In der Kirche St. Antonius ist für Mittwoch (7.7) eine große Impfaktion mit Astra geplant. Jetzt muss neu organisiert werden.

© Nora Varga

Stiko-Empfehlung lässt Ärzte verzweifeln: Was wird aus geplanter Impfaktion?

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Nach einer Corona-Erstimpfung mit Astrazeneca soll man bei der Zweitimpfung nun Biontech oder Moderna bekommen. Das bereitet Hausärzten in Castrop-Rauxel Probleme. Im Impfzentrum reagiert man.

Castrop-Rauxel

, 02.07.2021, 15:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wegen der schnellen Ausbreitung der Delta-Variante hat die Ständige Impfkommission (Stiko) neue Empfehlungen herausgegeben. Es geht um Menschen, die ihre erste Impfung mit Astrazeneca erhalten haben. Hausärzte, die in Castrop-Rauxel impfen, bringt das „an den Rand der Verzweiflung“. Der Kreis Recklinghausen reagiert bereits.

Menschen, die eine erste Dosis Astrazeneca erhalten haben, sollen künftig unabhängig vom Alter als zweite Spritze einen mRNA-Impfstoff wie Biontech oder Moderna erhalten, hat die Stiko am Donnerstag (1.7.) mitgeteilt. Gerade in diesen Tagen, zwölf Wochen nach der Sonderaktion mit Astrazeneca zu Ostern, haben viele einen Termin für die zweite Spritze.

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Die Hausarztpraxis von Dr. Holger Knapp in Ickern am Marktplatz wurde von der Stiko-Empfehlung komplett überrascht. Für Mittwoch (7.7.) ist eine größere Impfaktion in der Kirche St. Antonius geplant. Den ganzen Vormittag sollten zügig rund 100 Menschen ihre zweite Spritze mit Astrazeneca bekommen, zwei Impfstraßen aufgebaut werden. Wie das jetzt unter geänderten Voraussetzungen gehen soll, das hat das Ärzteteam am Freitag in einer Krisensitzung besprochen.

Erst gab es zu viel Biontech, jetzt ist zu viel Astrazeneca vorhanden

„Alles wurde auf den Kopf gestellt“, sagt Holger Knapp im Gespräch mit dieser Redaktion. Vor wenigen Tagen noch hatte er befürchtet, zu wenig Interessenten für Biontech zu finden. Nach unserer Berichterstattung haben sich dann Impfwillige gemeldet. Die Folge: Biontech ist nicht in Mengen vorrätig, Astrazeneca lagert dagegen in großen Mengen im Kühlschrank.

„Viele Patienten werden den Impfstoff wechseln wollen“, ist der Hausarzt überzeugt. Dies aber erst vor Ort zu klären, sei schon aus organisatorischen Gründen nicht möglich. Zweitimpfungen kosten weniger Zeit, die Termine sind eng getaktet. Bei einem Wechsel zu Biontech muss aber neu informiert und ein neuer Aufklärungsbogen ausgefüllt werden.

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Ob genug Biontech-Impfstoff vorhanden sein wird, kann Knapp noch nicht genau sagen. „Wir bemühen uns händeringend darum“, sagt er. Er ist optimistisch: „Zweitimpfungen sollen ja gesichert sein.“ Aber was ist, wenn der Biontech-Impfstoff aufgebraucht ist, und jemand vor ihm steht, dessen Zwölf-Wochen-Intervall seit der Astra-Erstimpfung vorbei ist? „Da bin ich ratlos.“

Patienten sollen sich neuen Aufklärungsbogen in der Praxis abholen

Wichtig ist ihm, dass alle Menschen, die einen Impftermin haben, für sich entscheiden, ob sie jetzt auf einen mRNA-Impfstoff wechseln wollen. „Wer das will, sollte Montag oder Dienstag in die Praxis kommen und sich einen neuen Aufklärungsbogen abholen“, sagt er. „Die Termine versuchen wir zu halten.“ Bereits am Freitag meldeten sich die ersten Patienten in der Praxis.

Der Castrop-Rauxeler Hausarzt weiß, dass jetzt noch andere Fragen auf ihn zukommen; von denjenigen, die zuletzt ihre Zweitimpfung mit Astrazeneca erhalten haben. Denn neben dem verkürzten zeitlichen Abstand ist es vor allem die „deutliche überlegene“ Immunantwort bei diesem heterologen Impfschema, mit dem die Stiko ihre neue Empfehlung begründet.

Auch mit Astrazeneca ist man gut vor dem Coronavirus geschützt

Holger Knapp will beruhigen: „Entscheidend ist, dass man vor schweren Verläufen geschützt ist.“ Und das sei man auch mit der Impfung mit Astrazeneca oder Johnson & Johnson. „Der Blick nach England zeigt, dass dort wegen der Deltavariante die Infektionszahlen sehr stark steigen. Die Zahl der Todesfälle ist aber niedrig, niedriger als in Deutschland.“

Er berichtet aus der Praxis. „Wir hatten schon Patienten, die sich nach zweimaliger Biontech-Impfung infiziert haben und dann ein, zwei Tage grippale Symptome hatten.“ Trotz der neuen Empfehlung könne man sicher sein, mit Astrazeneca gegen schwere Verläufe geschützt zu sein. „Das ist das, was man erreichen wollte.“

Viel ärgerlicher für ihn als Arzt sei es, dass man ständig neue Informationen zu den Impfstoffen, ihrer Wirksamkeit, ihren Risiken weitergeben müsse. „Man macht sich ja unglaubwürdig“, sagt er. „Das hat uns in unserer Motivation schon gehandicapt.“ Und mit Blick über Deutschland hinaus sagt er: „Von der WHO gibt es bisher keine offizielle Empfehlung.“ Ob Mischimpfungen überall im Ausland anerkannt würden, sei nicht sicher.

Deutscher Sonderweg war eine glückliche Fügung

Bisher gab es diese Mischung – erst Vektor-, dann mRNA-Impfstoff – bei jüngeren Menschen, die ihre Erstimpfung mit Astrazeneca bekommen hatten, bevor dieser Impfstoff nur noch für Impfwillige ab 60 Jahren empfohlen wurde. Dr. Alexander Senge als Sprecher der Castrop-Rauxeler Ärzteschaft verweist darauf, wie schnell sich die Lage im Laufe der Monate geändert habe.

Mal sei der eine, mal der andere Impfstoff gehypt worden. Vielleicht, so denkt er laut nach, könnte bald überlegt werden, ob sich auch bei der Einfachimpfung mit Johnson & Johnson eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff lohne.

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Beim Kreis Recklinghausen erwartet man noch am Freitag den Erlass aus dem Gesundheitsministerium. Am Tag selbst, sagte Sprecherin Svenja Küchmeister auf Anfrage, wurde zuerst wie geplant geimpft. Plötzliche Absagen wegen der Stiko-Empfehlung seien nicht beobachtet worden. In der Übergangszeit werde vor Ort über jeden Fall gesprochen.

Auch im Impfzentrum sind als Folge des Oster-Sonder-Kontingents jetzt viele Zweittermine mit Astrazenca angesetzt. Nach einer Videokonferenz der Impfzentrums-Leiter und des Ministeriums am Nachmittag wird die Stiko-Empfehlung umgesetzt, so die Kreispressesprecherin. Für die entsprechenden Termine am Wochenende sei genügend mRNA-Impfstoff vorhanden.