„Guten Tag, ich habe eben meine Frau umgebracht“ Vor 19 Jahren starb Ina B. in Castrop-Rauxel

„Guten Tag, ich habe eben meine Frau umgebracht“: Vor 19 Jahren starb Ina B.
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Es ist noch dunkel, als am 18.2.2005 ein Notruf bei der Castrop-Rauxeler Feuerwehr eingeht. „Guten Tag, ich habe eben meine Frau umgebracht“, sagt der Anrufer. Es ist ein 80-jähriger Rentner aus der Insterburger Straße in Ickern. Mit einer Gaspistole hatte er kurz zuvor auf den Kopf seiner 81 Jahre alten Frau Ina B. eingeschlagen. Immer wieder.

Blut im ganzen Raum

Die Schläge des Rentners haben eine solche Wucht, dass sich später überall im Schlafzimmer Blutspuren finden werden: an allen vier Wänden, an der Zimmerdecke, an der Gardine, den Möbeln und den Bildern. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt ein 33-jähriger Polizist, der mit seinen Kollegen den Tatort inspiziert hatte. Die gesamte linke Schädelseite des Opfers war so schwer verletzt, dass ein Rechtsmediziner der Universität Essen, der vor Gericht als Gutachter aussagte, nicht einmal ausschließen wollte, ob der Täter seiner Frau nicht sogar ins Gesicht schoss. „Das wird wohl für immer ungeklärt bleiben“, schrieb damals unser Gerichtsreporter.

Diese Gaspistole wurde am 18.2.2005 zur Tatwaffe.
Diese Gaspistole wurde am 18.2.2005 zur Tatwaffe. © Jörn Hartwich

Trotzdem hat der Rentner bei seinem Anruf unrecht. Zu diesem Zeitpunkt lebt seine Frau noch. Als sich einer der Beamten über den Körper der regungslos auf dem Bett liegenden Rentnerin beugt, öffnet sie kurz die Augen. Erschrocken habe er sich da, sagte der Polizist später als Zeuge vor Gericht. Ina B. wird in einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus nach Essen gebracht. „Sie ringt mit dem Tod“, heißt es einen Tag nach der Tat von der Dortmunder Staatsanwaltschaft. Ärztinnen und Ärzte kämpfen um ihr Leben. Einen Monat später gibt es Hoffnung. Die 81-Jährige sei außer Lebensgefahr. Wieder einen Monat später ist sie tot, gestorben an den Folgen ihrer schweren Kopfverletzungen. Ein sogenanntes „Multiorganversagen“ führt am 20.4.2005 um 9.08 Uhr dazu, dass das Herz der Rentnerin für immer aufhört zu schlagen.

Häufiger Streit ums Geld

Doch was führte zu der brutalen Tat des Ickerners an seiner Frau, mit der er 53 Jahre lang verheiratet war? Am ersten Prozesstag vor dem Schwurgericht in Dortmund im Herbst 2005 begründete er dies so: „Ich wollte, dass endlich Ruhe ist.“ Staatsanwalt Wolfgang Nix hat den alten Mann wegen Totschlags angeklagt.

Während der ehemalige Schuhverkäufer selbst Monate nach dem Tod seiner Frau noch immer daran festhält, dass die Ehe der beiden eine harmonische war, sagen Verwandte etwas anderes. Schon früher sei es in dem Zweifamilienhaus immer wieder zu Streit und Handgreiflichkeiten gekommen. Stein des Anstoßes soll dabei in der Regel das liebe Geld gewesen sein – wie auch an jenem 18. Februar.

Der Täter sagt, man habe ein Geschäft gehabt, ein Haus und eigentlich auch immer genug Geld. Vor allem natürlich, weil man sehr sparsam gewesen sei. „Ein alter Ostpreuße braucht nur Pellkartoffeln und Brot“, erklärt er den Richtern. Und deshalb wurde das Geld gehortet. Rund 35.000 Euro auf Festgeldkonten, 1500 Euro in einer Zwischendecke im Keller, ein paar Scheine in einem Kaffeebecher. Und das neue Auto, das sich der 80-Jährige im Januar für 26.000 Euro gekauft hatte, war auch bar bezahlt worden.

