Da, wo auf diesem Bild die Eigentümer-Familien stehen, ist eigentlich ihr Garten. Doch ein Rohr lässt hier das Wasser von den Dächern der Reihenhäuser ab. So war das nicht besprochen, sagen einige der Bewohner.

© Bonau

Familie Bonau und ihr (Alb-)Traum von der Doppelhaushälfte in Castrop-Rauxel

rnMeisenweg

Sie wollten glücklich werden im neuen Zuhause. Aber heute ist vor allem eines aus der Bauphase hängen geblieben: Ärger. Und eine fiese Mulde im Garten. Familien vom Meisenweg in Ickern sind sauer.

Ickern

, 01.04.2022, 19:30 Uhr / Lesedauer: 6 min

Familie Bonau lebte in Bochum. Doch als der heutige Vater eines zweijährigen Sohnes mit seiner Frau diese Projektpläne für den Meisenweg in Ickern entdeckte, da schlugen sie zu. Eine eigene Doppelhaushälfte gleich in der Nähe der Emscher, mit Garten, Kita nebenan und allem, was das Familienherz sonst so braucht – sie entschieden sich für Castrop-Rauxel. Heute, nach viel Ärger und nicht kalkulierten weiteren Kosten, ist die Freude darüber nur noch eines: getrübt.

Im Garten hinter den zwölf Reihen- und Doppelhäusern klafft eine fast einen Meter tiefe Mulde. Als es viel regnete, stand sie voll Wasser. Familien haben Angst um ihre Kleinkinder. Fielen sie herein, wäre das lebensgefährlich, meinen sie.

Am Ende des Gartens steht eine Lärmschutzwand aus Holz, die ihren Zweck der Familie zufolge kaum erfüllt: Sitzt man auf der Terrasse, könne man phasenweise sein eigenes Wort nicht verstehen, weil die Recklinghauser Straße so nah und so laut sei. Lücken im Zaun, nicht nachvollziehbar, findet Familie Bonau, und das seien nur zwei Probleme von vielen. Eine Nachbarin sei in der Bauphase krank geworden wegen des Stresses. „Das Projekt wurde uns als familienfreundlich verkauft. Aber es ist eine Zumutung!“

Die zwölf Reihenhäuser/Doppelhäuser waren zur Zeit dieser Luftaufnahme noch im Bau. Inzwischen wohnen dort Paare und junge Familien gleich nord-östlich der Recklinghauser Straße.

Die zwölf Reihenhäuser/Doppelhäuser waren zur Zeit dieser Luftaufnahme noch im Bau. Inzwischen wohnen dort Paare und junge Familien gleich nord-östlich der Recklinghauser Straße. © RVR 2021

Den Garten wolle man ändern, sagt Familie Bonau im Gespräch mit unserer Redaktion. „Man hat uns beim Kauf nichts von der Vertiefung im Garten erzählt“, so Papa Bonau.

Anfang 2019 unterschrieben Bonaus den Kaufvertrag. Einzug sollte Ende 2019 sein, sagte die Verkäufer-Gesellschaft Ruhrgrund und übergab an den Investor Esta Immobilien. Faktisch zog die Familie im August 2021 ein, mehr als anderthalb Jahre später als geplant – und da war noch nicht alles fertig.

Immer wieder Anträge abgewiesen

Die Esta, betrieben von Geschäftsführer Stefan Völmeke, kaufte das Land, bereitete es auf und sollte als Ansprechpartner für die späteren Eigentümer dienen, als Vermittler für die notwendigen Unterlagen mit den Behörden. „Es wurden immer wieder Anträge abgewiesen vom Bauamt“, klagen Bonaus. Der Bau begann erst im Februar 2020, phasenweise stoppte der Bau monatelang wegen fehlender Nachträge.

„Als sie unser Geld hatten, haben sie immer weniger auf unsere Mails und Anrufe reagiert, Anliegen nicht bearbeitet, einfach ihr Ding durchgezogen“, sagt Mama Bonau über die Esta.

Die Gartenmulde hat sich an manchen Wintertagen beträchtlich mit Wasser gefüllt. Das ist ein gefährlicher Abenteuerspielplatz, im Garten will das niemand haben.

