Bei Rütgers rumort es. (Ex-)Mitarbeiter müssen jetzt auf ein Sterbegeld verzichten, für das sie jahrzehntelang einzahlten. Es gibt Gerüchte um Untreue. Jetzt spricht der Betriebsrats-Chef.
Weltbewegende Summen waren das nicht. Aber es geht ums Prinzip: Über Rütgers regen sich zurzeit viele Mitarbeiter, vor allem aber Rentner auf. Einige zahlten jahrzehntelang in eine Kasse ein und bekamen jetzt von Betriebsrats-Chef Ulrich Sternemann Post: Die Sterbegeldkasse, auch Sterbefallselbsthilfe genannt, wird aufgelöst. Die Betriebsvereinbarung, zuletzt 1999 aktualisiert und abgeschlossen, wird aufgehoben. Geld gibt es keines mehr.
Nach ersten Medienberichten gerät der Stein des Ärgers immer stärker ins Rollen. Ein ehemaliger Mitarbeiter, inzwischen 85 Jahre alt, aber schon in den 40er-Jahren in den Betrieb eingetreten, ist entsetzt. Oder schwer enttäuscht: Jahrzehntelang zahlte er einen kleinen Obolus in die Kasse ein, um damit seinen eigenen Todesfall ein wenig abzusichern.
Das Prinzip der Sterbegeld-Kasse
Das Prinzip: Viele Mitarbeiter und ehemalige Mitarbeiter zahlen eine Spende in eine Kasse beim Betriebsrat ein, die direkt vom Lohn oder der Rente einbehalten wird. 40 Cent bei einem Todesfall. Ein Klecker-Betrag eigentlich. Oder 2,50 Euro im Monat, die direkt von der Werksrente (300 Euro im Monat) des Ex-Mitarbeiters aus Habinghorst einbehalten wurden.

© Tobias Weckenbrock
Damit sicherte man sich eigentlich den Anspruch auf eine Auszahlung von etwa 1300 Euro im Falle seines Todes, die zur Mitfinanzierung der Bestattung bei vielen Mitarbeitern fest eingeplant war. „Das Ganze ist eine Art Spendensammlung mit dem Ziel, Betroffenen unkompliziert und schnell helfen zu können“ – so erklärt Sternemann das Konstrukt.
„Einzahlungen reine Spendensammlungen“
Der Mitarbeiter, der sich über seinen Sohn jetzt an unsere Redaktion wandte, will nicht namentlich in Erscheinung treten: „Ich weiß nicht, was dann aus meiner Werksrente wird“, sagt der Rentner. Er hat Angst. Man wisse ja nie, was der Konzern tue. Der sagt im Namen des Betriebsratsvorsitzenden Sternemann, der erst im April 2018 das Amt übernahm, dass „die Einzahlungen reine Spendensammlungen darstellten und Rechtsansprüche auf bestimmte Leistungen (...) ausgeschlossen sind“. Und: „Wir bedauern die Beendigung, sehen jedoch keine Möglichkeit, die Sterbefallselbsthilfe fortführen zu können.“
Der Ex-Mitarbeiter kann das nicht verstehen. Sein Sohn auch nicht. „Mein Vater hat zwischen den Kesseln bei Rütgers geschweißt, kam ölverschmiert und verschwitzt nach Hause. Er wurde regelmäßig auf Pechwarzen und Krebs untersucht, hatte einen schweren Unfall, trug eine Schwerhörigkeit davon.“ Sprich: Er machte sich sein ganzes Arbeitsleben rund und buckelig für die Firma. Und jetzt so ein Schreiben?
Annekatrin Sonn, Sprecherin für das Mutter-Unternehmen Rain Carbon Inc., erklärte auf Anfrage des „Stadtanzeigers“, dem sich mehrere Mitarbeiter offenbarten, als sie den Brief Ende Februar bekamen: „Die sogenannte Sterbefallkasse ist nicht von Rain Carbon Inc. angeregt und betreut worden.“ Mehr nicht. Und der Betriebsrats-Chef? Der nahm Anfang dieser Woche erstmals Stellung.
Problem: Immer mehr „Anspruchsnehmer“
Am Dienstagnachmittag sagte Sternemann gegenüber unserer Redaktion: „Moralisch ist das wirklich ein schwieriger Fall. Ich selbst habe auch mehr als 40 Jahre eingezahlt. Aber ich habe es monatelang rechtlich prüfen lassen, wie wir vorgehen.“ Seit seinem Amtsantritt im April praktisch, weil er da auch namentlich das Konto hätte übernehmen müssen. „Es keine andere geeignete Lösung.“ Das Problem sei die heutige Konstellation von immer mehr geltend gemachten Ansprüchen bei immer geringer werdenden Mitarbeiterzahlen. 2500 Einzahler habe man zuletzt gehabt. Aber bei Auszahlungen im Todesfall inzwischen mehrere Monate Verzug und Wartezeit. „Eine finanzielle Erholung des Kontos ist nicht möglich“, so Sternemann.
Das Konto, so Sternemann, sei gesperrt. Es wird dem Amtsgericht übergeben. Einzahlungen gebe es nicht mehr, aber Auszahlungen auch nicht. Auskünfte zur rechtlichen Situation könne der Betriebsrat aufgrund der verzwickten Lage nicht selbst erteilen. Aber man habe eine Hotline eingerichtet, „damit wir den Leuten erklären können, warum und weshalb“, so Sternemann.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
