412 Euro pro Monat streicht ein Ratsmitglied ein. Auch dann, wenn es nie zu Sitzungen erscheint. So entstehen der Stadt Kosten von im Jahr rund 350.000 Euro.

© Tobias Weckenbrock

Castrop-Rauxeler Politiker fehlen bei Sitzungen – bekommen aber ihr Geld

rnKommunalpolitik

In jeder Sitzung geht eine Anwesenheitsliste herum. Und doch ist es für die Vergütung von Kommunalpolitikern gar nicht relevant: Wer nicht kommt, bekommt trotzdem eine Aufwandsentschädigung.

Castrop-Rauxel

, 01.12.2021, 14:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Grüne Ratspolitikern Notburga Henke aus Rauxel kommt wohl nicht wieder in Ausschüsse oder den Stadtrat, so lange es 3G-, 2G- oder sonstige beschränkende Regeln gibt. Ihre Politik-Kollegen forderten sie nun sogar in einer Resolution dazu auf, ihr Mandat niederzulegen, nachdem die Grünen sie aus ihrer Fraktion geworfen haben.

Das ficht Henke nicht an: Zuletzt ließ sie sich vertreten, kündigte aber an, ihr Mandat zu behalten. Ein anderes Beispiel für in Sitzungen säumige Mitglieder sind die beiden Ratsherren der UBP: Sie bekommen wie alle anderen Kommunalpolitiker eine Aufwandsentschädigung für diese (ehrenamtliche) Arbeit.

Jetzt lesen

Aufwand ist groß, wenn man es richtig macht

Die ist, macht man sie richtig, auch mit großem Aufwand verbunden: Es gibt Fraktionssitzungen, es gibt allerhand zum Teil dröge Verwaltungspapiere, mit denen man sich auf Sitzungen vorbereiten sollte. Man sollte sie hinterfragen, darüber nachdenken, mit Bürgern ins Gespräch kommen, diskutieren, nah dran sein an den Themen. Man sollte sie am besten selbst kennen oder in Augenschein nehmen, wenn es um ortsgebundene Fragen geht oder sich gar bei Betroffenen kundig machen. Denn diese vertritt ein Politiker schließlich.

Aber was ist, wenn man all das nicht macht und auch den Debatten fern bleibt? Die Stadtverwaltung bestätigt unsere Vermutung: Ja, dann bekommt man sein Geld weiter gezahlt, heißt es auf Anfrage. Ein einfaches Ratsmitglied kommt auf 5000 Euro im Jahr. Ein Fraktions- und Ausschuss-Vorsitzender, mit zusätzlichen Aufgaben betraut, auf 10.000 Euro.

Stadt verweist auf hohen Koordinationsaufwand

Wir fragen die Stadt anders: Ab welchem Zeitpunkt werden die Aufwandsentschädigungen eingestellt – bei wiederholtem Fehlen? Bei Aufgabe des Ausschussvorsitzes? Beim Ausscheiden aus einer Fraktion? „Hierzu müsste man das Entschädigungssystem umstellen, was aber einen hohen Koordinationsaufwand darstellen würde“, ist aus dem Bereich Ratsangelegenheiten zu hören. Also: Die Zahlungen werden nicht eingestellt, sondern laufen einfach weiter. Am Jahresende kommen so für alle Sitzungen der Stadt mit allen Spezialämtern für alle Mandatsträger rund 350.000 Euro zusammen.

Jetzt lesen

In der Vergangenheit habe es zu einem geänderten Entschädigungssystem keine Veranlassung gegeben, sagt die Stadtverwaltung. Heißt: Man ist zufrieden mit der Beteiligung der Politiker an den Sitzungen und den zu entscheidenden Vorgängen. Aber: „Vorbehaltlich der politischen Meinungsbildung in den Fraktionen, schließt die Verwaltung nicht aus, dies dem Rat vorzulegen.“ Sprich: Eine Änderung sei also auch nicht ausgeschlossen.

Henke: „Mandat rechtmäßig erworben“

Wir fragen weiter: Kann ein Ratsmitglied ohne Teilnahme an auch nur einer Sitzung trotzdem die pauschale Aufwandsentschädigung einstreichen? „Ja“, antwortet Nicole Fulgenzi, Sprecherin der Verwaltung. Wir fragen weiter: Kann ein Ratsmitglied freiwillig auf die Aufwandsentschädigung verzichten? „Nein. Die Möglichkeit zu Spenden bleibt aber jedem immer unbenommen.“

Jetzt lesen

Ob Ratsleute, die in Sitzungen fehlen, ihr „Honorar“ spenden, ist unserer Redaktion nicht bekannt. Notburga Henke, die wir Montagnachmittag (29.11.) am Telefon erreichten, antwortete auf die Frage nach einer möglichen Rückgabe ihres Mandates: „Ich habe das Ratsmandat und ich habe es rechtmäßig erworben.“ Und zur Vergütungs-Frage, ob sie also die Aufwandsentschädigung spende: „Ich kann an den Sitzungen nicht teilnehmen, weil es mir untersagt worden ist.“ Mehr wolle sie dazu nicht sagen.

Oliver Lind übrigens, der zuletzt auch manchmal fehlte, erklärte auf Anfrage: „Meine Funktion im B3 ist ja mehr als das Vorlesen der Tagesordnung. Ich bereite die Sitzungen intensiv in der Fraktion mit vor.“ Und in die Zukunft geblickt: „Ich möchte meine Termine im B3 und im Rat schon wahrnehmen, aber ich war zuletzt einfach krank.“ Seit kurzem ist er Kämmerer der Stadt Herten. Sein Mandat im Rat will er behalten.

UBP begründet das Fehlen ausführlich

Die UBP äußerte sich Mittwochnachmittag. Thomas Schmidt begründete das Fernbleiben mit nur drei bis vier aktiven UBP-Mitgliedern, „die sich dann auch in die Öffentlichkeit trauen“. Die Zahl sei zurück gegangen, weil die einst Aktiven durch andere in Misskredit gebracht worden seien und nur noch „stille Unterstützer“ seien. Berufliche und familiäre Verpflichtungen und die besondere Forderung durch die Pandemie in beiden Bereichen hätten Schmidt und den Kollegen Demis Theodorakis zuletzt viel Kraft und Zeit gekostet.

„Darüber hinaus verstehen wir unseren Auftrag als Ratsmitglied auch nicht darin, durch reine körperliche Anwesenheit in möglichst vielen Sitzungen zu glänzen, sondern an der politischen Willensbildung teilzunehmen“, so Schmidt. Man verfolge die (sozialen) Medien, arbeite Unterlagen durch, informiere Bürger und halte Fraktionssitzungen ab bzw. tausche sich fast täglich untereinander aus. „Da leisten wir sicherlich nicht weniger als diverse ‚Hinterbänkler‘ in den größeren Fraktionen.“ Eine Aufwandsentschädigung sei kein Gehalt, das an gewisse Leistungen geknüpft wäre, so Schmidt. Und: „Was für einen Sinn haben unsere Wortbeiträge, wenn Sie bei den anderen Fraktionen auf taube Ohren stoßen?“