Die Gartenmulde hat sich an manchen Wintertagen beträchtlich mit Wasser gefüllt. Das ist ein gefährlicher Abenteuerspielplatz, im Garten will das niemand haben. © Bonau

Der Angestellte Christopher Seidel war zuständiger Projekt-Koordinator. Wir sprechen in seinem Becklemer Büro mit ihm über die Kritik. Zur Sickermulde sagt er: „Wir haben über eine Rigole, also eine mit Steinen abgedeckte Sickerwasserfläche nachgedacht. Aber die zuständigen Ingenieure sagten, dafür stehe das Grundwasser hier zu nah an der Erdoberfläche an.“

Erst im Laufe des Planungsverfahrens habe die Stadt der Esta mitgeteilt, dass man das Regenwasser von den Dächern hier nicht in die Kanäle abführen dürfe. Darum stehe in zwei der zwölf Kaufverträge nichts davon, nicht so bei den Bonaus.

„Jeder Eigentümer wollte etwas anderes“

Seidel erklärt, als die Hälfte der Mulde ausgegraben gewesen sei, hätten einige Eigentümer einen Gegenvorschlag des EUV-Stadtbetriebs vorgelegt. Der habe eine Drainage vorgesehen, angeschlossen laut Seidel aber mit Rohrleitungen, die das Wasser aus den Fallrohren in 90-Grad-Winkeln ableiten sollten. „Unser Tiefbauer hat gesagt, dass er das so nicht macht – jeder Fachmann weiß, dass diese Winkel nach kurzer Zeit verstopfen.“

Stefan Völmeke ist Geschäftsführer der Esta Immobilien in Becklem. Er arbeitet seit 28 Jahren im Investorengeschäft.

Stefan Völmeke ist Geschäftsführer der Esta Immobilien in Becklem. Er arbeitet seit 28 Jahren im Investorengeschäft. © Tobias Weckenbrock

Der Zimmermann-Meister und Betriebswirt, seit 2018 Teil der Esta, gesteht einen Fehler ein: Er habe viel auf Zuruf vor Ort gearbeitet, zu wenige Dinge schriftlich gemacht. Familie Bonau meint, Seidel halte Zusagen nicht ein, zum Beispiel habe er die Lücken im Schallschutzzaun seit Januar bis heute nicht beseitigt.

Auf offener Straße als Verbrecher bezeichnet

Seidel äußert auf der einen Seite Verständnis für die Eigentümer: „Durch die lange Verzögerung hat sich bei ihnen der Ärger aufgestaut. Aber wir waren echt bemüht. Ich war so oft auf der Baustelle, habe in vielen Dingen unser Entgegenkommen gezeigt. Aber inzwischen wurde ich dort auf offener Straße als Verbrecher bezeichnet“, so Seidel.

„Wir haben irgendwann gesagt: Jetzt ist Ende mit den Sonderwünschen. Drei Familien sind echte Härtefälle, da gibt es nun nur noch eine Kommunikation über Rechtsanwälte. Dann sollen sie halt Klage einreichen. Wir haben alle Verträge ordnungsgemäß erfüllt.“

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Das sehen Bonaus anders und sind damit nicht allein. Nachbarin Christina Schilling zählt noch weitere Details auf: „Die Esta hat mehrfach gesagt, dass Bauanträge innerhalb von sechs Wochen eingereicht würden – das geschah erst sechs Monate später.“ Oder: „Ich habe Kontakt aufgenommen wegen der Strom-, Wasser und Telefonanschlüsse. Aber Esta antwortete nicht. Dann hatte ich die Faxen dicke, habe mich bei den Versorgern selbst schlau gemacht. Ergebnis: Alle drei Versorger warteten auf fehlende Unterlagen, die nicht eingereicht wurden.“ An einer Stelle sei ein Hausanschluss für zwei Wohneinheiten vorgesehen gewesen. Ein Unding, findet Schilling.

