Kravanja: Bereiten eigene zentrale Unterkunft für Ukraine-Flüchtlinge vor

© Daniele Giustolisi (Archiv)

Kravanja: Bereiten eigene zentrale Unterkunft für Ukraine-Flüchtlinge vor

rnUkraine-Krieg

Nach Castrop-Rauxel kommen täglich neue Flüchtlinge aus der Ukraine. Was die Stadt tut und was die Menschen tun können, um zu helfen, erklärt Bürgermeister Rajko Kravanja im Interview.

Castrop-Rauxel

, 22.03.2022, 20:00 Uhr

Der Krieg in der Ukraine hat sich längst auf Castrop-Rauxel ausgewirkt. Sei es durch höhere Energiepreise, sei es aber auch durch eine immense Hilfsbereitschaft der Menschen hier – und natürlich durch die Flüchtlinge, die längst auch in Castrop-Rauxel angekommen sind.

Doch wie ist im Moment überhaupt die Lage? Dazu haben wir Castrop-Rauxels Bürgermeister Rajko Kravanja befragt.

Herr Kravanja, am Montag erreichte uns die Nachricht, dass die Bezirksregierung Münster in Castrop-Rauxel eine große Notunterkunft für Ukraine-Flüchtlinge einrichten möchte. Was ist genau geplant?

Die Regierungspräsidentin hat vor zwei Wochen angefragt, ob wir uns vorstellen können, wie 2015 eine Fläche an der B235 zur Verfügung zu stellen. Frau Feller wusste, dass wir dort bauen wollen und damit auch, dass die Fläche noch frei ist. Dort liegen noch viele Leitungen in der Erde. Die Fläche ist im Prinzip seitdem nicht genutzt worden. Die Bezirksregierung hat denjenigen reaktiviert, der die Unterkunft 2015 geplant und gebaut hat. Insofern arbeiten jetzt wieder alle Hand in Hand zusammen, wie 2015.

Trotzdem wird es dauern, bis eine Unterkunft dort tatsächlich in Betrieb genommen werden kann...

Ja, das ist nicht von heute auf morgen zu machen. Es muss zum Beispiel viel bestellt werden. Auch die Bezirksregierung hat keine Zelte irgendwo liegen. Und wir arbeiten parallel daran, die Fläche soweit auf Vordermann zu bringen, dass die Infrastruktur bereit ist, wenn alles kommt.
Wir gucken, ob die Stromleitungen noch funktionieren, ob das Wasser da ist, ob die Abwasserkanäle bereit sind. Auch einen Glasfaseranschluss bereiten wir dort vor.

Dass jetzt überall an solchen Unterkünften gearbeitet wird, zeigt: Man erwartet wirklich noch viel, viel mehr Flüchtlinge, die aus der Ukraine direkt zu uns kommen werden.

Die große Glaskugel hat niemand von uns. Wir können auch nur die aktuelle Lage verfolgen und das mitnehmen, was die übergeordneten Behörden sagen. Wobei es auch die schwer haben. Wir haben eine andere Situation als 2015. Die Menschen, die hier rüber kommen, können sich erst mal drei Monate ganz normal in der Europäischen Union bewegen. Es gibt keine Zuteilungen.
Das ist ein Problem in der Verteilung und Organisation.

Haben Sie den Überblick, wie viele Ukrainer in Castrop-Rauxel privat untergekommen sind und wie viele in städtischen Unterkünften?

Wir können sagen, dass sich 192 Personen bei uns gemeldet haben, davon ist ein Großteil privat untergekommen. Und es sind ungefähr 30 Personen, die in städtischen Unterkünften untergebracht sind, wobei sich das jeden Tag entwickelt.

Wir wissen aber zum Beispiel nicht, wie viele bei Verwandten, Bekannten oder auf anderem Wege in der Stadt untergekommen sind, die sich noch gar nicht bei uns gemeldet haben. Das müssen sie auch nicht, sondern erst dann, wenn sie auch wirklich Hilfeleistung in Anspruch nehmen wollen. Da gibt es eine Dunkelziffer.

Man hört jetzt schon etwa aus Recklinghausen oder Dorsten, dass dort Sporthallen gesperrt werden, um Menschen unterzubringen. Muss man das für Castrop auch erwarten?

Wir bereiten uns sehr konkret darauf vor, dass wir auch eine zentrale Unterkunft in Betrieb nehmen. Das müssen wir, es geht gar nicht anders. Unser oberstes Ziel ist immer, Menschen in Wohnungen unterzubringen. Jeder, der aus einem Kriegsgebiet kommt und traumatisiert ist, will erst mal zur Ruhe kommen. Und das geht eben am besten in den eigenen vier Wänden. Gleichwohl müssen wir darauf vorbereitet sein, wenn wir an die Kapazitätsgrenze kommen.

