Ukrainischer Soldat konnte weder essen noch sprechen Dmytro bekommt neuen Kiefer in Castrop

Im Krieg schwer verwundet: Ukrainischer Soldat im Rochus operiert
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Seit seiner Kriegsverletzung aus den ersten Tagen des Krieges Russlands gegen die Ukraine konnte der ukrainische Soldat Dmytro weder normal essen noch verständlich sprechen – bis er in Castrop-Rauxel einen neuen Unterkiefer bekam. Den Plastischen Chirurgen am St. Rochus-Hospital ist es gelungen, seinen Kieferbogen zu rekonstruieren und die Funktionalität wiederherzustellen.

Am 20. Oktober des vergangenen Jahres ist der 45-Jährige bei den Castroper Spezialisten für mikrochirurgische Eingriffe eingetroffen. Er war schrecklich entstellt, weil Granatsplitter seinen Unterkiefer komplett weggesprengt hatten. Da der Resonanzraum der Mundhöhle zerstört war, konnte er kein verständliches Wort äußern. An Kauen und eine normale Nahrungsaufnahme war gar nicht zu denken.

„Mit dem Rücken zur Wand“

Dabei hatte er zunächst Glück im Unglück. Dmytro überlebte und kam unverzüglich in Behandlung. Doch dann entpuppte sich die Wiederherstellung seiner Kinnlade als ein großes Problem. Drei vergebliche Operationen musste er über sich ergehen lassen, bevor ihm – anderthalb Jahre nach seiner Verletzung – von Prof. Dr. Andrej Ring und seinem Team endlich geholfen werden konnte.

Zunächst war in der Ukraine versucht worden, den Unterkieferknochen aus einer Rippe zu rekonstruieren. Nachdem dies gescheitert war, ersuchte er Hilfe bei Spezialisten in England und in Polen, wo Knochenmaterial aus dem linken Wadenbein und dem Beckenkamm für weitere vergebliche Wiederherstellungsversuche entnommen worden ist.

Andrej Ring im OP: Die Operationen können schnell mehrere Stunden dauern. (Archiv)
Andrej Ring im OP: Die Operationen können schnell mehrere Stunden dauern. (Archiv) © Tobias Weckenbrock

„Als der Patient zu uns kam, stand er mit dem Rücken zur Wand“, berichtet Prof. Dr. Ring. „Eine derart komplizierte Verletzung birgt das Risiko, dass seine Situation nach einem erneuten Scheitern schlechter wird als zuvor.“ Hätte sich der Patient sich allerdings gegen eine Operation entschieden, wäre er für immer auf Pflege angewiesen gewesen und könne nie mehr halbwegs normal am Leben teilhaben.

Unterkiefer aus dem Wadenbein

Chefarzt Prof. Dr. Ring und sein Team haben in den vergangenen Jahren wiederholt vor allem Kinder mit schweren Verletzungen aus Krisengebieten erfolgreich am St. Rochus Hospital in Castrop-Rauxel versorgen können. Zuletzt wurde dem fünfjährigen Fekratullah das Wadenbein in den Oberarm verpflanzt. Deshalb meldet Prof. Ring die Plastische Chirurgie im Rochus schon kurz nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs als möglichen Operationsstandort für Kriegsverletzte.

Chefarzt Prof. Dr. Andrej Ring kennt sich durch die langjährige Arbeit mit jungen Patienten aus Afghanistan mit schweren Verletzungen aus Krisengebieten aus.
Chefarzt Prof. Dr. Andrej Ring kennt sich durch die langjährige Arbeit mit jungen Patienten aus Afghanistan mit schweren Verletzungen aus Krisengebieten aus. (Archiv) © Luca Füllgraf

Bei Operationen wie der von Dmytro wird Knochen mit umliegendem Gewebe und Blutgefäßen von anderen Körperstellen entnommen, in die benötigte Form gebracht, an den verletzten Stellen eingefügt und erneut mikrochirurgisch an den Blutkreislauf angeschlossen. Dmytro Unterkiefer wurde aus seinem eigenen Wadenbein rekonstruiert.

Zurück in der Ukraine

„Das sind langwierige Eingriffe, die nur deshalb so erfolgreich gelingen, weil auch das Umfeld optimal mitspielt“, betont Prof. Ring. So war die stundenlange Narkotisierung des Soldaten eine große Herausforderung für die Narkoseärzte, weil die üblichen Intubationswege im OP-Gebiet lagen. Auch die Radiologie habe sich für die Planung und Kontrolle der komplexen Rekonstruktion besonderen Anforderungen stellen müssen. Nach der Therapie waren die Internisten und Intensivmediziner gefragt, weil zur Infektionsbekämpfung eine Maximalbehandlung erforderlich war.

Heute befindet sich Dmytro in einer Reha-Einrichtung in der Ukraine. Der neue Unterkiefer ist angewachsen, er kann reden und Nahrung zu sich nehmen. Natürlich steht ihm noch eine lange Genesung bevor. Auch weitere Behandlungen, wie etwa die Implantation von Zähnen, stehen an. Prof. Ring hält Kontakt zu seinen Ärzten und berät bei der Weiterbehandlung. Doch nach einer langen Irrfahrt von Arzt zu Arzt hat er jetzt eine sehr gute Chance auf ein Leben, das wieder lebenswert ist.

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