Oder: „Einige Bewohner haben jetzt Straßenlaternen in ihrer Einfahrt. Man kann so schwer rein und raus fahren. Das wurde in der Planung irgendwie nicht berücksichtigt. Und die Esta geht nun auf nichts mehr ein, was wir anmerken.“

Im Prospekt zum Verkauf der Reihenhäuser sieht natürlich alles rosig aus. "Den Kindern zuliebe" steht oben drauf.

Im Prospekt zum Verkauf der Reihenhäuser sieht natürlich alles rosig aus. „Den Kindern zuliebe“ steht oben drauf. © Ruhrgrund

Man könne Innenwände so setzen, wie man wolle – das sei alles gar kein Problem, habe es anfangs geheißen. Einfach mit dem Architekten besprechen. „Als wir das getan haben, war es laut Architekt zu spät“, so Schilling. „Und die Esta konnte dann auch nichts mehr machen, haben sie uns gesagt.“

Im Rohbau hätte es für die Trocknung des Estrichs ein Heizprogramm und damit einen Stromanschluss gebraucht. „Das habe ich allein mit der Stadt geklärt, Philipp Röhnert [Leiter der Bauordnung] hat das sofort direkt nach dem Telefonat schriftlich attestiert. Die Esta hat gar nichts gemacht, dabei haben wir doch ein Gesamtpaket gekauft.“

Damit ist auch die viel kritisierte Stadtverwaltung erwähnt: Die sei Teil des Problems, sagen Seidel und Völmeke von der Esta. Es dauere in Castrop-Rauxel so vieles so viel länger als in anderen Städten. Im Bauordnungsamt bekomme man keinen ans Telefon. Und bei fehlenden Unterlagen komme die Nachforderung oft erst nach Wochen. Nur Gebührenbescheide, die würde man schnell vorlegen.

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Die Stadt geht einen ungewöhnlichen Schritt: Normalerweise geht sie nicht auf Einzelvorhaben im Detail ein, wenn unsere Redaktion entsprechende Anfragen stellt. Hier reagiert sie anders und listet eine Reihe von Versäumnissen der Esta auf: Baumfällungen im Februar 2018 ohne vorab die Stadtverwaltung zu informieren; eine intensive Beratung zur Abstimmung des Vorhabens mit dem Bebauungsplan. „Dem Investor wurden umfangreiche Befreiungen zugestanden, die für ihn einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil bedeuteten“, so die Stadt.

Stadt listet viele Probleme in der Zusammenarbeit auf

Änderungsbedarf und hohen Beratungsbedarf habe es nach Einreichung der Bauanträge im April 2020 noch gegeben, ehe im Oktober die Genehmigungen erteilt waren. Zwei Nachträge entsprechend Wünschen der Käufer seien binnen zwei Wochen genehmigt worden.

Denn: Mit Baubeginn im März 2020 habe der Investor mit der Bauherrenfunktion die volle Verantwortung den Käufern übertragen. „Das löste hohen Beratungsbedarf der Käufer durch die Stadtverwaltung aus, was die aber nicht immer im gewünschten Umfang leisten konnte“, so Sprecherin Maresa Hilleringmann.

Gleichzeitig habe der Investor von der Genehmigung abweichend gebaut und sich offenbar zu wenig in der Bauüberwachung engagiert: Die Rohbau-Abnahme im Juli 2020 scheiterte. Da die Nachweise und ein Änderungsantrag für eine nachträgliche Legalisierung monatelang ausblieben, musste die Baustelle Ende Januar 2021 stillgelegt werden. „Im intensiven Austausch mit den Käufern haben wir kurzfristig wieder einige Gewerke freigegeben“, so die Stadtverwaltung.

Auch die Fertigstellung im Mai 2021 habe sich aufgrund mangelhafter Unterlagen um viele Monate verzögert. „Die Stadtverwaltung hat über den gesamten Zeitraum das Bauvorhaben mit sehr hohem Einsatz begleitet, um die Käufer nicht im Regen stehen zu lassen. Andere Vorhaben werden mit erheblich weniger Turbulenzen in viel kürzerer Zeit fertig“, so Hilleringmann.