FOTOSTRECKE
Bildergalerie

So sah die Habinghorster Zeltstadt 2015 aus

2015 und 2016 kamen besonders viele Menschen nach Deutschland. Der Syrien-Krieg, aber auch der Konflikt in Afghanistan trieben Millionen Menschen aus ihren Heimatländern nach Europa. Auch in Castrop-Rauxel kamen damals viele Geflüchtete unter. Zunächst brachte das Land NRW sie in ihren Zentralen Unterbringungs-Einheiten unter (ZUE). Eine war in Habinghorst. Wir zeigen Bilder vom Abbau im Oktober 2016, als sie nicht mehr gebraucht wurde. Nun wird es bald eine neue an selber Stelle für Geflüchtete aus dem Ukraine-Krieg geben.
21.03.2022

Anders als 2015 sind überproportional viele Frauen und Kinder unter den Flüchtlingen. Können Sie etwas zu den Kindern sagen und wie sie hier zum Beispiel zur Schule gehen sollen?

Die Eltern mit Kindern können sich bei den Grundschulen selbstständig melden. Meistens läuft das über die Gastgeber-Familien. Bei den weiterführenden Schulen läuft es über uns. Da ist dann die Frage, in welchem Schulsystem man am besten aufgehoben ist. Das hat etwas mit Vorbildung zu tun und auf welcher Schule die Kinder in der Ukraine waren. Wir haben aber auch Situationen, in denen die Kinder Unterricht per Internet-Konferenzen aus der Ukraine kriegen.

Es gibt auch unbegleitete Kinder. In Castrop-Rauxel ist kommende Woche eine Informationsveranstaltung für Familien geplant, die unbegleitete Kinder aufnehmen könnten...

Andere Städte haben schon eine hohe Zahl an unbegleiteten Minderjährigen. Und insofern brauchen wir da die Unterstützung gerade von Familien, die sich vorstellen können, Kinder bei sich unterzubringen. Dafür allerdings braucht man eine spezielle Schulung und ein gesondertes Gespräch mit uns. Da haben wir höchste Sensibilität.

Wie ist nun eigentlich die rechtliche Situation? 90 Tage lang könnten Ukraine-Flüchtlinge hier leben ohne sich zu melden, aber auch die sind irgendwann um.

Innerhalb der 90 Tage müssen sich die Menschen bei den Behörden melden. Die Menschen brauchen eine Wohnung, Geld fürs Essen und für andere Dinge, Schulbücher, was auch immer. Dann melden sie sich bei der Stadt, in der sie wohnen. Sie bekommen einen Hilfesatz in der Größenordnung von Hartz IV. Und die Miete wird von uns übernommen, so dass das Notwendigste abgedeckt ist.

Jetzt lesen

Und wenn ich jetzt eine Familie bin, die gerne jemanden aufnehmen möchte, müsste ich dann als diese Gastgeber-Familie Kosten tragen? Oder würde die Stadt auch da einspringen?

Wir bezahlen dann anteilig Miete für die Wohnung, in der die Menschen unterkommen. Mittlerweile haben wir sehr viele Hilfeleistungen über verschiedenste Träger zu bieten, so dass keiner Angst haben muss, am Ende mit privatem Geld diejenigen zu unterstützen, die man aufnimmt. Wir sind aber natürlich dankbar für jede Hilfe, die den Menschen, die hier zu uns gekommen sind, dann auch zuteil wird.

Ist es weiterhin möglich zu spenden?

Geldspenden sind weiterhin möglich. Dazu gibt es ja ein städtisches Spendenkonto. Bis letzte Woche waren schon über 36.000 Euro eingegangen, von denen wir schon 15.000 Euro in unsere Partnerstadt Nowa Ruda überwiesen haben.
Ein paar Sachspenden haben wir noch hier und halten sie auch erst einmal zurück, für diejenigen, die zu uns kommen, oder aber für die zentrale Unterbringung an der B235. Aktuell sind die Kleiderkammern noch voll, auch die vom Deutschen Roten Kreuz, der Caritas und anderen, so dass wir keine Spenden benötigen. Wenn das aber der Fall ist, dann würden wir sehr zielgerichtet aufrufen. Das hat beim letzten Mal ja hervorragend geklappt.

Jetzt lesen

Profitieren Sie aktuell von Ihren Erfahrungen aus dem Jahr 2015?

Ja und nein. Zum einen hat man die Gewissheit, man schafft das. Das, was damals als Satz im Raum steht, ist heute Gewissheit. Wir haben das geschafft und man guckt optimistischer und auch selbstbewusster drein. Das kriegen wir auch diesmal wieder hin, mit ganz viel Engagement und unglaublich viel Unterstützung aus der Bevölkerung.
Auf der anderen Seite ist es ein Stück weit neu, weil wir diese Zuteilung von damals nicht haben. Das heißt, die Planbarkeit für uns als Städte ist diesmal nicht gegeben. Das macht es umso schwieriger, wirklich helfen zu können. Aber wie gesagt, unseren Optimismus bremst das nicht. Das ist das Schöne an unserer Stadt: Am Ende des Tages stehen wir alle zusammen, und die Hilfsbereitschaft macht mich einfach stolz.