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Notburga Henke im Interview: „Nach dem Grundgesetz sind doch alle gleich“
Corona-3G-Eklat
Grünen-Politikerin Henke sorgt mit einem Anwaltsschreiben für Aufregung in Castrop-Rauxel. Sie will ohne Corona-Test-Nachweis politisch debattieren. Aber was treibt sie an? Ein Interview.
Notburga Henke sitzt im Rat der Stadt Castrop-Rauxel, war bis vor kurzem, als sie ihr Amt niederlegte, Vorsitzende des Umweltausschusses. Die Rauxelerin ist zudem im B1 und B3, im Integrationsrat, im Beirat für Kunst und Stadtgestaltung und im Wahlprüfungsausschuss. Viele Mandate, die ihr die Fraktion der Bündnis90-Grünen zugedacht haben.
In der Corona-Pandemie ist sie relativ freigeistlich unterwegs. Nun hat sie über ein Hamburger Anwaltsbüro eine neue Initiative ergriffen, die Politik und Verwaltung in Castrop-Rauxel unter Druck zu setzen. In einem Schreiben mit Datum vom 3.11. fordert sie über einen Rechtsanwalt ultimativ, der Bürgermeister möge ihr Zutritt auch ohne 3G-Nachweis ermöglichen. Aber warum? Wir fragten sie.
Sie gehen anwaltlich gegen den Bürgermeister vor und fordern, ohne 3G-Nachweis an den Sitzungen teilnehmen zu dürfen. Warum?
Da muss ich etwas ausholen. Alles, was ich in den Medien mitbekommen, vergleiche ich. Ich versuche Dinge selbst zu recherchieren. Was die Presse machen müsste, die dazu ja keine Zeit mehr hat, versuche ich selbst zusammenbekommen.
Als der erste Lockdown kam, im März 2020, da fing das für mich an. Als der R-Wert aufgebaut wurde, Infektionszahlen und so weiter, da habe ich mich gefragt: Wie kann man Infektionen eigentlich feststellen? Das ist doch eine schnelle Zunahme von Viren, also millionenfach, das lernt man im Biologieunterricht. Aber wie stellt man das bei einem Schnelltest fest? Das geht doch gar nicht. Wenn man dabei aber irgendwas feststellt, dann sagt man, der oder die ist infektiös, hat sich infiziert oder ist krank. Das kann man aber so nicht – das widerspricht der Biologie.
Bei der WHO habe ich im Januar gelesen, dass bei einem positiven Schnelltest ein PCR-Test folgen soll. Den soll man aber eigentlich nur durchführen, wenn man Symptome hat. Das widerspricht sich doch.
Was wollen Sie denn damit sagen?
Dass das nicht mit dem Grundgesetz zusammenpasst. Wenn ich einen positiven PCR-Test habe, dann muss mich in Isolation begeben. Das ist Gefangenschaft zu Hause, nur beruht das doch auf der falschen Grundlage, wenn man eigentlich gar keinen PCR-Test hätte machen müssen.
Da geht es ja um ein Ansteckungsrisiko, um die Bekämpfung eines hochansteckenden Virus‘…
Ich sage Ihnen aber: Wir haben seit Jahrhunderten darum gekämpft, dass alle Menschen gleich sind. Mit der Weimarer Verfassung 1919 kam endlich das Gleichheitsgebot, Ausnahme war dann nur die NS-Diktatur-Zeit. Im Grundgesetz 1949 war die Gleichheit wieder verankert. Das wird jetzt hier aber langsam aufgedröselt: Nur die Menschen, die sich der 3G-Regel unterziehen, sind gleich. Das Gleichheitsprinzip ist aufgehoben, auch wenn Sie sagen, die Gesundheit geht vor.
Wir haben die 3G-Regel für den Rat laut Erlass im September beim letzten Umweltausschuss. Da wurde festgelegt, dass auch die Leute mit einem politischen Mandat nur unter Einhaltung der 3G-Regeln ihr Amt ausüben dürfen. Dann heißt das also, dass die Menschen ihre Gleichheit verloren haben, weil sie sich Tests unterziehen müssen.
Und wem schadet das? Es hilft doch lediglich dabei, das Infektionsrisiko zu senken und die Ausbreitung der Pandemie zu bremsen.
