Stunden um Stunden, Sitzung um Sitzung, Konferenz um Literaturstudium liegen hinter Stefan Brenk. Der Kämmerer der Stadt Castrop-Rauxel hat sich in den zurückliegenden Wochen und Monaten wohl um kein Thema mehr gekümmert als um die Grundsteuerreform in Castrop-Rauxel. Um dann mitzuentscheiden: Wir lassen am besten alles, wie es ist. Jetzt neigt sich die Entscheidung dem Ende entgegen. Doch dann, sagt er, fängt es ja erst so richtig an.
Stefan Brenk fuchste sich nicht allein in die Thematik rein. Es war die Bande mit den vier B’s: Christian Brigadski und Maren Baack vom EUV und der Beigeordnete Michael Eckhardt tüfteln mit ihm seit Monaten an einem Plan für die Grundsteuer 2025. Der EUV zieht die Steuern letztlich ein, die die Kämmerei verbucht. Genauso viel Geld wie im Vorjahr. Aber anders auf die Bürger verteilt.
Für die Stadtverwaltung in Castrop-Rauxel ist es ebenso wie für die anderen kommunalen Kämmereien und Veranlagungs-Stellen keine Kür, sondern ein reines Pflicht-Thema. Mit einem Verfassungsgerichts-Urteil von 2018 ging alles los. Und nun könnte es dazu führen, dass viele Bürger sich ungerecht behandelt fühlen. Von der Stadt? Vom Land? Vom Bund? Vom Gericht? Oder von allen gemeinsam? Warum war es so kompliziert für die B-Bande, die eine schlichte Lösung erarbeitete?

Die Reform wurde notwendig, weil die Ermittlungsgrundlage veraltet ist. Die „alten Bundesländer“ legen bei der Berechnung Einheitswerte vom 1.1.1964 zugrunde. Die „neuen Bundesländer“ sogar noch ältere: von 1935. Mit der Realität in unseren Städten hat das heute nichts mehr zu tun: Stadtrandlagen sind inzwischen innerstädtisch geworden. Aus dörflichem Idyll wurden verdichtete Toplagen. Aus Montanindustrie-Fächen ein Phoenix-See. Aus der stinkenden Emscher ein normaler Fluss. Andernorts haben sich Wohnlagen durch Straßenneubauten oder Gewerbe-Ansiedlungen nebenan erheblich verschlechtert.
Diese Einheitsbewertung von 1964 in der BRD sollte eigentlich alle sechs Jahre, erstmals 1970, an Inflation und die wahre Wertentwicklung angepasst werden. Das wurde nie gemacht. Alle auch später in NRW errichteten Gebäude wurden auf die Bewertung von 1964 „zurückgerechnet“. Abgekoppelt von allem, inklusive der überall geltenden allgemeinen Inflation. Entweder hätte man also die Einheitswerte, alternativ aber Jahr für Jahr die kommunalen Hebesätze anpassen müssen.
Auch Hebesatz nicht an Inflation angepasst
Hebesatz-Anpassungen blieben in der Regel stets hinter der Inflation zurück, auch wenn sie in Castrop-Rauxel durch den Stärkungspakt Stadtfinanzen ums Jahr 2012 herum stark erhöht wurden. Seit zehn Jahren nun aber schon nicht mehr. Real wurden Grundeigentümer damit Jahr für Jahr schleichend entlastet, vor allem durch die starke Inflationsrate zuletzt.
Für die Zukunft ist festgeschrieben, dass die Bewertungen alle sieben Jahre neu vorgenommen werden sollen. Die neue Basis ist 2022 gelegt worden: Für 35 Millionen Grundstücke in Deutschland, rund 24.200 Einheiten in Castrop-Rauxel, wurden die Werte neu bemessen. Der Grundsteuerwert bemisst sich bei dieser Ermittlung bei Wohngrundstücken nach dem Grundstückwert (Bodenrichtwert BORIS NRW) und der statistisch zu erzielenden Kaltmiete. Bei Geschäftsgrundstücken geht die Berechnung nach dem Gebäudesachwert und dem Bodenwert des Grundstücks.
