
Vier nun pensionierte Lehrer aus Castrop-Rauxel haben mit uns über den Wert der Handschrift gesprochen, ehe sie in den Ruhestand gegangen sind. Sie alle sind überzeugt: Ohne geht es nicht. Aber es gibt auch Vorzüge im Digitalen. © Welz / Weckenbrock
Brauchen wir eine gute Handschrift? Das sagen Lehrer aus Castrop-Rauxel
Tippen statt schreiben
Mit das erste, was man in der Schule lernt, ist Schreiben. Aber unsere Kinder und viele Erwachsene schreiben heute viel weniger mit der Hand: Lösen Geräte unsere Handschrift ab?
Braucht man heute noch eine gute Handschrift? Schreibt man nicht viel effektiver mit der Tastatur oder auf dem Display von Smartphone und Tablet? Das Schreiben hat sich geändert. Viele Kinder tippen heute mehr auf Scheiben herum als mit dem Stift auf Zettel zu kritzeln. Ist das gut? Oder hat Handschrift überhaupt noch Sinn? Das haben wir Castrop-Rauxeler Lehrer gefragt.
In einem Interview mit der „FAZ“ vertrat Expertin Marianela Diaz Meyer aus dem Institut für Schreibmotorik vor einiger Zeit wenig überraschend die eine Position: „Handschreiben ist und bleibt unverzichtbar.“ Ihre Argumente: „Es ist sehr wichtig für die kognitive Entwicklung von Kindern.“ Handschreiben sei ein besonders komplexes Bewegungslernen, das man nicht mit anderen feinmotorischen Bewegungen vergleichen könne.
„Es ist mit Gehirnregionen verknüpft, die nicht nur für die Motorik zuständig sind“, so Diaz Meyer in den Interview. Die Gehirnaktivität beim Handschreiben sei enorm, sie helfe der Leseförderung. In einer Erhebung hätten Studenten, die in der Vorlesung per Hand mitschrieben, die Inhalte besser verinnerlicht als Kommilitonen, die nicht mit Stift und Zettel dabei waren. Die „Nürnberger Nachrichten“ schrieben kürzlich, dass Handschreiben schlauer mache, und der österreichische „Standard“ erklärte, „wie uns Handschreiben schlauer macht“.
Horn: Bessere Erinnerung an handschriftliche Notizen
Was aber sagen die Personen der Praxis in Castrop-Rauxel? Alfred Horn war zwölf Jahre lang Leiter der Fridtjof-Nansen-Realschule. Als wir ihn kurz vor dem Schuljahresende trafen, meinte er: „Ich selbst arbeite viel am Computer, aber mir hilft mein fotografisches Gedächtnis beim Behalten. Ich kann mich gut an Dinge erinnern, die ich einmal gelesen habe. Aber noch besser, wenn ich Sachen mit der Hand aufgeschrieben habe.“
Alle Lernüberprüfungen werden nach wie vor handschriftlich gemacht, sagt Hans-Detmar Pelz, bis zum Sommer Konrektor des Adalbert-Stifter-Gymnasiums. Das werde auch noch lange so bleiben. Rechtschreibung und eine ordentliche Handschrift, das bleibe heute aber stärker auf der Strecke. „Ich habe in der Corona-Zeit wirklich viele gruselige Schriftbilder gesehen und gedacht: Ja, denen fehlt viel Zeit des Übens aus der Grundschulzeit“, sagt Hannelore Meisel, gerade pensionierte Lehrerin an derselben Schule.
Meisel: Abschreiben dauert heute länger
Wer setze sich schon zu Hause hin und schreibe und übe, fragt sie offen in die kleine Kollegenrunde. Sie habe beobachtet: „Beim Abschreiben von der Tafel brauchten die Schüler zuletzt länger als vor einigen Jahren. Wenn das Training fehlt, ist man eben nicht so flott.“
Michael Schembecker, Musiklehrer vom ASG, ebenfalls jetzt im Ruhestand, ergänzt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man nur noch elektronisch kommuniziert. Die Handschrift wird ihren Stellenwert behalten.“ Hans-Detmar Pelz bewundere ein wenig, wenn er Kinder beobachte, die mit zwei Daumen in rasender Geschwindigkeit eine Textnachricht in WhatsApp eintippten: „Aber nein, die Handschrift darf nicht durch so etwas abgelöst werden.“
Bei Schülern seiner letzten Klasse in Englisch und Geschichte beobachtete Alfred Horn von der Realschule noch einen speziellen Aspekt: „Vier oder fünf Schüler haben ihre Notizen auf einem Tablet gemacht, aber das Gerät nicht zum Eintippen benutzt, sondern mit einem Stift darauf geschrieben.“ Diese Schüler gehörten zu denen, die mit Qualifikation die Realschule verlassen hätten. „Die Handschrift hat dabei nicht gestört“, sagte Alfred Horn mit einem Schmunzeln.
Viel schwerer aber wiege die Beobachtung, dass es an der Rechtschreibung mangele: Die Kinder lesen offenbar viel weniger Bücher, viel flüchtiger, und achten beim schnellen Tippen in den Messenger nicht auf korrekte Rechtschreibung. Hauptsache, das Gegenüber verstehe einen.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
