Ein Tierheim trifft sich „Wenn jetzt eh keiner mehr zuhört, dann können wir auch schließen“

Ein Tierheim, geführt wie ein effizientes Unternehmen
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Normalerweise sind Jahreshauptversammlungen (JHV) von Vereinen für die Öffentlichkeit nicht wirklich interessant. Interne Absprachen, Planungen, Wahlen sind fast immer unspektakulär. Der Verein, der sich am Donnerstagabend im Mythos getroffen hat, ist allerdings weder normal noch unspektakulär – der Tierschutz Castrop-Rauxel e.V.

Immer wieder hat es in den vergangenen Jahren gescheppert und gekracht. Schlammschlachten wurden – bevorzugt in den Kommentarspalten von Facebook – geführt. Ehemalige Helfer berichteten von Chaos, es gab Ärger mit dem Veterinäramt und der AG Tierheime. Die Liste der Gründe, wegen derer die JHV spannend werden sollte, ist lang.

Zu Beginn ist die Stimmung nicht angespannt: Getränke werden bestellt, tierische und menschliche Teilnehmer machen es sich gemütlich. Etwa 20 Menschen und 5 Hunde sind gekommen. Aber schon zu Beginn wird klar: Hier gehören nicht alle zusammen. Einige werfen sich böse Blicke zu, manche sitzen für sich.

Dann ist es 19.30 Uhr und die JHV wird eröffnet. Der 1. Vorsitzende Johannes Beisenherz möchte die Formalitäten eigentlich schnell abhandeln. Doch schon beim vierten Tagesordnungspunkt wird interveniert. Es geht um das „Protokoll der JHV vom 25.08.2022“.

Eine liest und alle lauschen

Einige Mitglieder bestehen darauf, dass das Protokoll komplett verlesen wird. Sie hätten es vorher nicht zu Gesicht bekommen, wollten es ungelesen aber nicht abnicken, sagen sie. Kurz kommt Unmut auf. Doch Kristina Rummeld lenkt ein und so lauschen alle der 2. Vorsitzenden 20 Minuten lang. Das Protokoll wird – bei ein paar Enthaltungen – angenommen.

Es geht weiter mit einer Amtsenthebung. Zwei Vorstandsmitglieder, beide Hundetrainer, sollen abgesetzt werden. Kristina Rummeld erklärt lang und breit, wie man zusammengearbeitet habe und dass es eigentlich eine Win-win-Situation war. Doch als im Frühjahr eine neue Trainerin hinzukam, sei die Stimmung gekippt.

Von den beiden Abzusetzenden habe der Verein seither nichts mehr gehört, auch aus der WhatsApp-Gruppe des Vorstandes seien sie damals ausgetreten. Die Nachfrage aus der Mitgliedschaft, ob nicht ein Rücktritt möglich wäre, tritt eine Kaskade von Begründungen des Vorstands los. Kristina Rummeld macht einen Strich unter die Sache: „Letztendlich ist das unglücklich gelaufen“, sagt sie. Die beiden werden abgesetzt – auch hier gibt es ein paar Enthaltungen. Dann werden zwei neue Mitglieder in den Vorstand gewählt.

„Wir sind kein Zoobetrieb“

Nun steht das Thema „Bauliches“ an: Ein Mitglied fragt, wieso das Tierheim so abgeschottet wirkt. Überall seien Planen, man könne nicht hineinschauen. Auch sie tritt damit mehrere Redebeiträge des Vorstandes los: „Die Hunde auf der Hundewiese werden abgelenkt“, „Wir sind kein Zoobetrieb“, „Wir sind kein Vergnügungsort, wir sind ein Tierheim“, „Während der Pandemie haben wir die Erfahrung gemacht, dass Termine besser sind – für die Tiere und für uns.“ Die Fragestellerin kommt kaum noch zu Wort. Sie setzt sich wieder hin, wirkt resigniert.

