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Der Krieg zerreißt Familien: Castrop-Rauxelerin holt geflüchtete Mutter in Polen ab
Ukraine-Konflikt
Irina Fenske (44) hat Familie in der Ukraine und gerade noch Freunde in Russland besucht. Jetzt fährt sie wieder los. Und holt ihre Mutter und deren Enkel nach Castrop-Rauxel. In Sicherheit.
Irina Fenske (44) lebt seit 18 Jahren in Deutschland, hat in Castrop-Rauxel eine neue Heimat gefunden. Sie ist aufgewachsen in der Ukraine, hat lange in Russland gelebt. Nie, so sagt sie, hätte sie gedacht, dass es zu einem Krieg kommen würde. Und jetzt macht sie sich am Samstag auf den Weg nach Polen.
Dort wird sie ihre Mutter mit zwei Enkeln abholen. Sie sind aus der Ukraine geflüchtet. Ihr Vater, ihr Bruder – sie sind geblieben. Der eine will sein Haus schützen, der andere will für die Freiheit notfalls auch kämpfen.
Die Sorgen sind sehr groß, das spürt man im Gespräch. Und da ist ganz viel Fassungslosigkeit. „Keiner wollte es glauben, dass es zu einem Krieg kommen könnte“, erzählt sie. Auch ihr sei das so gegangen. Vergangenes Wochenende hat die Castrop-Rauxelerin noch Freunde in Russland, unter anderem in St. Petersburg, besucht. „Ihr macht Panik in Europa, wir sind keine Mörder“, hätten sie zu ihr gesagt. Das sei alles nur Propaganda.
Eltern werden von Explosionen wach: Da sind sie geflüchtet
Auch bei ihrer Familie, die in der Nähe von Lemberg wohnt, wollte keiner an das Schlimmste glauben. „Vor zwei Wochen habe ich noch eine Liste gemacht für meine Eltern, was sie alles vorbereiten sollten für den Ernstfall.“ Bargeld, Dokumente, Benzin in Kanistern: „Sie haben es nicht gemacht“, sagt Irina Fenske. „Gestern sind sie von Explosionen wach geworden“, erzählt sie am Freitag. „Jetzt geht es los“, hat Irina Fenske sie dann eindringlich aufgefordert, sich wirklich auf den Weg zu machen.
Sie habe überlegt, selbst in die Ukraine zu fahren. Doch das ist unmöglich. Irina Fenske, die lange in Moskau gelebt hat, hat einen russischen Pass. Sie hätte nicht einreisen können. Geflohen ist die kleine Familie dann mit dem Auto. Der Vater, über 60 Jahre alt, durfte mit über die Grenze. „Meine Mutter hat keinen Führerschein“, erzählt Irina Fenske.

Unbeschwerte Tage an Silvester: Tetjana und Serhij Klymec besuchten Irina Fenske (Mitte). © privat
Das sei im Übrigen auch bei Freunden und Verwandten, die sie in Kiew hat, das große Problem. Die Männer dürfen und wollen nicht weg, doch sie sind die, die Auto fahren können. Viele Frauen und Kinder hätten außerdem keine Reisepässe. „Das ist total schlimm.“
Vater und Bruder bleiben ganz bewusst in der Ukraine
Um 21 Uhr am Donnerstag, so berichtet Irina Fenske weiter, haben ihre Eltern mit den Kindern ihres Bruders den Grenzübergang zu Polen erreicht, um 4 Uhr früh konnten sie ihn verlassen. Lange Schlangen, tausende Papiere, die unterschrieben werden mussten, das hat an den Nerven gezerrt. Verwandte in Polen waren eine Anlaufstation.
Der Vater kehrte zurück. Die Mutter wird jetzt nach Castrop-Rauxel kommen, wo Irina Fenske lebt, als Vertriebs-Trainerin für ein großes Unternehmen arbeitet und zusätzlich ein Yoga-Studio betreibt. „Nie hätte ich gedacht, einmal ,Flüchtlinge‘ in meinem Haus zu haben, auch wenn es die eigene Familie ist“, hat sie in einer Nachricht an ihre Freunde geschrieben.
„Er macht sich Sorgen um sein Haus, er will es schützen“, sagt Irina Fenske über ihren Vater. Das Haus, das man sein Leben über aufgebaut habe, das habe in ihrer Heimat eine enorme Bedeutung. „Das muss ich akzeptieren“, sagt Irina Fenske. Das fällt schwer. Auch mit ihrem Bruder Serhij Klymec (40) haben sie und ihr Sohn telefoniert, haben versucht, mit ihm zu diskutieren. Ihn aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen.
„Wir Ukrainer werden bis zum Ende kämpfen“
Doch abgesehen davon, dass er die Ukraine momentan nicht verlassen darf: „Wir Ukrainer werden bis zum Ende kämpfen“, hat er ihr gesagt. Alle seien entschlossen. „Dass man nicht sicher sein kann, ob man für ein Land kämpft oder für die Menschen, die in diesem Land an der Macht sind“, habe sie ihm gesagt. Dass ein Menschenleben das Wichtigste ist. „Er will davon nichts hören.“ Das sind schwere Momente.
Irina Fenske spricht Ukrainisch, Russisch und Deutsch. Sie liest und hört über diesen Krieg, über Putin in den Medien der drei Länder. „Es ist grausam, wie unterschiedlich die Situation beschrieben wird“, sagt sie. „Jeder erzählt einen Teil von der Wahrheit.“ Und mancher eben auch nur Lügen. Wenn sie über Putin spricht, über dessen Vorwurf des Genozids, da ist sie wieder da, die Fassungslosigkeit.
Wenn aus Freunden vermeintlich Feinde werden
Noch eins macht ihr schwer zu schaffen, die bisher erlebt hat, dass Russland und die Ukraine und ihre Menschen eng miteinander verbunden waren. „Ich habe ganz viele Freunde überall, in Russland, in der Ukraine, in Deutschland“, sagt sie, „es ist so grausam, dass eine solche Situation entsteht, wo Menschen sich trennen müssen, wo ich mir Gedanken mache, ob ich den oder den noch anrufen kann.“
Doch jetzt geht es ihr vor allem darum, den drei Flüchtlingen, die kein Deutsch sprechen, das Leben in Castrop-Rauxel so einfach wie möglich zu machen. „Die Kinder, sieben und neun Jahre alt, müssen zur Schule, vielleicht machen wir Homeschooling“, erzählt sie von ersten Überlegungen. Und dann sagt sie noch: „Wir hoffen, dass es nur kurzfristig ist, dass das Schreckliche bald vorbei ist.“