
Peter Theodorakis ist besorgt. Wo sollen seine Tiere hin, wenn er seinen Garten in der Form nicht behalten darf? © Lydia Heuser
Gartenparzelle von Castrop-Rauxeler illegal: „Wohin soll ich mit den Tieren?“
Illegale Bebauung
Die Gärten an der Victorstraße in Castrop-Rauxel sind illegal bebaut, viele Tiere werden dort gehalten. Die Stadt will das ändern. Die Gartenbesitzer verzweifeln und wissen nicht weiter.
Die Sonne der vergangenen Tage hat den Tomaten sichtlich gutgetan. Kugelrund, in rot, schwarz und gelb hängen sie an den Rispen der Sträucher, die auf einem einzäunten Gelände wachsen. Von hier aus sieht man den Taubenschlag von Edward Wojchowski (66). 80 Tauben flattern in der großen Voliere umher. Gegen Abend lässt er sie fliegen, wenn der Habicht weg ist. „Der würde sich jeden Tag eine holen“, meint Wojchowski.
Seit gut 25 Jahren bewirtschaftet er an der Victorstraße zwischen Castrop-Rauxel und Herten schon die ein oder andere Parzelle. In den 1960er-Jahren wurde das rund 16.000 Quadratmeter große Grundstück, das heute in 50 Parzellen unterteilt ist, als Grabeland für geflüchtete und heimatvertriebene Familien des Zweiten Weltkriegs bereitgestellt. Aber das, was sich daraus entwickelt hat, ist illegal. Stadt und Politik beschäftigen sich inzwischen schon lange mit der Thematik.

Edward Wojchowski ist Mitglied im Taubenzüchterverein. 80 Tiere hält er in seinem Taubenschlag. © Lydia Heuser
„Ich kann die Tiere doch nicht umbringen?“
Die Angst der Gartenbesitzer wächst mit jedem Schreiben, das sie von der Stadt bekommen. Peter Theodorakis (71) hat den Schriftverkehr in einen Hefter gepackt. Der erste Brief ist vom 15. Juni 2022 und bezieht sich auf einen Ortstermin von Mai 2022. „Bauliche Anlagen“ auf dem Grundstück soll er zurückbauen. Eine Abstellhütte mit 30 Kubikmetern umbautem Raum könne geduldet werden.
Aber wohin mit den Tieren? „Ich kann die doch nicht umbringen“, sagt Peter Theodorakis, der seit 30 Jahren an der Victorstraße eine Gartenparzelle nutzt. Er hat zwei Kaninchen, sein Sohn einige Hühner und zwei Gänse. „Die kriegen ihr Gnadenbrot bei uns.“
Edward Wojchowski weiß auch nicht, wohin mit seinen Tauben und seiner Hündin. „Die läuft hier frei rum. Sie ist mein Wachhund“, sagt er. Schwanzwedelnd kommt die neunjährige Hündin angetrabt. Sie hört aufs Wort, geht brav neben „Eddy“, wie ihn hier alle nennen, her.
Kann er die Hündin nicht zu Hause halten? „Nein, da sind schon genug Hunde“, sagt Eddy. Sie war schon immer hier, ist an das Leben wohl gewöhnt. „Hab sie von einem Hundezüchter, der hier damals war, abgekauft“, Eddy zeigt mit der Hand hinter sich, den Weg runter.
Das Thema Hunde beschäftigt auch die Stadt. Die FDP hatte bereits am 30. Mai um eine Stellungnahme der Verwaltung gebeten, welche Konsequenzen aus dem Ortstermin gezogen werden. Zuerst wurde am 15. Juni im Bauausschuss über den „Antrag Victorstraße“ gesprochen. Dann am 23. Juni im Rat. Der verwies den Antrag an den B1-Ausschuss, der am 24.8. tagte.
Ordnungsamt und Kreisveterinäramt eingeschaltet
Das Kreisveterinäramt ist eingeschaltet, informierte Ordnungsamtsleiter Thomas Roehl die Anwesenden. Beim Ortstermin im Mai seien auf dem Flurstück 31 Hunde, zwölf Zwingeranlagen, einige Katzen und Hühner vorgefunden worden.
Zwingerhaltung, führte Roehl aus, sei grundsätzlich nicht verboten in Deutschland. Ordnungsrechtlich könne er nur tätig werden, wenn große Hunde nicht gemeldet seien. Der Beigeordnete Michael Eckhardt hat wenig Hoffnung, dass die Problematik schnell gelöst wird: „Das Kreisveterinäramt ist nicht gerade üppig besetzt.“
Die Anzahl der Tiere und Zwinger, die Roehl im Ausschuss nennt, schockiert einige der Lokalpolitiker. Aber es gibt nicht nur die, die das Gelände für Hundezuchten nutzen. Dass es dort viele Hunde gibt, ist unüberhörbar. Das Bellen der Tiere lässt sich einer blickdicht abgeriegelten Parzelle zuordnen. Zu einem Statement ist der Mann, der das Grundstück sein Eigen nennt, nicht bereit.

Im Garten von Peter Theodorakis steht ein Gewächshaus für Tomaten. Erlaubt ist das nicht. Er muss es bis Ende 2022 abbauen. © Lydia Heuser
Es gibt aber auch die andere Seite: „Viele haben sich hier eine Freizeitoase geschaffen“, sagt Peter Theodorakis. Und das soll nun alles weg? So plötzlich? „Die Stadt hat zumindest eine Teilschuld“, findet er. „Haben die 50 Jahre lang geschlafen?“
Für einen Parzellenbesitzer, der kurz mit seinem Auto am Seitenstreifen parkt, ist die Sache klar. „Dass wir unsere Hühner abschaffen müssen, liegt an dem Hundezüchter“, sagt er in aufgebrachtem Ton und steigt wieder in sein Auto.

Auch diesen Taubenschlag muss "Eddy" zurückbauen. Wo sollen dann die Tiere hin? © Lydia Heuser
Doch ganz so einfach ist es wohl nicht. Die Politik jedenfalls unterscheidet zwischen der Hundehaltungsproblematik und den baurechtlichen Belangen. „Ich bin ja sogar bereit, was zurückzubauen“, sagt der 71-Jährige. Aber von den Tieren könne er sich schwer trennen. Wohin mit denen? Und wer zahlt die Entsorgung der Hütten? Eddy geht bald in Rente, er hat kein Geld, um all das entsorgen zu lassen, was wegmuss.
„Das ist doch kein Leben“, sagt er. Er hatte sich gefreut, seine Tage nun im eigenen Garten verbringen zu können.
Bis Ende des Jahres hat die Stadt Peter Theodorakis laut Schreiben Zeit gegeben, um alles zurückzubauen. „Einige von uns haben einen Rechtsanwalt eingeschaltet.“ Der 71-Jährige hofft, dass sich dadurch alles weiter hinzieht. Der B1-Ausschuss jedenfalls hat den „Antrag zum Stand der illegalen Bebauung an der Victorstraße“ weitergeschoben, und zwar wieder an den Anfang. Der B3-Ausschuss soll sich abermals des Themas annehmen.
Geboren und aufgewachsen im Bergischen Land, fürs Studium ins Rheinland gezogen und schließlich das Ruhrgebiet lieben gelernt. Meine ersten journalistischen Schritte ging ich beim Remscheider General-Anzeiger als junge Studentin. Meine Wahlheimat Ruhrgebiet habe ich als freie Mitarbeiterin der WAZ schätzen gelernt. Das Ruhrgebiet erkunde ich am liebsten mit dem Rennrad oder als Reporterin.