Belastungsverschiebungen zwischen Wohnen und Nichtwohnen zeichneten sich in diesem Prozess, in dem die Behörden seit dem Urteil spätestens seit 2019 stecken, schon früh ab. Zwar gibt es überwiegend Wohngrundstücke: 22.500 Einheiten in Castrop-Rauxel zu 1700 Nichtwohngrundstücken, zum Teil mit einer Misch-Nutzung aus Gewerbe und Wohnen. Doch das Thema könnte relevant werden in der Gerechtigkeits-Wahrnehmung der Menschen.
Im Saarland und in Sachsen federten die Landesregierungen darum diesen Effekt durch unterschiedliche Grundsteuermesszahlen ab. Das ist der dritte Faktor bei der komplizierten Berechnung der Gesamtbeträge (Einheitswert x Grundsteuermesszahl x Hebesatz). NRW aber entschied sich trotz mehrfacher Warnungen aus den kommunalen Spitzenverbänden (u.a. Städtetag NRW) für ein differenzierendes Hebesatzrecht.
Das sind differenzierte Hebesätze
Städte sollten danach die Option bekommen, zwei Hebesätze in der Grundsteuer B anzuwenden: einen für Wohngrundstücke, einen zweiten für Nichtwohngrundstücke. Dortmund entschied sich nun für diesen Weg, Essen, Recklinghausen und Gladbeck auch. In Bochum empfahl die Verwaltung den einheitlichen Hebesatz. Doch die rot-grüne Koalition kündigte an, für den Differenzierten zu stimmen.
Der sorgt für organisatorischen Aufwand, vielleicht auch für neue Ungerechtigkeits-Gefühle bei den Menschen – und ist wohl verfassungsrechtlich nicht abgesichert. Jurist Dr. Stefan Ronnecker begründete das Problem in einem Gutachten für den Städtetag NRW mit einem formaljuristischen Haken: Das Landesgesetz (Juli 2024), das differenzierte Hebesätze möglich macht, wurde demnach schon vor dem Bundesgesetz (November 2024) veröffentlicht. Damit sei unter Verfassungsrechtlern umstritten, welches Recht nun Geltung hat. Sind Eigentümer nicht einverstanden, könnten sie Klage erheben.
Nicht gegen das Land oder den Bund, sondern damit würden die Städte selbst konfrontiert. So recht will das aber in der Stadtverwaltung niemand einsehen, wie der Beigeordnete Michael Eckhardt immer wieder betont. Im schlechtesten Fall geht er damit haushaltswirtschaftliche Risiken ein, befürchtet Stefan Brenk aus der Castrop-Rauxeler Kämmerei. Eine Flut von Klagen könnte ein Ausfall von erheblichen Grundsteuererträgen zur Folge haben. Ein Verwaltungsgericht müsste das entscheiden.

Mehr noch: Technisch ließe sich das Differenzieren jetzt ohnehin kaum mehr kurzfristig umsetzen; und gesamtwirtschaftlich betrachtet ergäbe es einfach keinen Sinn, wenn jede Kommune dasselbe Problem für sich selbst lösen müsse, meint Brenk. Außerdem entstehe so ein Flickenteppich aus kommunalen Hebesätzen und ein weiter verschärfter interkommunaler Wettbewerb, der Städte ohne Haushaltsprobleme einen neuen Vorteil verschafft bei der weiteren Ansiedlung von Geschäften und anderem Gewerbe.
„Bemerkenswert ist, dass die Landesregierung in einer solchen Regelung eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung zu erkennen glaubt, während zeitgleich die Kommunen eine solche Lösung ganz überwiegend ablehnen“, heißt es in der Entscheidungsvorlage der Stadt, die Stefan Brenk maßgeblich verfasste und über die nun der Stadtrat am Donnerstag (12.12.2024) entscheiden wird. Jede Kommune, die die Option differenzierender Hebesätze nutzen will, müsse die Gründe für die konkret gewählte Differenzierung darlegen. Und dann auf eigene Kosten abwarten, ob sie gerichtsfest sind, wenn jemand klagen sollte.
