffnet. „Wünsch dir was...“ stand 2010 auf dem Plakat, neben dem Thomas Vieting für unsere Redaktion posierte. Was jetzt geschah, hätte er sich niemals gewünscht.
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