Täter soll nicht vom Opfer erben

Eine Nichte der beiden Rentner bestätigt im Zeugenstand, dass sie während des Studiums von Ina B. ab und zu mit kleineren Geldbeträgen bedacht worden sei. Der Angeklagte habe davon aber nie etwas erfahren dürfen. Noch weiter geht ein anderer Verwandter. Er bezeichnet den 80-Jährigen schlicht als „Geizhals“. Und dieser vermutete, dass seine Frau seine verhasste Schwägerin finanziell unterstütze. „Sie wollte immer mehr“, sagt der Angeklagte den Richtern. Beweise dafür hat er aber nicht. Dennoch habe er das einfach nicht mehr ertragen können.

Während des Gerichtsprozesses wurde der 80-jährige Tatverdächtige im Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg untergebracht.
Während des Gerichtsprozesses wurde der 80-jährige Tatverdächtige im Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg untergebracht. © picture alliance/dpa

Eine interessante Randnotiz, weil auch sie sich um die Finanzen des Ehepaares dreht: Während des Prozesses wird bekannt, dass die Krankenkasse von Ina B. mehr als 80.000 Euro von dem 80-Jährigen zurückfordert. Das Geld war während des achtwöchigen Todeskampfes an Behandlungskosten aufgelaufen. Außerdem wird gegen den Castrop-Rauxeler Rentner ein Erbunwürdigkeitsverfahren angestrengt. So wird verhindert, dass er die von ihm selbst erschlagene Frau beerbt.

In Unterwäsche abgeführt

„Warum er damals so aggressiv geworden ist, lässt sich einfach nicht erklären“, sagt sein Verteidiger, der zum Prozessende eine milde Strafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge beantragt. Doch von einer Affekttat will ein Psychiater, der ebenso als Gutachter hinzugezogen wurde, nicht sprechen. In seinen Augen spricht mehr dafür, dass der 80-Jährige seine Tat sogar „auf gewisse Weise“ vorbereitete – indem er nämlich seine Gaspistole aus dem Keller holte, als der Streit begann. Seine Frau lag währenddessen noch auf dem Bett. Anschließend schlägt er mit der Pistole zu, das Blut spritzt. Um 7.20 Uhr morgens ruft es schließlich selbst bei der Feuerwehr an. Als die Polizei den Rentner abführt, trägt er nur Unterwäsche und Stützstrümpfe.

Auch vor Gericht wirkt der 80-Jährige wie „ein gebrochener Mann“, schreibt unserer Reporter vor Ort: „Im Prozess saß er gestern wieder völlig in sich zusammengekauert auf der Anklagebank und hielt sich fast die ganze Zeit über ein Taschentuch vors Gesicht.“ Körperlich merke man ihm das Alter an.

Vor allem das Treppensteigen strenge ihn an. „Die Luft und das Herz“, sagt der Mann mit leiser Stimme. Vier Bypass-Operationen hat er inzwischen hinter sich.

Während des Verfahrens schlägt er immer wieder die Hände vors Gesicht. Leise weint der 80-Jährige vor sich hin. „Geht es ihnen gut?“, will Richter Wolfgang Meyer wissen. Die Antwort kommt still und zittrig: „Herr Vorsitzender, wie soll es mir denn gut gehen?“

Täter stirbt in Haft

Das Urteil im Herbst 2005 fällt auf fünfeinhalb Jahre Haft. Staatsanwalt Wolfgang Nix hatte sechs Jahre wegen Totschlags beantragt. Normalerweise hätte er wohl noch höher gegriffen. Weil die Tat so unheimlich brutal war. „Er hat mit erheblicher Kraft zugeschlagen“, sagte Nix in seinem Plädoyer.

Doch er muss natürlich auch das hohe Alter des Angeklagten berücksichtigen. „Ich habe nicht viel vom Leben gehabt“, sagt der 80-Jährige in seinem letzten Wort. „Ich war in Russland in Kriegsgefangenschaft und jetzt bin ich wieder eingesperrt.“ Und ein freier Mann sollte er nie wieder werden. „Vollstreckung erledigt durch Tod“, steht in den Akten, wie Staatsanwalt Henner Kruse auf Nachfrage dieser Redaktion nun erklärte. Der Rentner starb also beim Verbüßen seiner Strafe.

Der Täter verstarb beim Verbüßen seiner Tat, das bestätigte Staatsanwalt Henner Kruse.
Der Täter verstarb beim Verbüßen seiner Tat, das bestätigte Staatsanwalt Henner Kruse. © Kevin Kindel