
Benjamin Sowade (links) will seinen Zuschauern Geschichte näher bringen. © Lydia Heuser
Im Luftschutzbunker: Castrop-Rauxeler Benjamin Sowade besucht „verlorene Orte“
Lost-Places
Der Castrop-Rauxeler Benjamin Sowade hat ein ungewöhnliches Hobby. Er besucht alte Industrieanlagen und Bunker und filmt dort. Unsere Autorin hat er zu einer Tour nach Dortmund mitgenommen.
Es gibt Orte, die scheinen aus der Zeit gefallen. Gebäude, die vor Jahrzehnten verlassen wurden, die seitdem scheinbar niemand mehr betreten hat. Oder alte Industrieanlagen, die allmählich verfallen, weil vor Jahren die letzten Arbeiterinnen und Arbeiter dort täglich schufteten.
Der Castrop-Rauxeler Benjamin Sowade (33) ist fasziniert von solchen Orten. Seit gut zwei Jahren nimmt er seine Zuschauer auf Social Media mit in Welten, die zu betreten eigentlich verboten sind. Alte Luftschutzbunker haben es ihm besonders angetan. Wenn ein neuer „aufgemacht“, also entdeckt wird, geht diese Neuigkeit in der Szene der Lost-Places-Sucher gleich rum. Dann wird die „Pin“ geteilt, die Standortkoordinaten des Lost Places nennt.
Benjamin, der auf Social Media unter „Benny’s Lost Places“ bekannt ist, schickt mir solch eine Pin zu. Wir treffen uns irgendwo im Westen von Dortmund, am Rand zu Dortmund-Mitte. Er will mir zeigen, was die Faszination dieses ungewöhnlichen Hobbys ausmacht.
Seine Freundin Aileen und Andre, der unter Rottenplace Urbex Videos und Fotos postet, sind mit dabei. „Lost Place“, das heißt grob übersetzt verlorener Ort. Orte, die an den Rand gedrängt werden, die nicht mehr relevant sind, die nicht mehr als wichtig erachtet werden.
Spezielle Namen für Lost-Places
Die Bunker und anderen verlassenen Gebäude bekommen spezielle Namen in der Szene. Da gibt es zum Beispiel den Gasmasken-Bunker 2.0. „1.0 ist inzwischen verschüttet“, sagt Benjamin Sowade, der im Straßenbau arbeitet. Der Nachfolger von Bunker 1.0 ist über das ehemalige Hoesch-Gelände nahe dem Hauptbahnhof begehbar.
Der Zugang zur abgesperrten Industriebrache ist einfach zu finden. Dass er eigentlich Hausfriedensbruch begeht, wenn er einen Lost Place wie diesen betritt, ist Benjamin Sowade bewusst. Probleme mit der Polizei oder Wachpersonal habe er aber noch nie gehabt.
Außerdem haben er und seine Kollegen Regeln, an die sie sich halten. Türen stemmen die Lost-Places-Sucher grundsätzlich nicht auf. „Da warten wir lieber, bis jemand für uns die Drecksarbeit macht“, sagt Andre, der oft mit Benjamin unterwegs ist. Es seien vor allem Kupferdiebe, die Türen zu alten Industrieanlagen aufbrechen.
Ungefährlich ist das, was Andre, Benjamin und seine Freundin Aileen machen, auf jeden Fall nicht. Aileen (28) hat sich vor einigen Monaten schwer verletzt, bei einer der Touren. Ihr Knöchel sei zertrümmert gewesen. Deshalb hat sie nun ziemlich viel Respekt vor dem steilen Abstieg in den Bunker. Denn, wo einst eine Treppe unter die Erde führte, liegt nun nur noch Geröll.

Fast verschüttet ist der steile Abgang in den Luftschutzbunker auf dem ehemaligen Werksgelände. © Lydia Heuser
„Am besten Handschuhe anziehen“, rät Benjamin. Wir klettern nacheinander den steilen Abstieg hinunter. Benjamin hat mir Gartenhandschuhe gegeben, damit ich mich nicht an den scharfen Steinen und Metallschrott schneide, der überall herumliegt.
Vor dem Eingang, einer mit Rost überzogenen massiven Metalltür, wechseln wir unsere Schuhe. Im Bunker stehen Wasser und Schlamm teilweise knöchelhoch. Das Licht der Taschenlampen macht die Bunker-Räume beinahe taghell.
Wir waten durch zwei große, fensterlose Betonräume, bis wir auf einen kleineren Raum stoßen. Dort im Schlamm liegt der Grund für den Namen des Bunkers – Gasmasken. „Französisches Fabrikat“, nimmt Benny an. Wie die Masken hierhergekommen sind, das weiß der Castrop-Rauxeler nicht.
Nichts mitnehmen, außer die Erinnerung
„Wir fassen nichts an, nehmen nichts mit“, erklärt Benny weitere Regeln, an die sich Besucher von Lost Places halten. „Ich nehme nur meine Erinnerung mit“, sagt er.
Die Erinnerungen, seine Eindrücke und Erlebnisse der Touren will er teilen. Deshalb hat er neben Taschenlampen auch immer Video-Equipment dabei. Im Rucksack befinden sich Stativ und eine Actionkamera. Zwischendurch macht Andre Fotos, um die Tour zu dokumentieren.

Benjamin Sowade war schon mehrfach im Gasmaskenbunker 2.0. © Sowade
Später wird er die Mitschnitte, An- und Abmoderationen zu einem Video zusammenschneiden und hier und da die passende Musik unter die Bilder legen. Im Grunde holen Leute wie Benny, Aileen und Andre die an den Rand gedrängten Orte zurück ins Licht. Sie lassen die Zuschauer in eine Welt eintauchen, die so kaum jemand zu Gesicht bekommt.

Im ersten Raum des Bunkers wachsen Kalkzapfen von der Decke. © Sowade
Sie dokumentieren historische Orte, die bald nicht mehr da sein werden. Der Gasmaskenbunker 2.0 befindet sich auf einem Industriegelände der Firma Hoesch, hier wurde 113 Jahre lang Stahl gewalzt und die Produkte, sogenannte Spundwände, wurden in die ganze Welt verschifft. 2015 war dann Schluss – kurz vor Weihnachten drehten sich die mächtigen Walzen das letzte Mal. Das Werk wurde abgebaut und nach China verschifft.

Ohne die hellen Taschenlampen wäre es stockfinster in der Kaue unterm ehemaligen Stahlwerk. © Lydia Heuser
Das HSP-Gelände soll bald anderweitig genutzt werden. Der Bunker wird dann wohl endgültig aus der Wahrnehmung der Dortmunder verschwinden. „Ich will, dass die Menschen, die hier irgendwann in ihren Wohnungen leben, wissen, was hier früher mal war“, erklärt Benjamin Sowade seinen Ansporn, seine Videos im Netz zu veröffentlichen.
Wir gehen wieder zurück ans Licht. Die Sonne ist gleißend hell, als wir den Schotterberg raufkraxeln. „Das ist wie Urlaub. Hier kann ich von der Arbeit abschalten“, meint Benny.
Geboren und aufgewachsen im Bergischen Land, fürs Studium ins Rheinland gezogen und schließlich das Ruhrgebiet lieben gelernt. Meine ersten journalistischen Schritte ging ich beim Remscheider General-Anzeiger als junge Studentin. Meine Wahlheimat Ruhrgebiet habe ich als freie Mitarbeiterin der WAZ schätzen gelernt. Das Ruhrgebiet erkunde ich am liebsten mit dem Rennrad oder als Reporterin.
