Etwa 1500 Menschen stehen am 18. Januar 2024 auf dem Forumsplatz in Castrop-Rauxel. Es ist kalt, früh dunkel und trotzdem sind sie gekommen. Viele haben Plakate dabei, die Stimmung ist gut. Sie haben sich einer Protestwelle angeschlossen, die im Januar durch Deutschland rollte – Proteste gegen „Rechts“. Das Motto am 18. Januar in Castrop-Rauxel: „Laut Sein – Jetzt, Gemeinsam gegen Rechts“.
Einigen stößt dieser Titel ziemlich sauer auf. Zum Beispiel Thomas Schmidt von der UBP (Unabhängige Bürger-Partei). Seine Partei hat im Januar als einzige im Rat nicht zur Teilnahme an der Demo aufgerufen. Er ist aber nicht allein. Auch in den sozialen Medien wunderten sich Leute: Ist „Rechts“ denn immer schlecht?
Thomas Schmidt erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Nazis, Rechts, populistisch: Das wird mittlerweile alles in einen Topf geschmissen.“ Schmidt, der sich selbst als liberal bezeichnet, störe, dass „rechts immer gleich als schlecht gilt und links als gut“. Das aber sei nicht demokratisch.
Diese Woche stand im Castrop-Rauxeler Stadtrat eine Frageliste der UBP auf der Tagesordnung, die sich mit der Kritik auseinandersetzte. Thomas Schmidt hätte sich am 18. Januar lieber einen Titel wie „Pro Demokratie, Pro Toleranz oder Pro Vielfalt“ gewünscht, meint er. Er begründete das noch ausführlich vom Rednerpult. Doch Schmidt erregte mit seinen Relativierungen und Fragen zu zwei anderen Tagesordnungspunkten, in denen es um einen Antrag zum Beitritt zur „Europäischen Städte-Koalition gegen Rassismus“ ging und um einen Antrag zur Demokratieförderung nur Kopfschütteln und Ärger bei den anderen Ratsmitgliedern.
Intention bei Demo klargemacht
Auch Carsten Papp (CDU) sagt, der finde den Namen der Demo „natürlich ungünstig“. Grundsätzlich hätte er eine Demo gegen „Rechtsextremismus“ besser gefunden. „Da hätte man sich im Vorfeld Gedanken drüber machen können. Rechtskonservativ ist zum Beispiel nicht rechtsextrem“, sagt er. Aber auch wenn er die Wahl des Namens ungünstig finde: So weit wie die UBP wolle er auf keinen Fall gehen. „Ich sehe da kein Problem. Bei der Demo an sich wurde klargemacht, worum es ging – ganz klar gegen Rechtsextremismus.“

Ähnlich wie die CDU sieht es die Castrop-Rauxeler FDP. Die Grünen haben hingegen gar kein Verständnis für die Haltung der UBP. Co-Fraktionsvorsitzender Timo Eismann griff auf Nachfrage unserer Redaktion scharf an: „Die UBP bedient sich derselben Taktik wie die AfD und begibt sich in die Opferrolle. Sie behauptet, zum Opfer eines vermeintlichen ‚links-grünen Mainstreams‘ zu werden.“ Diese Masche warf auch Bürgermeister Rajko Kravanja im Rat am Donnerstag Thomas Schmidt vor. Er finde das unerträglich, so der Sitzungsleiter.
Die Intention der Demo sei für alle klar gewesen. Eismann weiter zu unserer Anfrage: „Scheinbar fühlen sich die Partei und ihr Rats-Fraktionsvorsitzender Herr Schmidt von der auf der Demo geäußerten Kritik angesprochen – das sagt mehr über sie aus, als über die Teilnehmenden der Demonstration.“
Keine linke Kampfveranstaltung
Die SPD schließt sich inhaltlich dem grünen Koalitionspartner an. Co-Stadtverbandsvorsitzende Lisa Kapteinat erklärt auf Anfrage: „Das [die Anfrage im Rat, anm. d. Red.] sagt doch mehr über die Fragestellenden aus als über die Stadtverwaltung.“
Rechts sei mitnichten gleich schlecht, betont Kapteinat: „Ich identifiziere mich eher als Mitte-links, doch zum demokratischen Spektrum gehören auch rechts-konservative Parteien.“ Zum Namen der Demo steht sie aber weiter: „Gerade in Castrop-Rauxel war das keine linke Kampfveranstaltung. Es gab allein drei Redebeiträge von der evangelischen Kirche.“

