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Klimazahlen-Chaos: Wem kann man im Kampf gegen den Klimawandel in Castrop-Rauxel trauen?
Statistiken stimmen nicht
Die Klimazahlen, die die Stadt veröffentlicht, widersprechen sich: Wie kommt es, dass zwar die Tendenzen gleich sind, aber die Mengen total abweichen? Welcher Statistik kann man noch trauen?
Das Thema Klimaschutz, Energie- und Verkehrswende - kaum eines hat zurzeit so viel politischen Rückenwind wie dieses. Bei der Europawahl zum Beispiel erreichte der Höhenflug der Grünen wohl vor allem deshalb ganz neue Höhen. In Castrop-Rauxel gruppiert sich um „Fridays for Future“ und den Aktionskreis „Rettet die alte Eiche“ Protest - global gegen die Umweltverschmutzung, aber auch ganz konkret lokal gegen die Fällung eines 250 Jahre alten Baumes.
Die CDU hat zusammen mit der SPD einen Zehn-Punkte-Plan formuliert, mit dem sie die großen Klimaschutz-Herausforderungen für Castrop-Rauxel besser erreichen möchte. Wohl auch symbolisch, um sich auch als Klimaschutz-Partei zu positionieren. Die SPD setzt sich exemplarisch für die Verkehrswende ein: durch bessere Radwege entlang der zentralen Straßen der Stadt zum Beispiel und eine Aufwertung des Busverkehrs.
Linken-Forderung zum Klimanotstand: abgelehnt
Die Linke forderte die Postulierung des Klimanotstandes in Castrop-Rauxel, der im Rat aber von SPD, CDU, FDP und UBP gegen Linke, FWI und Grüne abgelehnt wurde. Die FWI unterstützte viele der Anträge. Sie mischt auch gezielt mit ihren Mini-Eichen-Verteil-Aktionen vor einigen Monaten, mit Unterschriftensammlungen und anderen Dingen im Kampf um die alte Eiche mit.
Sie wolle sich auch an einem Konsortium zum Kauf eines Grundstückes beteiligen, kündigte Fraktionschefin Annette Korte an.
Und bei alldem Bemühen will die Stadt die Klimaschutz-Koordinatorin erhalten, die nun unter dem Dach des EUV arbeitet. Sie will damit Aktionen wie das Stadtradeln oder den KliMarkt, der kürzlich auf dem Altstadtmarkt stattfand, weiter promoten.
Sie soll an Klimaschutzplänen arbeiten und hat damit als Koordinatorin vor allem die Rolle, abteilungs- und bereichsübergreifend zu vermitteln: von Verkehrsplanung übers Grünflächenamt, Immobilienmanagement und Bauamt bis hin zum EUV Stadtbetrieb und Kontakten zur Verbraucherzentrale, zu Innogy und Co., von Kommune zu Kreis- und Landesbehörden.
Ungereimtheiten stören vor allem die Grünen
Dabei tauchen immer wieder Ungereimtheiten auf. Eine ist nun ganz akut den Grünen ein Dorn im Auge: Ratsmitglied Uli Werkle machte darauf aufmerksam, dass die Grafiken, die die Klimaschutz-Koordinatorin ausgibt, vorne und hinten nicht stimmten. Zwei PDFs verwenden demnach ganz unterschiedliche Zahlen in einer ähnlichen Darstellung.
Konkret geht es darum, wie viel CO2 in Castrop-Rauxel ausgestoßen wird. Aufgegliedert ist die Darstellung nach Verkehr, Verwaltung, Gewerbe, Industrie und Haushalten. Die Balkendiagramme weisen beim ersten Blick darauf zwar dieselbe Tendenz aus, aber wer genau hinsieht, erkennt: Die Werte weichen gänzlich von einander ab. Während eine Grafik für das Jahr 2010 auf rund 360.000 Tonnen CO2-Äquivalent kommt, zeigt die andere Grafik, die etwas anders gegliedert ist, 570.000 Tonnen aus.
So erklärt der EUV die Abweichungen
Wie ist so ein Unterschied zu erklären? „Die Bilanzierungen unterscheiden sich in der Tat“, sagt der EUV-Stadtbetrieb auf Anfrage. Dafür gebe es eine Erklärung, die im Bericht zum Aktionsprogramm Klimawandel auf Seite 13 zu finden sei. Sie könne auch im Klimaschutzbericht 2018 nachgelesen werden.
„Ein in den Kommunen viel diskutiertes Thema ist die Tatsache, dass die Bilanzierungen nur schwer über die Jahre miteinander zu vergleichen sind, wenn sich die Datenquellen oder die Berechnungsmethode auch nur im Ansatz verändern“, sagt EUV-Sprecherin Sabine Latterner. Dazu habe es im Umweltausschuss am 2. Februar 2016 schon einen Bericht gegeben.

Protestplakat zum Erhalt der alten Eiche am Donnerstagabend im Ratssaal. © Tobias Weckenbrock
Da sich einige Quellen und zum Teil auch Berechnungsmethoden im Berechnungsprogramm zwischenzeitlich geändert hätten, sei „ein exakter Vergleich für Castrop-Rauxel zwischen den Jahren nicht empfohlen. Ein Vergleich auf Basis unterschiedlicher Datengrundlagen und -ansätze wäre fachlich nicht fundiert.“
Der Regionalverband Ruhr wolle die Datengrundlagen und die Berechnungsmethodiken vereinheitlichen, so der EUV, „sodass die Kommunen einen Vergleich künftig besser vornehmen können“.
So sei auch die große Delle zwischen 2011 und 2012 zu erklären: Da fiel der Wert deutlich. Gut für die Stadt, die Ziele erreichen möchte - aber ist das dann noch glaubhaft? „Zusammenfassend kann man festhalten, dass mit der CO2-Bilanzierung ein Trend dargestellt werden kann“, findet Sabine Latterner, „ein exakter Vergleich zwischen Bilanzierungen und einzelnen Jahren jedoch noch nicht fachlich fundiert möglich ist.“
Viele Anträge und eine Generaldebatte
Fünf verschiedene Anträge zum Klimaschutz standen in der Ratssitzung am Donnerstag auf der Tagesordnung. Gründächer, einheitliche Coffee-to-go-Becher, ein CO2-Reduktionsplan, der Linken-Antrag zum Klimanotstand und der Zehn-Punkte-Antrag von SPD und CDU: Über alle diese Dinge gab es eine ausufernde Generaldebatte.
FWI-Fraktionschefin Annette Korte: „Was wir hier heute machen, ist einfach unglaublich. Wir quasseln hier um den heißen Brei herum, das ist total putzig.“ Rajko Kravanja: „Ich fand die Debatte gut, auch wenn sie sehr lang war.“ Er wies darauf hin, dass es eine Stadtentwicklungsgesellschaft brauche, um mehr Handhabe zu bekommen. Deren Gründung war zuvor gegen die Stimmen von Grünen, FDP, Linke und FWI mit Mehrheit aus SPD, CDU und UBP beschlossen worden.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
