Selbstständig zu sein, die eigenen Entscheidungen zu treffen: Es ist der Traum so mach eines jungen Menschen. Dass selbstständig von „selbst“ und „ständig“ kommt und manchmal das „ständig“ überwiegt, ist nicht immer allen bewusst. Und wenn dann noch eine Krise kommt, aus der es eigentlich keinen Ausweg gibt?
In Castrop-Rauxel gab es in den vergangenen Jahren so manch einen, der von den Krisen, erst Corona, dann dem Krieg und seinen vielfältigen Folgen, stark betroffen war. Es gibt einige, die wirtschaftlich aufgeben mussten, aber deutlich mehr Leute, die bis heute durchhalten. Die weitermachen. Die für ihren Traum kämpfen.
Pate steht das Bäcker-Handwerk: Es gibt noch drei solcher Betriebe in Castrop-Rauxel, die Backstuben betreiben und Verkaufsstellen, die ihr Brot und ihre Brötchen und ihren Kuchen mit Leidenschaft an den Castrop-Rauxeler und die Castrop-Rauxelerin bringen. In Ickern gibt es eine eigenartige Ballung: An Ickerner Straße und Vinckestraße reihen sich auf wenigen Hundert Metern die drei Handwerks-Bäckerei aneinander.
Im August machten sie, die sonst miteinander um Kunden konkurrieren, auf ihre Schwierigkeiten gemeinsam aufmerksam: Sie beteiligten sich an einer Aktion in der Innung, die mit „Licht aus“ betitelt wurde. In den Verkaufsstellen blieb das Licht aus.

Bei Vieting auf der Verkaufstheke an der Ickerner Straße brannten an jenem Mittwoch nur Kerzen. Bei Auffenberg in Ickern und in den anderen Läden des Ur-Ickerner Betriebs auch. Und bei Bäckerei Kortmann, ebenfalls an der Ickerner Straße, ebenfalls.
„Ich finde die Aktion gut, denn wenn sich nichts tut, wird es bald dunkel“, sagte uns damals Mitja Wolf (32). „Wir sind doch auf Floristen, Bäcker, Fleischer, Installateure, Dachdecker angewiesen“, fand seine Kollegin von nebenan, Isabel Auffenberg. „Das Handwerk muss gepusht werden.“
Nur einen Tag im Monat frei
Mitja Wolf erzählte auch aus seinem Arbeitsalltag: In den vergangenen vier Wochen habe er jede Nacht in der Backstube gestanden, jeden Abend ab 23.30 Uhr. Außer an einem einzigen Sonntag. Beim Kollegen Alexander Auffenberg war das nicht viel anders, er spricht unverhohlen von 70- und 80-Stunden-Wochen. Und das bei hohen Energiepreisen vor allem für ihre Öfen, die vermutlich erst 2023 richtig reinhauen; bei stark gestiegenen, sich zum Teil verdoppelnden Mehl-, Zucker-, Butterpreisen, also für die Rohstoffe, die sie verarbeiten.
Das Brötchen, sagten die drei Bäckereien hinter vorgehaltener Hand, müsste eigentlich noch mehr kosten, um damit wirklich Geld zu verdienen. Aber Preiserhöhungen gab es ja, die Schmerzgrenze sei für viele Kunden erreicht und der Wettbewerber, also die anonymen Backtheken mit Waren von Großbäckereien aus dem Ausland, ganz nah.
Ein törichter Narr, der vor dieser Krise nicht die Augen verschließt und einfach was anderes macht? Nein! Für mich ist Mitja Wolf einer der vielen heimlichen Helden des Jahres 2022.
Die Aktion „Licht aus“ in Castrop-Rauxeler Bäckereien Ende August und was die Bäcker sagten auf rn.de/castrop
Bäckerei-Preise in Castrop-Rauxel: Bis zu 44 Cent für ein Brötchen
Auffenberg, Kortmann, Vieting und der Kampf der Bäcker ums Überleben
Im Video: In Castrop-Rauxeler Bäckereien bleibt das Licht aus