Die Ruhr Nachrichten schrieben im Mai 2009 von den "Aussterbenden Alarmmeldern". Damals gab es noch drei Sirenen in Castrop-Rauxel, von denen eine, nämlich diese an der Dornbachstraße, auch noch defekt war.

Die Ruhr Nachrichten schrieben im Mai 2009 von den "Aussterbenden Alarmmeldern". Damals gab es noch drei Sirenen in Castrop-Rauxel, von denen eine, nämlich diese an der Dornbachstraße, auch noch defekt war. © Archiv

Als es noch 71 Sirenen in Castrop-Rauxel gab und die UdSSR Angst machte

rnStadtgeschichte

Es gibt heute 13 Sirenen auf den Dächern von Castrop-Rauxel. Am Donnerstag waren sie in einem Probealarm zu hören. Aber es gab eine Zeit, da hätten viel mehr Sirenen geheult. Wir blicken zurück.

Castrop-Rauxel

, 10.09.2022, 08:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Als Bundeskanzler Olaf Scholz im März 2022 von einer „Zeitenwende“ sprach, dann war das die erste seit vermutlich rund 35 Jahren. Damals wie heute ging es um Krieg: heute den zwischen Russland und der Ukraine, damals, in den 1980er-Jahren, den zwischen der westlichen Welt und dem Kommunismus des Ostens.

Es gibt einige Parallelen, nur die Richtung war umgedreht: Während Ende der 80er die Entspannung einsetzte, ist heute die Anspannung zurück. Damals jedenfalls gab es 71 Sirenen im Stadtgebiet von Castrop-Rauxel. 2009 waren es noch zwei aktive und eine defekte. Heute sind es 13, die am Warntag (8.9.) für einen Probealarm zu hören waren.

Während sich heute einige Castrop-Rauxeler beschweren, dass sie keinen Sirenenalarm gehört hätten, muss es damals ungleich lauter gewesen sein. Dreimal im Jahr heulten alle 71 Sirenen im Stadtgebiet für Probealarmierungen gleichzeitig los. Und in den 1960er-Jahren sollen es sogar mal 90 gewesen sein.

Dirk Hering ist hauptberuflich bei der Feuerwehr, 2009 wie heute. Als er 1979 als Zwölfjähriger in die Jugendfeuerwehr einstieg, gehörten Sirenen noch zum Tagesgeschäft. 2009 schon, als unsere Zeitung ausführlich berichtete, hatten aber digitale Funkmeldesysteme die analoge Technik abgelöst. Brandinspektor Hering und drei Kollegen waren damals dafür verantwortlich, dass jegliche Kommunikationsmittel bei der Feuerwehr einwandfrei funktionieren.

„Falls man sie doch noch einmal braucht“

Die Sirenen gehörten auch dazu, aber sie waren nur noch eine Randerscheinung und auch die letzten zwei Exemplare hätten nicht mehr instand gesetzt werden sollen, wenn sie kaputt gegangen wären. Samstags um 12 Uhr testete man sie trotzdem, jede Woche, voll automatisiert von der Leitstelle in Recklinghausen aus. „Falls man sie doch noch einmal braucht“, sagte Dirk Hering im Mai 2009.

13 Sirenen dieses Typs sind heute im Stadtgebiet von Castrop-Rauxel im Einsatz.

13 Sirenen dieses Typs sind heute im Stadtgebiet von Castrop-Rauxel im Einsatz. © Tobias Weckenbrock

Aber was war in den 90er-Jahren mit den ganzen Sirenen passiert? Bis 1990 war der Bund für sie zuständig. Die Sirenen waren ein wichtiges Informationsmittel zu Zeiten, als der Feind noch UdSSR hieß, als die Mauer noch stand, als Eiserner Vorhang und Kalter Krieg furchteinflößende Vokabeln waren. „Damals wurde zwischen Signalen für Friedens- und Verteidigungsfall unterschieden“, erzählte Dirk Hering unserer Zeitung im Jahr 2009.

