
Yesser Falfoul besitzt mehrere Immobilien an der Langen Straße in Castrop-Rauxel. Er hat mit Vorurteilen zu kämpfen. © Lydia Heuser
Immobilienbesitzer: „Die Lange Straße ist mehr als das Haus Nummer 107“
Immobilien
Sie gilt als abgehängt, als tot. Leerstehende Geschäfte und ein vermeintliches Problemhaus prägen das Image der Langen Straße. Zwei Immobilienbesitzer haben eine andere Sicht auf diesen Ort.
Es gibt sie in jeder Stadt, überall – Straßen, die keinen guten Ruf haben. Ecken, die runtergekommen scheinen, wo es immer weniger Geschäfte gibt, sich Leerstände häufen. In Castrop-Rauxel ist es die Lange Straße in Habinghorst, die einem bei solchen Beschreibungen in den Sinn kommt.
Die Lange Straße ist aber mehr als das Haus Nummer 107, die weißen Transporter und die Leerstände. Die Lange Straße ist quirlig und bunt. Sie ist Treffpunkt und Heimat.
Es ist Mittag und sehr warm. Adil Tamouh (45) sitzt im Eiscafé an der Langen Straße. Gegenüber hatte er vor Jahren ein Sportbekleidungsgeschäft. Er möchte über die Straße sprechen, die in den Augen vieler ein schlechtes Image hat. Er kennt sich hier aus, bezeichnet sich selbst als „Ur-Habinghorster“. Die Probleme ignoriert er nicht, stattdessen packt er an und verändert so das Bild der Straße.
Er macht das im wörtlichen und im übertragenen Sinn. 2013 hat er ein Haus an der Straße gekauft. Es liegt gleich gegenüber des Eiscafés. „Anfangs hatte ich viele Schwierigkeiten“, sagt er. Die Mieter zahlten nicht, zogen von einem auf den anderen Tag aus. „Irgendwann habe ich angefangen, die Mieter auszusuchen.“
Wer jetzt denkt, dass Adil Tamouh auf Verdienstnachweise und Schufa-Auskunft setzt, der irrt. Bei ihm leben Syrer und eine irakische Familie. Angefangen hatte alles mit der Flüchtlingskrise von 2015.
2015: Ein Wendepunkt für die Immobilienbesitzer
Adil Tamouh spricht Arabisch, sein Vater kam 1964 aus Marokko nach Castrop-Rauxel. Bleiben wollte er nicht für immer, aber es kam anders. Doch das ist eine andere Geschichte, eine Geschichte von Stigmatisierung und nie richtig ankommen, sich nie heimisch fühlen.
Vielleicht ist es auch die Geschichte, die Adil Tamouh dazu brachte, den Urlaub am Gardasee 2015 abzusagen und stattdessen den Menschen zu helfen, die mit dem Bus nach Castrop-Rauxel kamen, die kein Wort Deutsch verstanden, Strapazen hinter sich hatten und einfach nur ankommen wollten.
„Da waren diese zwei Frauen mit Kopftuch im Camp. Sie konnten dort nicht vernünftig duschen“, erzählt Adil Tamouh, der im Eiscafé sitzend von vorbeigehenden Passanten gegrüßt wird. Man kennt und schätzt ihn hier. Seit Januar ist er Vorsitzender des Stadtteilvereins Unser Habinghorst. „Die Leute taten einem leid“, sagt er. Er half, Wohnungen zu suchen. Immer dann, wenn in seinem Haus eine Wohnung frei wurde, bot er sie Flüchtlingen an.

Adil Tamouh hat 2013 ein Haus an der Langen Straße gekauft. © Lydia Heuser
Einfach sei es anfangs nicht mit ihnen gewesen. Mülltrennung, Mülltonnendienst, Flur-Reinigung – sowas kannten die meisten nicht. Adil Tamouh übersetzte Artikel des EUV zur Mülltrennung und hängte sie im Hausflur auf. Das reichte aber nicht.
„Die 107 ist kein Problemhaus“
Tamouh nahm sich Zeit. Er erklärte die Abläufe. „Die haben eine andere Mentalität“, sagt er. Es ist kein Vorwurf. Bei Tamouh hört man Verständnis raus. Er hat nicht nur Verständnis für die Mieter in seinem Haus, sondern auch für die in Haus Nummer 107.
Alle sprechen von diesem Haus. Beinahe wirkt es so, als sei die Lange Straße einzig das Haus Nummer 107. Da, wo Chaos herrscht, weiße Lieferwagen parken, sich im Innenhof der Müll türmt. Adil Tamouh hat eine andere Meinung: „Die 107 ist kein Problemhaus.“ Er will nicht über die Bewohner reden, sondern mit ihnen. Zu einigen, sagt er, habe er inzwischen Kontakt.
Für einen anderen Immobilienbesitzer der Langen Straße hat 2015 auch eine besondere Bedeutung. Die Vorurteile, findet er, haben seitdem zugenommen. Yesser Falfoul ist erfolgreicher Geschäftsmann. Mit seinem Porsche fährt er nicht gerne in die Lange Straße. Die Leute würden doch dann eh denken, dass er das Geld illegal verdient hat.

Unter anderem diese zwei Häuser hat Yesser Falfoul ersteigert. © Lydia Heuser
Immerhin besitzt er drei Häuser an der Langen Straße. Vier hat er 2011 ersteigert und sie nach und nach renoviert. Das Haus, wo Möbel & mehr drin ist, gehört ihm. Das, wo heute das Eiscafé drin ist und nebenan der Schreibwarenladen Kasperski war, ist ebenfalls in seinem Besitz.
Er nennt es „Investition“. Eine persönliche Verbindung zu Habinghorst hat er nicht, sein eigentliches Unternehmen Magazin auf EF Handels GmbH und das Lokal Big Babba Burger sind in Oer-Erkenschwick.
Yesser Falfoul (43) hat sich hochgearbeitet, hat Elektriker gelernt, dann seinen Meister in Elektrotechnik gemacht. „2007 hab ich meine erste große Immobilie gekauft“, sagt er. „Dann alle ein, zwei Jahre wieder was gekauft und selbst saniert.“ Das ist sein Vorteil: Er kann alles selbst machen. „Ich habe nie Sanierungsstau“, sagt er.
Hier sieht er das Problem: „Eigentlich ist das hier eine gute Lage, aber die Leute investieren nicht in ihre Immobilien.“ Und dann der Leerstand. Sowohl Tamouh als auch Falfoul haben je ein Ladenlokal leer stehen. „Wenn schon Leute anrufen und fragen, ob sie in dem Laden schlafen können, ist das ein Ausschlusskriterium“, sagt Falfoul.
Auch Tamouh sagt: „Ich habe Angebote, aber ich bin wählerisch.“ Für den ehemaligen Schreibwarenladen jedenfalls hat der 43-Jährige schon Pläne. Das Eiscafé will sich vergrößern. Ein Leerstand weniger an der Langen Straße.
Geboren und aufgewachsen im Bergischen Land, fürs Studium ins Rheinland gezogen und schließlich das Ruhrgebiet lieben gelernt. Meine ersten journalistischen Schritte ging ich beim Remscheider General-Anzeiger als junge Studentin. Meine Wahlheimat Ruhrgebiet habe ich als freie Mitarbeiterin der WAZ schätzen gelernt. Das Ruhrgebiet erkunde ich am liebsten mit dem Rennrad oder als Reporterin.
