Elisabeth Wigger-Düsing berät bei der Verbraucherzentrale zu Strom- und Gas-Fragen. Seit zwei bis drei Monaten kommt sie kaum noch zur Ruhe.

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Mondpreise für Gas und Strom: Warum Sparfüchse nun die Gelackmeierten sind

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Es gibt Menschen, die wechseln ihren Gas- und Stromanbieter jährlich, um immer wieder Spar-Angebote zu bekommen. Für solche Sparfüchse sieht es aktuell böse aus. Der Gasmarkt ist eingebrochen.

Castrop-Rauxel

, 19.12.2021, 17:55 Uhr / Lesedauer: 4 min

Seit Jahren wechselt die Familie ihren Gasanbieter einmal im Jahr. Damit fuhr sie bislang günstig, denn die Anbieter warfen mit Sparangeboten für Wechselwillige nur so um sich. Tarif-Vergleichsrechner-Portale wie Check24, Verivox und andere haben daraus ein Geschäftsmodell gemacht, sammeln viele Kundendaten und sacken zum Teil auch noch Abschlussprämien ein. Dafür erleichtern sie dem Kunden das Wechseln.

Jetzt aber sind die, die seit Jahren sparen, weil sie Lockangebote fürs erste Vertragsjahr ausnutzen, die Gelackmeierten. Sie zahlen zum Teil gerade mehr, als sie in den vergangenen Jahren einsparen konnten. Die Familie landete nun im Grundversorgungstarif des Pflichtanbieters, weil niemand anders sie mehr will. Die Verbraucherzentrale Castrop-Rauxel bestätigt das Problem, Recherchen unserer Redaktion ergaben: Viele Menschen sind betroffen.

Patrick Rahner ist einer von diesen vielen. Er sagt, er sei gar kein Dauer-Wechsler, zog vor knapp fünf Jahren nach Castrop-Rauxel und wählte den für sich günstigsten Anbieter bei Strom, Gas und Wasser aus. Bei Grünwelt wurde er fündig: 3,99 Cent pro Kilowattstunde Erdgas. Bei diesem Preis blieb es nicht, zuletzt zahlte er 7,07 Cent, also fast das doppelte, in Summe einen monatlichen Abschlag von 150 Euro. Im November sollte er plötzlich 17,99 Cent zahlen. „Das hätte meinen Abschlag grob auf 380 Euro erhöht“, so Rahner. Im Monat wohlgemerkt.

Grünwelt: „Sehr merkwürdig“

Doch es kam anders: Grünwelt kündigte alle Verträge. Fristlos und zum Teil erst nach der Einstellung der Lieferungen. Patrick Rahner wurde am 8.12. informiert, dass er ab 2.12. sein Gas vom Grundversorger bekomme. „Ich soll für Gas bezahlen bei irgendwem zu einem unbekannten Kurs, weil sich ein Vertragspartner aus seiner Verantwortung ziehen möchte?“, fragt sich Rahner. Sein Urteil: „Sehr merkwürdig“, überhaupt nicht gemäß seinem Rechtsempfinden.

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Anderer kursierender Name in der Branche: gas.de. „Aufgrund der historisch einmaligen Preisentwicklung im Erdgasmarkt“, heißt es auf dessen Website, „sahen wir uns zu unserem ausdrücklichen Bedauern gezwungen, alle Erdgaslieferverträge mit Ablauf des 2.12.2021 zu beenden. Ab dem 3.12.2021 übernimmt der örtliche Ersatzversorger automatisch und ohne Unterbrechung Ihre Gasversorgung.“ Die Marken Grünwelt und gas.de haben dieselbe Unternehmensadresse in Kaarst. Sie lassen all ihre Kunden ins Sicherheitsnetz Grundversorgung fallen.

„Kunden nicht einmal selbst informiert“

Die Verbraucherzentrale in Castrop-Rauxel bestätigt: „gas.de hat vielen Kunden nicht einmal selbst richtig mitgeteilt, dass es sie nicht mehr beliefert“, sagt Elisabeth Wigger-Düsing, Beraterin für Strom- und Gasfragen. „Die Kunden haben das zum Teil nur über den Netzbetreiber mitgeteilt bekommen.“

Generell sei seit September der Markt sehr aufgeregt, sogar der Bilanz-Kreislauf gestört: Was Energieversorger am Markt besorgt und eingespeist haben, müsse sich stets die Waage halten mit dem, was zum Endkunden ausgeliefert wird. „Da sind Vertragsverpflichtungen nicht mehr erfüllt worden“, so Wigger-Düsing.