Am 4. November gab es ein Treffen der Finanzverwaltung NRW mit Vertretern der Städte im Kreis Recklinghausen. All diese Bedenken wurden auf den Tisch gebracht. Das Gespräch blieb wohl ohne Annäherung. Dabei lägen dem EUV in Castrop-Rauxel noch nicht einmal alle notwendigen Daten für die Berechnung der Grundsteuern für seine 24.200 Grundsteuerobjekte vor, hieß es Ende November. Geschweige denn eine zuverlässige Aussage über ihre inhaltliche Richtigkeit.
„Die individuelle Betroffenheit der Grundsteuerpflichtigen wird erst mit Erstellung und Versand der Grundbesitzabgabenbescheide 2025 in der Breite wirklich bekannt. Es ist mit erheblichen Rückfragen, Beschwerden, aber auch Widersprüchen und Klagen zu rechnen“, befürchtet Stefan Brenk.

Er stellte Handlungsoptionen für die Politik auf und wägt sie in einer Entscheidungsvorlage Pro und Contra ab. Würde man differenzierte Hebesätze anwenden, hätte man das rechtliche Risiko, hätte softwareseitig noch nachzuarbeiten, würde Wohngrundstücke entlasten, aber Nichtwohngrundstücke, auf denen zum Teil auch Menschen wohnten, deutlich verteuern. Der Hebesatz läge hier bei über 1200.
Der Haupt- und Finanzausschuss lehnte diesen Schritt Ende November mit nur einer Gegenstimme ab. Man behält einfach die alten Hebesätze bei, lautete das eigentlich schlichte Ergebnis. Man wolle sich 2025 neu mit dem Thema befassen, um es für 2026 zu regeln. Problem aber: Kommunalwahl im September, Rats-Konstituierung im Oktober. Erste inhaltliche Sitzung des Stadtrats im Dezember. Der Versand der Jahresbescheide 2026 verzögere sich dadurch, kündigt Brenk in seiner Abwägung an. Das würde eine Liquiditätslücke für die Stadt bedeuten, wenn das Geld später eingezogen würde.
Grund genug für FWI-Vertreterin Annette Korte, dagegen zu stimmen. Für andere nicht: Auch wenn man aus inhaltlich-sozialen Gründen eigentlich für die Differenzierung sei, sagten Politiker im HFA, müsse man sie aus Risikogründen eher ablehnen. Städte in NRW entscheiden ganz unterschiedlich: Dortmund, Essen und Recklinghausen differenzieren beispielsweise. Herne, Herten, Datteln und Marl nicht. In Bochum schlug die Stadtverwaltung vor, einheitlich zu bleiben. Doch die rot-grüne Koalition sagte, sie werde im Stadtrat für die Differenzierung stimmen.
Die Verwaltung in Castrop-Rauxel und der EUV entschieden unter dem Eindruck dieser „absehbaren erheblichen Herausforderungen“ übrigens, schon ab 2025 getrennte Grundbesitzabgabenbescheide zu versenden. Die Grundsteuerbescheide von der Stadt werden nicht mehr auf einem Blatt mit den sonstigen Grundbesitzabgaben des EUV (Gebühren für Müllentsorgung, Abwasserbeseitigung, Straßenreinigungs- und Winterdienst) abgerechnet. Es gibt zwei getrennte Abrechnungsbögen, allerdings in einem Briefumschlag. Und eine dezidierte Erklärung zum Vorgehen. Kommunikationsrichtung: Wir können auch nichts dafür.
Nach dem Entscheid ist vor dem Einzug. Der Beigeordnete, Brenk, Brigadski, Baack: Die Arbeit für die B-Bande aus Castrop-Rauxel hat gerade erst begonnen...