
Alfred Horn prägte in zwölf Jahren aus Leiter die Realschule entscheidend mit. Als er hier 2010 begann, kämpfte er erst einmal um ihren Erhalt. © Tobias Weckenbrock
Castrop-Rauxeler Realschul-Chef Horn über Erfolge und seine schlimmste Zeit
Abschieds-Interview
Er sagt, er sei erschöpft: Darum zieht sich Alfred Horn, Rektor der Castrop-Rauxeler Realschule, schon jetzt zurück ins Privatleben. Mit uns ließ er vorher zwölf Jahre FNR passieren.
Alfred Horn geht schon mit 62 Jahren in den Ruhestand: Der Rektor der Fridtjof-Nansen-Realschule verabschiedet sich erst ins Sabbat-Jahr und dann in einen vorgezogenen Ruhestand. „Weil ich erschöpft bin“, sagt er vor seinem Abschiedsfest am 22.6. (12.30 Uhr im Forum) im Interview mit unserer Redaktion. „Ich bin nicht ernstlich krank, aber da ich nicht weiß, was die Zukunft bringt, möchte ich gerne die Zeit, die ich noch habe, mit Dingen verbringen, die mich auch interessieren.“
Herr Horn, was tun Sie künftig?
Ich werde auf die Britischen Inseln reisen, wie so oft, aber mir mal Nordengland ansehen. Newcastle, Sunderland, das ist ja wie das Ruhrgebiet, dort war ich aber noch nicht. Meine Frau und ich wollen uns als Gasthörer an der Uni einschreiben, in Geschichte oder Philosophie still das akademische Leben verfolgen. Ich will meine vier Kinder und mein Enkelkind häufiger sehen. Vielleicht gehe ich auch mal wieder zu Rot-Weiss Essen ins Stadion an der Hafenstraße. RWE ist ja endlich wieder aufgestiegen in die 3. Liga, bei Rot-Weiss wird es nie langweilig.
Auch an der Schule nicht, oder?
Stimmt, es war immer was los in meinen 12 Jahren an der Realschule. Ich gehe mit einem ganz positiven Gefühl. Auch 2022 im 68. Jahr ihres Bestehens, nimmt sie rund 100 Fünftklässler auf. Wir stehen stabil da.

Blickt in eine neue und für ihn rosige Zukunft: Alfred Horn freut sich auf Reisen nach England, aufs Studieren im Alter lässt die Zeit an der FNR zurück. © Tobias Weckenbrock
Nicht immer...
Als ich 2010 anfing, gleich bei meiner Amtseinführung, hat mich die damalige Schuldezernentin Petra Glöß mit den Worten begrüßt: Schön, dass Sie nun Rektor der FNR sind, aber das wollen wir ja ändern – und hoffen, dass Sie mitziehen.
Es ging um die Schließung der Realschule zugunsten einer „Sekundarschule Nord“. Was für ein Einstieg... Wie haben Sie reagiert?
Ich habe geantwortet: Wir steigen in jede Diskussion ein, die man uns aufzwingt, aber wir bleiben Realschule. Es ging richtig zur Sache, ich hab direkt Position bezogen.
Warum nicht pro Sekundarschule?
Wir haben uns damit beschäftigt, uns dafür interessiert, aber bei näherem Hinschauen festgestellt, das das für uns kein Modell für die Zukunft ist. Wir waren der Ansicht, dass Realschule besser ist für uns und unsere Schüler. In der Schule wird viel soziale Arbeit geleistet. Es gibt in der Stadt viele Familien, die Probleme haben. Für nicht wenige Schüler sind wir Lehrer und Schulsozialarbeiter die einzigen festen Bezugspersonen. Was wir daran wichtig finden, und dafür steht auch meine eigene Biografie: Wenn man in schwierigen Verhältnissen aufwächst, bringt einen nur Bildung und Leistung da raus. Der Wille muss stimmen.
Warum?
Es geht um die eigene Anstrengung. Sein Leben kann man nur selbst leben, sonst wird es gelebt. Ich stamme aus einer Familie von Bergleuten und Handwerkern. Ich war der erste Horn, der Abitur gemacht hat. Es werden heute Arbeiterküchen in Museen bestaunt, ich kann mir diesen Weg einfach sparen: Wir hatten selbst eine. Wenn man aus einem Leben etwas machen und etwas erreichen will, muss man dafür sorgen, nicht darauf warten, dass andere etwas für einen tun. Das versuchen wir zu vermitteln.
Wie?
Neben der Inhalte-Vermittlung prägen wir den Willen. Wir halten die Schüler an, zu arbeiten. Erfolgreiche Realschüler lassen sich nicht hängen, kommen auch zur Schule, wenn sie mal nicht so einen guten Tag haben.
Heute mehr oder weniger als heute?
Wir haben weniger davon als im Vergleich zu vor zwölf Jahren. Aber immer noch genug, um zu sagen: Die Schulform Realschule ist zukunftsfähig und wichtig für die Familien, die feststellen: Wir hätten unser Kind zwar gern auf dem Gymnasium, aber sehen ein, dass das zu schwierig wird. Wir führen eine ganzjährige Warteliste. Aktuell ist sie 70 bis 80 Namen lang.