Ich sage ja nicht, dass ein Test schadet. Es geht darum, dass wir im Grundgesetz verankert haben, dass alle Menschen gleich sind. Ich muss mein Mandat ausüben können, ohne mich unterziehen zu müssen. Es steht weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des Rates, dass es Einschränkungen gibt für die Gleichheit. Nun wird hier aber eingeschränkt. Ich bin gleich, wenn ich mich den Einschränkungen unterziehe. Aber nach dem Grundgesetz sind doch alle gleich.
Würden Sie Ihr Vorgehen als Feldzug für die Freiheit bezeichnen?
Nein. Ich bin nicht im Krieg. Es ist kein Feldzug für die Freiheit. Ich kämpfe nicht gegen irgendwas. Ich gehe auf die Grundlagen zurück, schaue mir das Grundgesetz an und möchte nach diesem Grundgesetz in der BRD leben können. Ich will niemanden bekehren, will nicht Recht haben – denn es gibt bei jedem Menschen unterschiedliche Sichtweisen.
Warum gehen Sie dann diesen Schritt?
Ich hatte mich beim letzten Mal vor der Sitzung ja getestet, habe die politische Entwicklung in dieser Frage aber beobachtet und stelle fest, dass die Regelungen nun immer enger werden: Politiker fordern die 2G-Regel, einige sogar die 1G-Regel – wie weit soll das denn noch gehen? Darum habe ich nun gesagt: Wenn ich jetzt nicht damit nach außen gehe, dass die 3G-Regel nicht dem Grundgesetz entspricht, wie geht es dann weiter?
Was erwarten Sie als Reaktion auf da Ultimatum vom Bürgermeister?
Er, und da schätze ich ihn sehr, fühlt sich als Bürgermeister unserer Stadt. Er wird das tun, was er zum Wohle dieser Stadt tun muss. Und er wird das nicht für mich zurücknehmen. Das ist für mich klar. Ich habe auch mit ihm über dieses Thema gesprochen – sein Verhalten erkenne ich auch an.
Das ist dann aber schon schräg, was Sie sagen.
Nein, das ist nicht schräg. Das ist meine Meinung, und andere haben andere Meinungen. Das akzeptiere ich.
Was machen Sie denn, wenn er es nicht tut?
Wir werden juristische Schritte einleiten.
Das kostet Sie doch eigenes Geld, oder?
Ja, das ist mein privates Geld. Ich habe keine Rechtsschutzversicherung. Aber Verfahren beim Verwaltungsgericht sind von den Kosten her überschaubar.
Wie sind Sie an diesen Anwalt, der aus Hamburg kommt, gekommen?
Ich hatte mich da umgesehen und auch die Rechtsanwaltskammer in Hamm angefragt. Aber auch da ist man offenbar nicht ganz frei: Das sei ja ein politischer Rechtsstreit, hieß es da, da würden nicht alle Anwälte mitmachen. Aber warum ist das ein politischer Streit, wenn es um die Grundrechte und unsere Verfassung geht? Ich habe mich am Ende für diesen Anwalt entschieden, er ist übrig geblieben. Ich habe ihn im Internet gefunden.
Wie ist Frau Schröder in diese Sache mit reingekommen, die ja kein Ratsmandat hat?
Sie wollte am 24. September für den Verein „Rettet die Alte Eiche“ an der Sitzung des Umweltausschusses teilnehmen. Als Vertreterin für Wolfgang Schlabach. Bei dieser Sitzung sollten alle vereidigt werden. Wir kennen uns seit 30, 40 Jahren.
Haben Sie vorher mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über Ihr anwaltliches Vorgehen gesprochen?
Ich habe Bert Wagener (den Fraktionsvorsitzenden, d. Red.) vorher darüber informiert, dass ich einen Rechtsanwalt einschalte, weil ich ihn nicht überfallen wollte mit meinem Schritt.
Befürchten Sie, dass Sie aus der Partei fliegen?
Das muss man dann sehen. Aber ich muss entscheiden, was mir gerade wichtig ist. Und im Moment ist mir die Frage, ob man sein Mandat ausüben darf, wichtiger.
Sind Sie als Grüne denn noch willkommen in Ihrer Partei? Was ist Ihr Gefühl?
Wir als Grüne haben uns darüber intern unterhalten, ja. Ich gehe noch zu den Sitzungen der Partei und Fraktion, am Wochenende fahre ich auch mit zu einer Klausurtagung. Ich fühle mich da nicht ausgegrenzt.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