Die Räume der Kleintiere im Tierheim in Castrop-Rauxel.
Die Räume der Kleintiere wurden vom Veterinäramt im August kritisiert. Seitdem habe man etwas umgebaut und jetzt sei alles gut. © Anna Katharina Wrobel

Dann geht es um einen Punkt, der in der Vergangenheit immer wieder für Diskussionen gesorgt hatte: das Veterinäramt. Kristina Rummeld schildert einen Besuch im August, der ziemlich schlecht für das Tierheim lief. „An dem Tag war alles schwarz.“ Bei den Kleintieren war es nicht sauber genug, der EUV war an dem Tag nicht da, es stand wohl viel Müll herum. Das Veterinäramt ließ dem Tierheim eine lange Liste mit Aufgaben da. Seitdem sei alles gut. Zwei unangekündigte Besuche seien unauffällig gewesen. Johannes Beisenherz schließt: „Unser Verhältnis zum Veterinäramt ist stabil, damit sind wir sehr zufrieden.“

Ein Tierheim, geführt wie eine Firma

Als es um den Vertrag mit der Stadt Herten geht (Castrop-Rauxel übernimmt die Tiere aus Herten), wird es grundsätzlich. Wie muss man das Tierheim führen? Aus dem Vorstand gibt es eine klare Antwort von Kristina Rummeld: „Wir müssen an der Verschlankung unserer Prozesse arbeiten. 2008 standen hier 15 Leute herum und keiner wusste, was er zu tun hatte.“ Von Tierliebe allein ließe sich kein Heim betreiben. „Wir müssen unternehmerisch handeln und denken. Zum Beispiel an eine Qualitätssicherung: Irgendwann wird sie kommen.“

Sie berichtet ausführlich vom Fall der Hündin Olga, die vom Tierarzt schon totgesagt worden war, aber auf Wunsch von Kristina Rummeld trotzdem operiert wurde. 4000 Euro habe die OP das Tierheim gekostet. „So etwas können wir machen, andere Tierheime haben dafür kein Geld.“

Das Tierheim Castrop-Rauxel am Deininghauser Weg 45
Das Tierheim Castrop-Rauxel am Deininghauser Weg 45 liegt direkt an einer Straße mit viel Verkehr. © Anna Katharina Wrobel

Wieder eine Anregung aus dem Publikum: Könne man nicht öfter Fotos der Tiere aus dem Tierheimalltag auf Facebook posten? Kristina Rummeld schafft es diesmal nicht so gut, Ruhe zu bewahren. Sie stellt energisch den Sinn und Nutzen infrage: „Die Leute lesen ja nicht, die rufen dann an, weil sie den Hund auf dem Bild süß finden. Bei mir klingelt jeden Tag das Telefon, aber die Leute können den Hund nicht haben, weil er schwierig ist und die Erfahrung fehlt. Nein, ich werde das nicht mehr machen.“ Einwände, dass es für das Tierheim doch eine gute Auswirkung haben könne, werden abgeschmettert.

Alte Wunden brechen auf

Mittlerweile ist es kurz nach 22 Uhr. Für einen Moment wirkt es so, als wäre die JHV mit dem ein oder anderen kleinen verbalen Scharmützel über die Bühne gegangen. Doch dann kommt die freie Aussprache. Ein Mitglied meldet sich und das Fass läuft über. Alte Vorwürfe werden hochgeholt. Hunde seien wichtiger als Katzen, die Ehrenamtlichen würden vergrault und dürften nichts mehr. Der Vorstand hält mit den Auflagen des Veterinäramtes dagegen.

Schnell geht es um einzelnen Tiere: Katzen, die aus Sicht einiger nicht gut versorgt sind. Die Auseinandersetzung wird hitziger, immer mehr Leute reden gleichzeitig. „Das stimmt nicht“, „Erzähl nicht solche Dinge“, „Warum kann man nicht damit zufrieden sein, die Katzen zu beschäftigen und weiß der Teufel was mit ihnen zu veranstalten?“, „Es ist zu wenig Personal da“, „Ich darf mit niemandem mehr sprechen“.

Der Diskussion-erprobte Ex-Bürgermeister Beisenherz versucht noch einzugreifen, aber die Lawine rollt schon. Irgendwann lacht er, wirkt dabei überfordert und zuckt mit den Schultern.

Bevor vollends das Chaos ausbricht, versucht Kristina Rummeld, die Gruppe zu übertönen: „Wenn jetzt eh keiner mehr zuhört, dann können wir auch schließen.“ Beisenherz bedankt sich noch für die rege Diskussion, dann ist Schluss.

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