SPD-Bürgermeister Rajko Kravanja wird von der UBP besonders heftig kritisiert. Als Bürgermeister unterliegt er dem Neutralitätsgebot. Er darf sich in dieser Funktion nicht eindeutig gegen eine Partei oder Organisation aussprechen. Thomas Schmidt wirft Kravanja vor, mit der Demo aber genau das getan zu haben.
Diese Vorwürfe gibt es nicht nur gegen Kravanja, sondern auch gegen den Selmer Bürgermeister Thomas Orlowski oder Dirk Wigant aus Unna. Rechtlich ist die Einordnung schwierig, wahrscheinlich werden sich Gerichte in ganz Deutschland noch mit dem Thema befassen müssen.
Botschaft sei wichtiger
Rajko Kravanja steht aber zu seinem Aufruf und zu seiner Teilnahme an der Demo: „Ich finde, es ist meine ausdrückliche Aufgabe, sowas zu begleiten.“ Der Titel zur Demo „Laut Sein – Jetzt, gemeinsam gegen Rechts“ sei von den bundesweiten Demos inspiriert worden. „Es war kein Sieben-Stunden-Brainstorming“, erklärt Kravanja. Für ihn ist die Kritik der UBP lediglich ein Ablenkungsmanöver: „Das sind semantische, aber keine politischen Debatten.“ Viel wichtiger sei die Botschaft, die hinter der Demo stehe.
Die UBP fragte auch, ob und welche Mittel des Bürgermeisters für die Demo genutzt wurden. Rajko Kravanja gibt sich selbstbewusst: „Natürlich sind da Kräfte der Stadt hineingeflossen. Von der Bühne bis zu den Menschen, die vorher die Pressemitteilungen und Share-Pics geschrieben haben.“ Das sind die Bilder und Beiträge, die bei Facebook und Instagram veröffentlicht wurden.
Kravanja erinnert noch mal an den Hintergrund der Demo, die Deportations-Fantasien von Rechtsextremen, die von Correctiv aufgedeckt wurden. Sich gegen solche Dinge einzusetzen, sei „die ureigenste Aufgabe einer Stadt. Wer das anders sieht, kann gerne einen Antrag schreiben“. Und das „gerne“ ist dabei eher ironisch zu verstehen: Mit seinen Wortbeiträgen im Stadtrat löste UBP-Ratsherr Schmidt Donnerstagabend vor allem Wut aus.
Und die Wissenschaft?
Die Wissenschaft hat sich mit dem Konflikt gedanklich auch schon beschäftigt. Prof. Dr. Dierk Borstel ist Politikwissenschaftler und Extremismusforscher an der FH Dortmund. Die Kritik der UBP kann er – ähnlich wie die CDU – im Kern verstehen: „Ich störe mich selbst an der Begriffsunschärfe und würde lieber die Demokratie in den Mittelpunkt stellen oder klar von Rechtsextremismus sprechen.“ Es gebe einen entscheidenden Unterschied zwischen rechts und rechtsextrem. Rechtsextremismus widerspricht dem Grundgesetz.

Dierk Borstel: „Es gibt Positionen, die viele als rechts einordnen würden, die das Grundgesetz umfasst. Das kann man richtig oder falsch finden, aber die umfasst das Grundgesetz auch.“ Deswegen könne er verstehen, „dass sich Menschen nicht angesprochen fühlen, wenn gegen rechts demonstriert wird“. Angemessen sei die Anfrage der UBP deswegen aber noch nicht: „Ob man wegen so was ein ganz großes Tamtam machen muss, weiß ich nicht. Das steht dann auf einem anderen Blatt.“
Rein in die Opferrolle
Sehr kritisch bewertet der Politikwissenschaftler die These „links ist gut, rechts ist böse“. Dierk Borstel: „Das halte ich für ein strategisches Scheinargument.“ Mit ihrer These sei die UBP nicht allein: „Die neue Rechte – eine intellektuelle Rechte – ist es, die genau dieses Framing betreibt: dass es nicht erlaubt sei, rechts zu sein.“ Der Wirklichkeit entspreche das aber nicht: „Dieses Framing, dass rechts immer böse und links gut sei, spiegelt sich aber auf Schulhöfen, im sozialen Miteinander, in der Presse, in der Arbeitswelt nicht wider.“
Die Intention von solchen Thesen sei keine inhaltliche Debatte, wie Dierk Borstel beschreibt: „Ich halte das für ein Scheinargument, mit dem man sich in eine Opferrolle begibt. Ähnliche Versuche können wir auch bei der AfD beobachten.“ Im Ratssaal am Donnerstagabend wurden diese Parallelen zwischen UBP und AfD auch gezogen. Die AfD wurde dabei aber nicht benannt.
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Dieser Text erschien zuerst am 28.2.2024. Wir haben ihn nach der Ratssitzung am 29.2. leicht überarbeitet.