Hier feiert Alfred Horn am 22.6. um 12.30 Uhr Abschied: an seinem Lieblingsort der FNR, dem Forum. © Tobias Weckenbrock
Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit Ihrer Schule mit der Trägerin, der Stadt?
Die Stadtverwaltung hat das gleiche Problem wie Schulen: Wo findet man Personal? Wir erleben mitunter, dass es gelegentlich in der Zusammenarbeit hakt, aber es ist anders als vor zwölf Jahren: Frau Glöß war eine Verfechterin integrierter Systeme. Sie war bereit, uns trotz stabiler Aufnahmezahlen in den Konkurs zu führen. Christel Sperz als Lehrerin und Annette Korte aus der Schulpflegschaft waren dann die Speerspitze des Schulkampfes. Meine Dienststelle aus Münster hat mich durchaus Druck spüren lassen, aber das war mir egal. Mein Dezernent hat sich damals aber vor mich gestellt. „Sie wollen doch nicht im Ernst kritisieren, dass der Mann sich für seine Schule einsetzt…“ hat er vor sich hergetragen. Unser Bürgerentscheid bekam mehr als 13.000 Stimmen pro FNR...
Sehen Sie sich bis heute dadurch bestätigt?
Ich will nicht falsch verstanden werden und habe großen Respekt vor Kolleginnen und Kollegen, die an der Sekundarschule arbeiten. Das sind alles gute Lehrerinnen und Lehrer. Sie haben das Projekt Sekundarschule mit voller Überzeugung umgesetzt. Auch wenn es nicht meine Überzeugung ist: Ich habe Respekt davor, wenn jemand nach seiner Überzeugung handelt.
Ich will auch nicht sagen, dass wir die bessere Schule sind. Ich bin aber der Meinung, dass auf unsere Schule nicht verzichtet werden kann. Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, als die Beigeordnete Regina Kleff von der Stadt sich kürzlich persönlich vor unserer Schulkonferenz eindeutig für unsere Schule erklärt hat. Die FNR sei ein wichtiger Bestandteil der Schullandschaft und es gebe überhaupt keine Überlegungen, daran etwas zu ändern.
Was waren Meilensteine Ihrer Zeit an der FNR?
Vieles an Schulentwicklung ist ja von außen gekommen. Als ich 2007 als Schulleiter angefangen habe, war die Realschule eine Halbtagsschule. Dann kam der verpflichtende Ganztag. 2010 begann der Schulkampf bis 2013, da ging es ums Eingemachte. Dann kam die Inklusion und ab 2013 die ersten Kinder.
Ich habe damals immer gesagt, dass nicht die Inklusion durch die Tür kommt, sondern Kinder. Die mussten wir erst verstehen lernen. Denn sie sind anders als Regelkinder. Der erste war ein Autist. 2016 kamen die ersten Kinder, die kein Wort Deutsch sprachen. Wir haben es immer geschafft, und darauf bin ich auch ein bisschen stolz, das, was von außen kam, nach innen aufzufangen
Für meine Mitarbeiter ist das sehr anstrengend, dafür muss man sich in der großen Pause nur mal ins Lehrerzimmer setzen, dann bekommt man einen Eindruck davon. Aber sie lassen nicht nach und drehen dann auf, wenn es so richtig darauf ankommt.
Und Corona?
Als die Schule geschlossen war, war das die schlimmste Zeit meines Berufslebens: Ich war da, aber meine Schüler nicht. Wenn in den Sommerferien die Schüler weg sind, hat man eine entspannte Art von Stille in der Schule. Wenn sie aber nicht kommen dürfen... das war für mich ganz schlimm. Ich habe meine Schüler vermisst.
Ich habe manches kritisch gesehen in dieser Phase, aber mich natürlich an die Vorschriften gehalten. Nützt ja nichts. Meine große Sorge war nur, dass es unseren Zusammenhalt gefährdet und es schlecht für die Schüler ist. Unsere Schulsozialarbeiterin Melanie Dinnus-Linne hat damals nach wenigen Tagen Alarm geschlagen, weil wir 25 Familien einfach gar nicht mehr erreicht haben. Sie ist eine der wichtigsten Mitarbeiterinnen der Schule. Daran haben wir erkannt, wie wichtig wir als Schule für die Kinder dieser Stadt sind.
Bereuen Sie Dinge, die Sie getan oder gesagt haben?
Man erwischt auch mich nicht immer in Bestform, ich hatte auch mal Ungeduld oder schlechte Laune. Aber in den Tausenden Elterngesprächen habe ich immer versucht, zuzuhören und zu helfen. Nicht immer gab ich die Antwort, die sie hören wollten. Wer sich zu groß machen will, den mache ich klein. Aber wer reinkommt und erkennbar ein Problem hat, wer abgearbeitet aussieht, wem ich ansehen kann, er hat ein hartes Leben: Den hebe ich hoch.
Am Mittwoch (22.6.) wird Alfred Horn bei einer Feier um 12.30 Uhr an seinem Lieblingsort in der Schule, dem Forum, feierlich verabschiedet.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