Für die Kunden sei das hart: Sie hatten gute Konditionen bei ihrem Versorger, gerade die Wechselwilligen. Ein System, das auch die Verbrauchzentrale immer wieder mit ihren Empfehlungen unterstützt hat mit dem klaren Ziel, die Marktmacht und das Preisdiktat der großen Versorger zu brechen und dem Endkunden die besseren Tarife zu erschließen. Doch nun sind sie die Gelackmeierten: „Sie müssen sich etwas Neues suchen zu einer Zeit, in der es keine guten Angebote gibt.“

Grundversorger der günstigste Anbieter?

Die großen Vergleichsportale sind zwar nach wie vor geschaltet und spucken dem Anwender auch Ergebnisse aus. So sei nach Recherchen von Patrick Rahner sein günstigster Anbieter aktuell der Grundversorger Eon mit 190 Euro monatlich. Das aber wären auch 50 Euro mehr als zuvor. „Danach folgen mehrere Anbieter im Bereich von 235 Euro“, so Rahner.

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Einige Anbieter stellen ihre Angebote gar nicht mehr online ein. Die Stadtwerke Castrop-Rauxel, die im Internet darauf hinweisen, bei Interesse eines Neuabschlusses möge man sich direkt melden, sind nur eines von vielen Beispielen: „Sie können dann genau eruieren, welche Preise sie dem Kunden wirklich machen können“, sagt die Beraterin der VZ. Denn: „Es gibt eine Achterbahnfahrt bei den Preisen im Einkauf.“

Gaskunden, die vor nicht einmal einem Jahr noch 4 bis 6 Cent pro Kilowattstunde zahlten, liegen jetzt laut Verbraucherzentrale bei Preisen um die 13 Cent. Das macht bei einem Jahresverbrauch von 10.000 Kilowattstunden (Vergleichsbörsen und Anbieter gehen online mit einem Standardverbrauch von 18.000 kWh ins Rennen) statt 400 bis 600 Euro im Jahr nun 1300 Euro. „Man kommt zurzeit kaum unter 11 Cent“, sagt Verbraucher-Beraterin Wigger-Düsing.

„Wir raten: Nicht auf das verlassen, was bis vor kurzem galt“
Elisabeth Wigger-Düsing

Wer durch Kündigung beim Grundversorger landet, wird in Castrop-Rauxel von Eon beliefert. Im Grundversorgungstarif zahlt man zurzeit 8,66 Cent/kWh. Bei Abschluss eines Jahresvertrags 12,86 Cent. Auch das ist eine Verkehrung der Umstände: Der Grundversorgungstarif ist günstiger als der Laufzeitenvertrag. „Bislang galt der als sehr teuer, im Moment hat sich das verkehrt“, so Wigger-Düsing. Der Dortmunder Versorger DEW21 habe inzwischen zwei Grundversorgungstarife: einen für Neukunden, einen für Bestandskunden.

Was aber soll man nun tun? „Wir raten: Nicht auf das verlassen, was bis vor kurzem galt – suchen Sie sich einen neuen Anbieter oder bleiben Sie im Zweifel erst einmal beim Grundversorger“, sagt Elisabeth Wiggert-Düsing. „Eine billige Lösung gibt es im Moment nicht, aber man kann unter Umständen das Schlimmste verhindern.“

Erst 90, dann 160, dann 225 Euro im Monat?

Maximilian Dietberg war auch Grünwelt-Kunde. „Ich hatte meinen Vertrag da über mehrere Jahre. Meinen Verbrauch gab ich immer etwas höher an, 15.000 kWh pro Jahr. Ich zahlte rund 90 Euro im pro Monat inklusive der Grundgebühr. Am Jahresende gab es dann auch mal paar Euro zurück“, erzählt der Castrop-Rauxeler. „Nun habe ich mich etwas umgeschaut, aber finde keinen Anbieter, der mir etwas unter 160 Euro anbieten kann. Bei Yello oder DEW21 würde ich mehr als 225 Euro zahlen.“

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Stadtwerke-Geschäftsführer Jens Langensiepen sieht da gerade wie ein Gewinner der Gas-Krise aus. Der lokale Anbieter warb in den noch nicht einmal zehn Jahren seines Bestehens noch nie mit den günstigsten Preisen für Strom und Gas, sondern mit dem lokalen Engagement in der Energiewende und der Bodenständigkeit des Unternehmens. Mit unter 9 Cent / kWh Gas liegen die Stadtwerke gerade gut im Preis-Rennen. Sie zeigen das aber nicht offensiv: Online kann man keine Verträge abschließen, in Vergleichsbörsen tauschen die Stadtwerke nicht auf. Wer Interesse hat, soll sich per Telefon oder in der Geschäftsstelle an der Lönsstraße melden.

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