„Die Bevölkerung erkannte das anhand der Tonfolge.“ Eine Minute Dauerheulen bedeutete schwere Gefahr, möglicher Luftangriff. Rundfunkgerät anschalten, Fenster und Türen schließen und auf Lautsprecherdurchsagen von Polizei und Feuerwehr achten. So lautete die Handlungsanweisung für den Ernstfall. Sie gilt heute noch. Oder wieder.

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Allerdings kam das Signal über Jahrzehnte nur noch für den Feueralarm zum Einsatz, und auch das nur noch testweise: Drei Töne, je zwölf Sekunden lang, unterbrochen von zwei Pausen derselben Länge. Zehn der 71 Sirenen in Castrop-Rauxel waren ausschließlich für die Alarmierung der freiwilligen Feuerwehren bestimmt. „Die hatten noch keine Funkempfänger“, erinnerte sich Dirk Hering 2009.

Sirenen wurden per Telefonleitung gesteuert

Als der Bund im Zuge der Wiedervereinigung den Katastrophenschutz in die Hände der Länder legte, waren sie plötzlich obsolet. Man sah keine Notwendigkeit mehr für Sirenen. Der technische Fortschritt ließ die per Telefonleitung steuerbaren Sirenen alt aussehen. Und für die Städte waren sie zu teuer. „Es konnten nämlich durchaus Schäden am Dachstuhl entstehen, wenn die Sirenen losgingen. Da wackelten die Wände“, so Dirk Hering damals. „Und für diese Kosten wollte man nicht mehr aufkommen.“

Als es noch 71 Sirenen in Castrop-Rauxel gab und die UdSSR Angst machte

© Klose

Er erlebte selbst mit, wie die alten schalen- oder tellerförmigen Sirenen verschrottet wurden. Nur fünf Sirenen blieben übrig: Bei der Feuerwehr in Henrichenburg und Habinghorst, auf der Wilhelmschule in Dorf Rauxel, der damaligen Johannesschule in Merklinde und der Elisabethschule in Obercastrop. Irgendwann wurden auch die Merklinder und die Henrichenburger Sirene geopfert, die in Habinghorst war lange defekt.

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Dirk Hering fand es 2009 schade, dass die Sirenen aus dem Stadtbild verschwanden: „Auch wenn ihr Signal meistens nichts Gutes bedeutete, gibt es kein probateres Mittel, um die Bevölkerung zu warnen.“ Piepsende Rauchmelder oder Warn-SMS auf Handys waren damals schon verworfen oder noch nicht ernsthaft diskutiert worden.

Land NRW gab 2015 30.000 Euro für neue Sirenen

2014 drehte sich der Trend: 30.000 Euro sagte das Land NRW der Stadt Castrop-Rauxel fürs Haushaltsjahr 2015 für die Instandsetzung und Neuanschaffung von Sirenen zu. Ende 2015 hieß es vom damaligen Feuerwehrchef Jürgen Schmidt, man werde 24 oder 25 Standorte und damit die Stadt flächendeckend ausstatten. Vier Jahre lang sollten von 2016 bis 2019 75.000 Euro dafür in den Haushalt eingestellt werden. Feuer, Starkregen, Industrieunfälle: Das sollten die Einsatzszenarien sein.

An diesen 13 Standorten stehen Sirenen in Castrop-Rauxel. Eigentlich sollten bis November 2020 Sirenen an bis zu 28 Stellen stehen.

An diesen 13 Standorten stehen Sirenen in Castrop-Rauxel. Eigentlich sollten bis November 2020 Sirenen an bis zu 28 Stellen stehen. © regioplaner.de

Bis November 2020 sollten sogar 28 Sirenen an 28 Stellen stehen. 330.000 Euro sollte der Ausbau kosten, weitgehend finanziert durch die Stadt selbst. Mit dem Signal wollte man die besiedelten Gebiete der Stadt zu 85 bis 90 Prozent abdecken.

Der Probealarm am 8.9.2022 ging von allen 13 Sirenen an 13 Stellen im Stadtgebiet aus. Stellenweise soll er nicht zu hören gewesen sein. Und Russland, der zentrale Teil der einstigen UdSSR, sorgt wieder für Angst und Schrecken.