Der Raum ist klein und wie eine Art Kindergarten eingerichtet. Auf kleinen Stühlen sitzen heute 17 Kinder. Aus einer Musikbox spielt das Lied „Grün, grün, grün sind alle meine Kleider“. Einige Kinder singen mit, andere summen eher die Melodie, aber alle passen auf und klatschen im Takt. Vorne – zusammen mit Betreuerin Aisha Abdulleh – tanzen immer die Kinder, die gerade die besungene Farbe anhaben. Bei „bunt, bunt, bunt ist alles, was ich hab“ winkt sie auch unsere Reporterin im gemusterten Oberteil nach vorne und zusammen tanzen alle die letzte Strophe.
Es wirkt wie eine Szene aus einer ganz normalen Kita, doch das Bild zerfällt, sobald man durch die Tür nach draußen geht. Vor der Tür ist kein Garten oder ein Flur in einem Kindergarten, sondern Schotter und Asphalt. Große weiße Hallen stehen geordnet nebeneinander, es ist heiß an diesem Tag. Über allem liegt das ständige Brummen der Belüftung, die versucht gegen die Hitze die Zelthallen zu kühlen. Die „Kinderbetreuung“ ist ein provisorischer Container, der in der Notunterkunft Castrop-Rauxel steht.
806 Bewohner im Mai
Eine bunte Truppe aus Ratsvertretern, Presse und Landesregierung ist heute zu Besuch in der Notunterkunft. Bürgermeister Rajko Kravanja und Regierungspräsident Andreas Bothe haben eingeladen. Die Notunterkunft wurde nämlich aufgerüstet. Fünf neue Container sollen mehr Platz für Freizeit schaffen: die Kinderbetreuung, ein Jugendraum, ein Café für Männer, eines für Frauen und ein Klassenzimmer. Vor dem Ausbau gab es nur einen Raum für Freizeit, den sich alle Menschen teilen mussten. 806 Bewohner hat die Notunterkunft Mitte Mai, theoretisch haben hier 1020 Menschen Platz. Familien bleiben hier maximal sechs Monate, Alleinreisende zwei Jahre, dann werden sie weiterverteilt. Die Hallen in Castrop-Rauxel sind nur ein Drehkreuz. Wer hier ist, der wartet darauf, wie es weitergeht, mit dem Traum vom Leben in Deutschland.

Deswegen gab es hier früher auch nicht viel Freizeitangebote. Aus der Stadt und der Lokalpolitik gab es daran aber massive Kritik. Die fünf Container sind ein Entgegenkommen. Überall in der Ankunft hängen die Zeitpläne: Wann kann man wo was machen? Auf Türkisch, Arabisch, Englisch, Deutsch. Jeden Tag gibt es mehrere Deutschkurse, außer am Sonntag. Nach der ersten Vorstellung der Neuerungen macht sich der Tross auf zu einem Rundgang. Rajko Kravanja verabschiedet sich zu einem anderen Termin.
Steife Gespräche
Unsere Gruppe fühlt sich in der Unterkunft wie ein Fremdkörper. So richtig wollen die Besucher in Anzug und Hemd nicht an diesen Ort passen. Vor den Zelten sitzen viele Bewohner und schauen neugierig, wer da ist. Kinder spielen im Staub rund um die Hallen. Andreas Bothe wirkt ein wenig steif im Gespräch mit den Bewohnern. Fast immer stellt er die gleichen zwei Fragen: „Wo kommen Sie her?“ und „Sprechen Sie schon Deutsch?“ Freundlich, aber ein wenig ungelenk.
Der Großteil der Menschen ist aus Syrien geflüchtet, die zweitgrößte Gruppe sind Türken, danach kommen Afghanen, Iraker und Iraner. Einige sprechen schon ziemlich gut Deutsch, können sagen, wie alt sie sind, was sie in ihrem Herkunftsland gearbeitet haben. Wer in der Unterkunft lebt, darf nicht arbeiten. Die Menschen hier warten. Umso wichtiger war es vielen, dass es mehr Angebote für alle diese freie Zeit gibt.
Angebote sind beliebt
Die werden dann auch gut angenommen, meint der Betreuungsleiter des Deutschen Roten Kreuzes: „Die Menschen kommen immer wieder, die haben Spaß.“ Im Frauencafé gibt es neben Kaffeestunden und kreativem Schreiben auch Zeit fürs Malen. An der Wand hängen die Ergebnisse dieser Stunden.
Ein Gesicht, das ängstlich durch einen Riss blickt; eine geschlossene Tür, aus deren Schlüsselloch Licht fällt; eine Frau, die im weiten Rock auf einer Treppe aus Vögeln nach oben geht. Berührende Bilder, fast schon klischeehaft.

Selim Korkutan von den Grünen hat regelmäßig die Notunterkunft kritisiert. Sind die Container die Lösung, die er sich erhofft hat? Er denkt nach: „Es ist besser geworden, auf jeden Fall. Aber am Ende des Tages ist es nicht so lebenswert, wie man es sich erhofft.“ Er schaut auf die unpersönlich weißen Hallen. Es sei nicht schön, wenn die Menschen „mit der Hoffnung auf ein schönes Deutschland hierherkommen und dann im Endeffekt in solchen Leichtbauhallen ausharren müssen.“
Die Notunterkunft – ein Politikum
Zur Notunterkunft gehört aber auch die andere Seite, die, über die Befürworter und Unterstützer nicht so gerne sprechen. 2023 gab es in Castrop-Rauxel deutlich mehr Ladendiebstähle. Die Polizei erklärte damals, die Tatverdächtigen kommen vermehrt aus der Notunterkunft. Der Aufschrei – gerade bei Facebook – war gewaltig.
Die CDU hat in der Vergangenheit immer wieder kritische Fragen über die Notunterkunft im Rat oder in Ausschüssen gestellt. Stadtverbandsvorsitzender Carsten Papp ist auch bei der Führung. Er ist zufrieden mit den Verbesserungen. Trotzdem sagt er: „Ich glaube, dass es schwierig ist, dass man die Sorgen nehmen kann.“ Gemeint sind die Sorgen der Anwohner, die nicht immer glücklich mit ihren Nachbarn sind.
Das Problem mit den Ladendiebstählen sei mittlerweile fast verschwunden, sagt Einrichtungsleiter Panagiotopoulos. So richtig erklären kann es sich keiner der Verantwortlichen der Unterkunft. Es gab aber Gespräche mit den Bewohnern, es wird mehr aufgeklärt darüber, wie das Leben in ihrer Traumheimat funktioniert. Wie funktioniert das Gesundheitssystem? Wie ist der Arbeitsmarkt aufgebaut?
Eine Heimat auf Zeit
Um die Notunterkunft mehr in die Stadt zu integrieren, gibt es auch die Umfeldmanagerin Frau Mamadalieva. Sie organisiert zum Beispiel ein Freundschaftsspiel zwischen der Unterkunft und Fußballvereinen, es gibt Kochabende zusammen mit Be- und Anwohnern. Seit die Umfeldmanagerin da ist, sei das Verhältnis der Menschen zur Notunterkunft deutlich besser, da sind sich alle einig.
Nach dem Rundgang sitzen die Besucher wieder im alten Freizeitraum an Tischen. Alle sind sich einig: Die Container und das neue Freizeitangebot sind eine wichtige Verbesserung. Dennoch: Von einem schönen Ort zu sprechen, an dem man sich gar gerne aufhält? Das traut sich keiner. Trotz aller Bemühung bleibt die Notunterkunft eine Schleuse, ein Drehkreuz – ein Zuhause auf Zeit.