Esta: Nirgendwo so große Probleme wie hier

Die Esta projektiere seit 28 Jahren Supermärkte – Aldi, Rewe, Netto, Trinkgut –, fing einst an mit einem Mehrfamilienhaus in Recklinghausen an und entwickle Schandflecken wie den Beerenkamp in Dorsten zu attraktiven Wohnsiedlungen. In Münster, Marl, Olfen, Waltrop, im Sauerland und bis zum Rhein hin sei man aktiv und erfolgreich – aber nirgendwo habe man so große Probleme wie in Castrop-Rauxel, sagt Stefan Völmeke.

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In Castrop-Rauxel, so sein Eindruck, werde eher verhindert statt ermöglicht. Er könne sich mit seiner Erfahrung aus vielen Jahren, aus 70 Projekten in vielen anderen Kommunen, ein Bild machen. „Wissen Sie, was hier für ein Klima herrscht? Wir sind ja vernetzt mit anderen Investoren, mit Baufirmen und Architekten. Die Lage in Castrop-Rauxel ist eine Katastrophe. Viele machen hier inzwischen gar nichts mehr, weil sie die Nase voll haben.“

Man warte ewig auf Antworten, es werde alles künstlich in die Länge gezogen. Nur Gebührenbescheide, da sei die Stadt sehr schnell. Stattdessen schicke sie oft seitenlange Antworten nach Wochen, statt einfach vorher mal eben anzurufen und die Dinge zu besprechen. Planungssicherheit habe man so keine. „Sie suchen immer was neues, finden immer was, ein einzelner Formfehler in einem Schreiben führt dazu, dass es erst einmal liegen bleibt“, meint Völmeke. „Dabei sorgen wir doch dafür, dass Grundsteuer in die Stadt kommt. Und was machen die?

Stadt räumt Personalmangel ein

Bürgermeister Rajko Kravanja räumt ein, dass nicht immer alles so schnell geht, wie sich Bauherren oder Investoren das wünschen. Die Stadt habe da auch Nachholbedarf. Aber zur Thematik Meisenweg / Esta schüttelt er nur vielsagend den Kopf.

„Das Thema der Bearbeitungszeiten ist der Stadtverwaltung bewusst und wurde schon vielfach erläutert“, meint Stadtsprecherin Maresa Hilleringmann dazu offiziell. Der Personalmangel sei offenkundig, aber nicht allein ein Castrop-Rauxeler Problem. „Stellen sind unbesetzt, für den öffentlichen Dienst ist es nicht einfach, Bauingenieure zu gewinnen“, so Hilleringmann. Kleine Kommunen bezahlen schlechter als große, die öffentliche Hand generell schlechter als die Privatwirtschaft.

Die Stadt Castrop-Rauxel setzte in der Bauordnung eine zusätzliche Personalstelle ein im Telefonservice. Weitere Stellen seien im laufenden Verfahren. Zudem laufe eine externe Organisationsuntersuchung: Wo kann man Prozesse optimieren / digitalisieren? Wie können Verwaltungskräfte Vorarbeiten von Bauingenieuren übernehmen? Welche Prozesse können überbrückend extern vergeben werden?

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Grundsätzlich aber gelte: Mit gut ausgearbeiteten Bauanträgen gebe es wenige Probleme. Sie könnten vergleichsweise schnell bearbeitet werden. „Langwierig ist vor allem der Umgang mit unvollständigen Anträgen“, so Hilleringmann. Und damit wären wir wieder am Meisenweg ...

Sechs Familien lassen jetzt die Mulde verschwinden

Dort will man mit alledem am liebsten endlich abschließen und das Leben im neuen Eigenheim genießen. Die zurückliegenden Jahre waren anstrengend genug. Nun, so haben sechs Eigentümer gemeinsam beschlossen, soll die gefährliche und unschöne Mulde bei ihnen verschwinden. Das Ausbaggern und Abfahren, so Stefan Völmeke, habe die Esta allein 40.000 Euro gekostet. Jetzt kostet es die Eigentümer je Familie 6000 Euro, sie wieder zuzuschütten und eine Rigole daraus machen zu lassen. Ein Garten- und Landschaftsbauer ist eingeschaltet.

Bleibt nur noch der Ärger mit dem undichten Schallschutzzaun...